Die Hölle im Herzen. Timo Januschewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Timo Januschewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737585156
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– jedenfalls für mich. Aber manchmal kommen Frauen an einen Punkt, das ist jedenfalls meine Erfahrung, da wollen Sie einfach einen anderen Kerl. So wie sie ihre Haare oder ihren Klamottenstil ändern, müssen sie auch ihre Kerle wechseln. Frauen können sich halt alles aussuchen. Die werden pausenlos angeschrieben oder angesprochen. Kommt zur passenden Zeit ein anderer Kerl an, dann sind die weg. Wir leben in einer Gesellschaft, in der man wegwirft statt zu reparieren. Das ist in Sachen Liebe doch nichts anderes.“

      DOC: „Was war denn der Grund für die Beendigung der Beziehung?“

      ICH: „Kann ich gar nicht genau sagen. Sie würde jedenfalls sagen, wir hätten uns auseinandergelebt. Ich sehe das aber anders. Sie hat einen anderen kennengelernt und wollte sich einfach mal verändern. Liebe bedeutet doch nichts. Was bedeutet schon eine Beziehung? Es ist ein loses Versprechen, dass man mit keinem anderen schläft oder sonst rummacht. Manche tauschen Ihre Partner wochenweise aus. Als Mann ist man leicht austauschbar, das kotzt mich extrem an. Ich kann sie nicht einfach so leicht ersetzen - sie mich jedoch schon. Nach all der Zeit kann sie einfach so einen neuen Kerl nehmen und mich ersetzen. Das ist mega verletzend für mich.“

      DOC: „Liebe ist individuell. Sie ist vergänglich, wie alles im Leben. So war es schon immer und die Zeit heilte bisher jedes Herz – oder etwa nicht?“

      ICH: „Nein! Die Liebe hat sich im Laufe der Zeit verändert. Ich glaube, dass sich durch social media alles verändert hat. Jeder ist ständig verfügbar und kann klar gemacht werden. Früher musste man noch mühsam eine Telefonnummer erfragen und musste zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Jetzt geht man einfach online und schreibt alles an, was irgendwie halbwegs zu vögeln ist. Die Welt dreht sich schneller, die Liebe dreht sich mit ihr. Frauen ändern sich, wie ich schon sagte. Aber gut, das mag meine Perspektive sein.“

      DOC: „Liebe scheint für Sie eine besonders wichtige Facette des Lebens zu sein?!“

      ICH: „Klar. Und vor allem, wenn sie fehlt.“

      DOC: „Gut, okay. Mit dem Themenfeld sollten wir uns in einer weiteren Sitzung explizit nochmal auseinandersetzen. Was ich gerne noch wissen würde: Gab es irgendwelche anderen Auffälligkeiten während Ihrer Kindheit bzw. Jugend? Nahmen Sie Drogen oder waren in irgendeiner Weise verhaltensauffällig?“

      ICH: „Drogen waren nie mein Ding. Ich habe zwei Mal im Leben gekifft, hat mir aber nicht so zugesagt. Tja, Alkohol war oft im Spiel, aber nicht mehr als bei anderen Jugendlichen. Am Wochenende mit seinen Freunden losgehen und sich dann mal einen genehmigen – war früher aber auch mal mehr.“

      DOC: „Andere Auffälligkeiten gab es nicht?“

      ICH: „Nein. Mir ist jedenfalls nichts bekannt.“

      DOC: „Sie haben auch keine Aufmerksamkeitsdefizite oder Depressionen bzw. Niedergeschlagenheit verspürt?“

      ICH: „Niedergeschlagen vom Liebeskummer ist ja jeder mal, aber ne, sonst eher nicht.“

      DOC: „Wie steht es um Ihren Freundeskreis? Wie ist dieser bei Ihnen strukturiert?“

      ICH: „Ja, man kennt schon recht viele Leute, aber echt gute Freunde, die mit einem durch Himmel und Hölle gehen? Davon habe ich sicherlich nur zwei oder drei. Viele in meinem Alter haben mittlerweile schon eine Ehe am Start, Kinder, ein Haus und dazu einen Familienwagen vor der Tür. Echt viele Freunde von damals leben nun ein anderes Leben, aber ein paar sind ja übriggeblieben.“

      DOC: „Hätten Sie gern so ein Leben? Kinder, Haus und all das?“

      ICH: „Eigentlich nicht.“

      Er schrieb noch seinen Satz auf seinem Block zu Ende und legte ihn, samt Kugelschreiber, zurück auf den Tisch.

