Der überwiegend aus hellem Grünstein errichtete Hauptbau entstand vor ungefähr 120 Jahren ursprünglich als Schloss Friedrichshof. Aus der Nähe betrachtet wirkt das „Schlosshotel“ mit seinen wuchtigen, verschachtelten Fachwerkerweiterungen beeindruckend groß.
Frau Conrad hält beim Aussteigen inne, lässt den Blick über die Parkanlage und zu den hohen Bögen des vorgesetzten Eingangsbereich wandern. Sie nickt anerkennend.
„Sehr hübsch. Ich fürchte, die Befragung von Frau Dr. Neskovaja zieht sich in die Länge.“
Wir haben die Eingangstür aus schwerem Eichenholz mit eingesetzten kleinen Glasscheiben noch nicht erreicht, als ein Diener in knallroter Uniform mit goldfarbigen Zierknöpfen von innen öffnet.
„Guten Tag, bitte treten Sie ein.“
Damit dreht er sich um, führt uns mehrere Stufen hinauf in den Foyer. Als er im Begriff ist, uns zu dem rechts hinter einer Treppe etwas versteckt liegenden Empfang zu winken, erklärt Frau Conrad:
„Ehrlich gesagt, wir wollen eigentlich nur Kaffee und Kuchen genießen. Geht das hier auch?“
„Selbstverständlich, gnädige Frau, was immer Sie wünschen.“
Frau Conrad überblickt kurz den weitläufigen Foyer mit einem riesigen geblümten Teppich und mehreren Sitzgruppen mit rötlichen Stoff- und hellbraunen Ledersesseln.
„Dort vor dem Kamin, servieren Sie auch da?“
„Natürlich, meine Dame.“
„Das ist schön, vielen Dank. Wenn ich ein Kännchen Kaffee haben könnte und ein Stück Apfelkuchen, das wäre toll. Haben Sie auch Sahne, auf den Kuchen? Dann bitte mit Sahne,“ entscheidet sie aus dem Stehgreif, für den Herrn Diener wohl eher ungewohnt.
Sehr wohl, die Dame. Kommt sofort. Der Herr?
„Oh ja, ich nehme auch einen Apfelkuchen mit Sahne, dazu bitte lieber ein Kännchen schwarzen Tee.“
Gerne. Danke, die Herrschaften, bitte nehmen Sie Platz, wo es beliebt.
Frau Conrad geht vor in Richtung der Sitzgruppen, schaut sich verhalten lächelnd um.
„Stimmt, der mir angemessene Rahmen.“
Ein Jammer nur, findet sie, dass der Architekt des Präsidiums das noch nicht begriffen hat.
Wir setzen uns über Eck in zwei der rötlich und golden glänzenden Stoffsofas an einem ausladenden, flachen dunkelgrauen Marmortisch. Die hohe Wand links neben uns beherrscht ein hervorspringender Kamin von der Größe eines mittleren Garagentors. Seine helle Marmorumrandung schmückt eine Reihe breiter Fresken mit fürstlichen Ornamenten.
Ein vielarmiger orientalisch anmutender Kronleuchter schräg über uns sowie zwei Stehlampen links und rechts des Kamins geben dem Foyer ein angenehm warmes Licht.
Die Wirkung bleibt nicht aus. Der Raum entführt uns in eine erhabene, beinahe feierlichen Atmosphäre weitab vom Alltag. Sandsteinumfassungen der Durchgangs- und Fensterbogen, große, goldgerahmte Bilder, eine breiten Vitrine mit vielfältigen Kunstgegenständen vor der Rückwand, die sehr hohe Zimmerdecke aus dunkelbraunen Holzbalken – unwillkürlich sprechen wir ein wenig leiser, beinahe ehrfürchtig.
Frau Conrad breitet kurz die Arme aus.
„Das gefällt mir, richtig?!“
Mich freut es.
„Woher kennen Sie das hier?“
„Gisela, meine Frau, und ich, jetzt Ex-Frau, haben uns hier kennen gelernt; bei einem Silvesterball, in einem der Säle weiter hinten.“
„Wie sinnig, heute sitzen wir hier.“
Uns bringt das mindestens einen missbilligenden Blick und einen rot leuchtenden Punkt in ihrem Frühwarnsystem ein. Wenn Corinna uns bei dieser Art Arbeitsbesprechung sähe.
