Contents
18. Café Messerschmidt oder Wochenschau
27. Café Messerschmidt ist weggezogen
Autorin und Inhalt
Gudrun Parnitzke, aufgewachsen in Berlin-Neukölln, war viele Jahre unter dem Namen Müller-Sabe als Musikautorin für den Rundfunk und große Berliner Orchester tätig.
Veröffentlicht wurden auch Kurzgeschichten, ein historischer Roman und eine Fantastische Erzählung. Die Autorin lebt seit vielen Jahren im Landkreis Lüneburg.
Café Messerschmidt ist weggezogen erzählt von einem Neukölln der Pendler zwischen West und Ost, der Kriegsversehrten und reichen Geschäftsleute, von gewöhnlichen Nachbarn mit ungewöhnlichen Macken und von Uli mit ihrer beharrlichen Sehnsucht nach Unversehrtheit.
Komisch, nachdenklich, unsentimental.
Impressum
Umschlagbild: Sanierungsgebiet Rollbergviertel Neukölln (Ausschnitt) Hubertus Müller, 1974
© Umschlaggestaltung: Christiane Walter
www.dahlem-buch.de
Alle Rechte vorbehalten
Anmerkung:
Der diskriminierende Ausdruck „Neger“an verschiedenen Stellen im Text ist mit Rücksicht auf die zeitlich bedingte authentische Umgangssprache nicht durch eine korrekte Bezeichnung ersetzt worden.
1. Morgengrauen
Im Sommer, bei Hitze, ist der Lärm unerträglich, vor allem am Wochenende. Nachts müssen die Fenster offen bleiben.
Das Kind starrt mit weit geöffneten Augen in die Dunkelheit. Warten bis die Schritte auf dem Gehweg verhallen, aber sie kommen immer wieder. Der lässige Gang auf hohen Absätzen bohrt sich in unruhigen Halbschlaf.
Fremde Stimmen aus anderen Wohnungen drängen sich ans Ohr, halblaute Musik, das Aufheulen eines Motors beim Gas geben.
Plötzlich aufflammender Tumult, wenn die Kneipentüren sich öffnen und die hämmernden Rhythmen aus der Music Box an den Fassaden der Häuser emporschießen.
Das Grölen der Betrunkenen geht bis zum Morgengrauen, anschwellend, abebbend, nimmermüde, als fürchteten sie die Stille am Ende einer langen Nacht. Manchmal platzt der schrille Ton der Feuerwehrsirene in den anbrechenden Morgen. Die Feuerwache ist nebenan.
Einmal kommt ein Streifenwagen mit Blaulicht, von den Eltern gerufen. Die Mutter war am Fenster, der Vater am Telefon:
„Sie haben einen jungen Mann aus der Kneipentür gestoßen! Sie haben ihn an den Schultern gepackt und den Kopf auf das Straßenpflaster geschlagen. Immer wieder. Jetzt liegt er da und rührt sich nicht mehr.“
Eine halbe Stunde später ein Rückruf.
„Wir haben niemanden gefunden, keinen Verletzten, nichts zu sehen, keinerlei Spuren. Aber bleiben Sie dran, bitte bleiben Sie dran! Sobald Ihnen etwas Verdächtiges auffällt, rufen Sie uns an! Dora an Siegfried, wir fahren jetzt zum Hermannplatz.“
Der Vater legt auf: „Ihr könnt uns mal!“
Die Eltern gehen wieder zu Bett.
„Ja früher, die Schupos, die konnten noch durchgreifen!“ Die Mutter sarkastisch: „Die haben den weggeschafft! Zum Teltowkanal.“
Das Kind, barfuß, im Nachthemd, den Henkelbecher aus Blech in der Hand, schließt behutsam den Wasserhahn. Durch die offene Küchentür hat es gelauscht. Es trinkt und hängt den Becher an den Haken über dem Spülbecken. Dann schleicht es ins Bett zurück, die Worte der Mutter im Ohr. Das Kind will einschlafen, aber auf dem bleigrauen Wasserspiegel des Kanals breiten sich kreisförmige