Allaire, 22. März 1895
Ich liege weiter zu Bett, habe aber heute einen großen Empfang gegeben. Vater ist schon gestern aus Gayton eingetroffen. Er ist ganz stolz und kann sich gar nicht vom Bettchen seiner Enkelinnen trennen. Am Nachmittag waren dann die Tanten und Onkels da und Anne, Roger und Bernhard, der fast schon auf gepackten Koffern sitzt. Er wird mir nach Marseille vorausreisen. Er nimmt natürlich ein anderes Schiff, eines, das ihn nach Madagaskar bringt. Anne suchte immer eine Möglichkeit, mit mir alleine zu reden, es ist ihr aber nicht gelungen, weil ich doch ans Bett gefesselt bin und alle immer um mich herum waren. Die Mädchen haben geschlafen, als ich den großen Besuch für sie empfangen habe.
Allaire, 23. März 1895
Anne konnte wohl nicht mehr warten, sie hat heute erneut den Zug genommen und ist von Vannes nach Redon gefahren und dann mit der Kutsche bis zu mir nach Allaire. Sie war ganz erregt, suchte Rat, den ich ihr aber nicht geben konnte. Es ist nicht richtig, einen Mann zu treffen, solange er noch nicht geschieden ist. Das waren meine Worte und dann fing Anne zu weinen an. Ich habe dann alles erfahren. Die Frau von Annes Liebhaber erwartet ihr viertes Kind und eine Trennung ist nicht mehr so einfach. Ich habe Anne geraten, erst einmal abzuwarten. Ich habe ihr aber nicht gesagt, dass ich eine solche Verbindung schon längst abgebrochen hätte, wenn ich in ihrer Lage gewesen wäre. Hinterher hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich hätte es ihr doch raten müssen, vielleicht gibt es ja noch einmal die Gelegenheit oder ich schreibe ihr.
Allaire, 25. März 1895
Heute habe ich wieder Besuch empfangen. Es war eine kleine Überraschung, plötzlich stand Madame Bernier in der Tür. Ich kann seit zwei Tagen das Bett verlassen und so hat sie mich beim Briefeschreiben am Tisch vorgefunden. Ich habe uns Kaffee und Gebäck bestellt, was mir ausnahmsweise gestattet wurde. Ich habe ihr dann natürlich stolz meine beiden Mädchen gezeigt. Madame Bernier ist extra aus Paris angereist. Sie hat sich ein paar Tage freigenommen. Sie arbeitet jetzt für eine Familie mit vier Kindern. Es ist ein richtig großer Haushalt mit Kindermädchen, Köchin und sogar einem persönlichen Diener für die Herrschaft. Madame Bernier ist dort Wirtschafterin. Eine so gute Stellung hätte sie bei Victor und mir nicht haben können. Später sind wir noch im Park spazieren gegangen. Mutter hat uns begleitet. Wir haben Madame Bernier gezeigt, wo ich Julie geboren habe. Sie war etwas über den nackten Waldboden erschreckt, aber ich habe ihr versichert, dass es schlimmer aussieht, als es war.
Allaire, 28. März 1895
Noch ein Besuch, Onkel Gustave ist der Letzte aus der Verwandtschaft, der sich die Mädchen angesehen hat, und die Amerikaner, also Pierre und Jacques haben sie natürlich auch noch nicht gesehen. Onkel Gustave hat in Vannes ein Konto auf die Namen der Mädchen eröffnet und für jede zehntausend Francs eingezahlt. Ein großzügiges Geschenk. Wir werden es in Empfang nehmen, sobald wir aus Ozeanien zurück sind. Onkel Gustave wird noch heute mit Vater nach Liverpool reisen, sodass Mutter und ich alleine in Allaire zurückbleiben. Vater will erst in Marseille wieder zu uns stoßen.
Marseille, 17. April 1895
Wir sind bis kurz nach Ostern im Sanatorium geblieben. Die Mädchen sind jetzt einen Monat alt. Ich habe mich bei allen bedankt. Von Allaire aus ging es zunächst mit der Kutsche nach Redon, wo wir noch einmal Schwester Armelle getroffen haben. Von Redon aus haben wir dann den Zug nach Marseille genommen. Mutter wollte eigentlich erst nach Paris zurückkehren und dort bis zur Abreise warten. Ich kann aber nicht zurück nach Paris, nicht ohne Victor. Ich ertrage es nicht, ohne ihn in der Rue Marcadet zu leben und wenn es auch nur ein paar Wochen sind. Außerdem habe ich Paris schon hinter mir gelassen. Wir sind daher gleich nach Marseille gereist und bleiben hier noch drei Wochen in einem Hotel wohnen.
Marseille, 22. April 1895
Im Hotel ist es doch ganz anders als im Sanatorium, es sind nicht ständig fremde Menschen um mich. Ich erlebe die Mädchen ganz anders. Thérèse hat damit angefangen gurgelnde Geräusche von sich zu geben und Julie macht es ihr nach. Wenn Mutter oder ich das Zimmer betreten, heben beide gleich die Köpfchen. Überhaupt nehmen sie Anteil an dem, was Mutter und ich im Zimmer unternehmen, sie folgen uns regelrecht mit ihren Blicken. Es ist ganz lustig, sie zu beobachten. Ich glaube es tut uns allen gut, endlich in einer normalen Umgebung zu leben, sofern ein Hotel normal ist, jedenfalls normaler als ein Sanatorium. Ich denke natürlich schon an die Schiffsreise und daran, wie es meinen beiden bekommen wird.
Marseille, 29. April 1895
Meinen Reisepass habe ich mir schon letztes Jahr in Paris ausstellen lassen. Ich werde ihn brauchen, denn obwohl ich von Frankreich nach Frankreich reise, führt mich mein Weg dorthin durch einige fremde Länder. Mit meinem Reisepass sind noch einige andere Sachen aus Paris gekommen. Vor allem muss ich meinen Atlas mitnehmen, damit ich dieses Land mit seinen Städten nicht vergesse. Ich habe jetzt auch Nellie Blys Reisebericht zur Hand und lese seit zwei Tagen darin. Ich habe ihr gegenüber einen Vorteil. Ich beherrsche ganz leidlich die englische Sprache, kann sicherlich fast alles verstehen und mich auch selbst ganz gut artikulieren. So habe ich neben meiner Muttersprache eine zweite Sprache, die mir auf der Reise behilflich sein wird. Mrs. Bly hat es selbst bedauert und besonders als sie Monsieur Jules Verne traf, dass sie so gut wie kein Wort Französisch verstand. Sicherlich führte der größte Teil ihrer Reise durch englischsprachige Länder, aber schon in Port Said, unserer ersten gemeinsamen Station, wird auf den Straßen eher Französisch gesprochen, auch wenn Ägypten heute ein britisches Protektorat ist.
Marseille, 30. April 1895
Eine Nachricht im Figaro hat mich heute