Machen wir uns nichts vor; die Natur hat die Menschen mit einem Sinn für Schönheit ausgestattet. Wie sonst lässt sich erklären, dass sich mein Blick immer wieder zu Frau Conrads Gesicht hingezogen fühlt. Wenn sie den Kopf in einer bestimmten Weise ein wenig neigt, fällt ein goldener Lichtglanz seitlich auf ihr hübsches Gesicht. Unter den dunklen Haaren und mit den fast schwarzen Augen erstrahlt es wie verzaubert.
Während wir noch in stiller Bewunderung die Darstellung von drei nackten Knaben über dem Kamin betrachten, serviert eine schwarzgekleidete, junge Frau mit weißer Schürze und einem blonden Pagenkopf unsere Bestellung auf dem niedrigen Marmortisch.
„Bitte sehr, und guten Appetit.“
Sie nickt knapp und verschwindet eilig.
Der Apfelkuchen mit einer Note Zimt duftet verführerisch. Wie immer schmeckt der erste Bissen besonders gut.
„Erst mal, Frau Conrad, danke sehr, dass wir miteinander sprechen. Außerdem finde ich es schön, Sie zu treffen. Corinna hat Ihren Namen schon einige Male erwähnt.“
„Tja, das bleibt wohl nicht aus. Hm, Zimt im Apfelkuchen, ich mag diesen Geschmack. Bestimmt hat die Chefin Ihnen auch gesagt, dass ich ein Arbeitstier bin, auch wenn der erste Eindruck täuschen mag.“
„Was glauben Sie, weshalb wir hier sind?“
„Gut, dann hören Sie auf, mir etwas vorzumachen. Ich unterstelle, Sie wissen mehr, als Sie zugeben.“
Für sie geht das in Ordnung, sofern ich ehrlich zu ihr bin.
Freundlich fragender Blick, Bestimmtheit im Ton.
„Okay, Frau Conrad. Glauben Sie mir: Corinna, Frau Sandner, hat dafür gesorgt, dass mir die Grundregeln ihrer Arbeit geläufig sind.“
Es dürfte keine Geheimnis sein, gebe ich zu, dass auch eine Hauptkommissarin gelegentlich das Bedürfnis hat, ihrem engsten Vertrauten gegenüber Dinge zu erwähnen, die ihr den Nachtschlaf rauben. Das mag dem geheiligten Grundsatz des Dienstgeheimnisses widersprechen, ist aber menschlich und ohne schädliche Wirkung für die praktische Ermittlungsarbeit.
„Werben Sie jetzt für Ihre Art der Verschwiegenheit?“
„Genau. Möglicherweise ist Ihnen bekannt, dass ich als Verhaltens-Coach tätig bin. Schon von daher gehört Verschwiegenheit zum meinem Selbstverständnis.“
Ich gönne mir einen langen, prüfenden Blick. Die Frau wirkt nett als Normalzustand, beinahe lächelnd. Gut möglich, dass man sich dadurch in die Irre führen lässt. Wetten, sie weiß das zu nutzen. Harmlos freundlich in der Form, unmissverständlich in der Sache.
„Das haben Sie schön gesagt, Herr Berkamp. Wie auch immer, ich denke, wir sind uns einig und leugnen jederzeit hartnäckig jede Erwähnung interner dienstlicher Belange.“
Sehr schön; mit heiterer Klarheit regelt sie diesen Punkt, ohne ein wirkliches Zugeständnis zu machen.
„Hiermit verkündet, beschlossen und besiegelt, Frau Conrad. Lassen Sie uns den Apfelkuchen genießen.“
Mein Tee hat inzwischen lange genug gezogen.
„Na, keinen Zucker in den Tee?“
Der Kuchen ist süß genug, bemerke ich. Nach Möglichkeit halte ich mir Zucker vom Leib.
„Ich dachte, wir sind ehrlich zueinander! Meine Chefin, äh ... Corinna, hält Sie für behandlungsbedürftig schokoladensüchtig.“
„So hütet ihr also Dienstgeheimnisse. Sehr interessant.“
Mal ehrlich, was wäre das Leben ohne Schokolade? Wobei ich nur die Hochprozentige mit möglichst wenig Zucker esse, und auch nur ein oder zwei Eckchen als Nachtisch.
„Gut, gut, kleiner Nachtisch ist zugestanden.“
Auffordernder Blick; komm endlich zur Sache, Mann.
Mit dieser feinen, ebenmäßigen Gesichtshaut,