      DOC: „Ja, gut. Das ist doch schon mal ein guter Anfang. Vielen Dank für das offene Gespräch und lassen Sie sich bitte vorne von Frau Ronn einen neuen Termin geben.“

      Wir standen auf, schüttelten uns noch die Hände und verabschiedeten uns mit Floskeln wie „Schönes Wochenende“ oder auch „Schönen Tag noch“. Ich holte mir einen neuen Termin und ging raus. Ich bemerkte erst kurz vor dem Wagen, dass meine ganze Umgebung voller Schnee war. „Ich hasse Schnee“, kam es mir leise über die Lippen. „Wenn ich schon daran denke, dass Denise es sich nun mit ihrem Spasti kuschelig, gemütlich macht oder sie draußen einen bescheuerten Schneemann oder einen verhurten Schneeengel machen und sie dann glücklich im Schnee rumtollen, könnte ich echt kotzen. Grinsen sich ständig an und knutschen sich. Fickt mich das ab, Mann. Allerdings wäre es auch beschissen, wenn jetzt Sommer wäre. Dann würden sie sich am Strand zusammen sonnen oder händchenhaltend durch die Stadt ziehen und einkaufen oder was weiß ich nicht alles machen“, argumentierte ich flüsternd vor mich hin. Scheiß Wetter. Mir war es eigentlich schon immer egal, welches Wetter draußen war. Ich weiß nicht, warum Leute sagen, dass sie sich auf Sonne freuen oder keine Regentage möchten. Es ist doch nur beschissenes Wetter. Allein schon über das Wetter zu reden ist doch bescheuert. Eine trivialere Form der Unterhaltung kann ich mir kaum vorstellen.

      Während ich nach Hause fuhr, musste ich an meine Lügen bezüglich des Gesprächs denken. Na ja, nicht alles zu erzählen?! Ist das überhaupt eine Lüge? Natürlich hatte ich Aufmerksamkeiten, wie er es nannte, an mir festgestellt. Aber ich sage dem Arsch doch nicht, dass ich im Alter von neun Jahren einmal Katzenbabys gegen eine Mauer geschleudert habe und es äußerst amüsant fand, wie es sich angefühlt hat, über Leben und Tod zu entscheiden. Auch würde ich dem Penner doch nicht sagen, dass ich in der Schule gern den einen oder anderen zusammengeschlagen habe oder ich mit 15 eine Oma in den Graben geworfen habe, als sie mich blöd angemacht hat. „Pass auf, wie du fährst!“, schrie sie mich an, während ich sie mit meinem Fahrrad leicht an ihrem Mantel streifte. Das war zu viel. Ich stieg ab, gab ihr eine Backpfeife und habe sie die kleine Böschung runtergeschubst. Ich machte mich dann aus dem Staub, weil ich einfach meine Ruhe haben wollte. Ihr Gejammer, als sie da unten lag, machte mich sogar noch aggressiver.

      Ich war noch nicht mal richtig in der Wohnung, da hatte ich Denise gleich die Nachricht geschickt, dass ich es getan habe:

      „Hey, Denise. Ich hab mein Versprechen eingelöst. War bei einem Psychologen. War auch keine große Sache! Melde dich mal, wenn du gerade Zeit hast. Vermiss dich!“

      Natürlich schaute ich den ganzen verfluchten Tag, trotz des eingeschalteten Tons, auf mein Handy. Alle paar Minuten immer ein erneuter Blick, ob sie geschrieben hat. Ich musste mich echt zusammenreißen ihr nicht noch weitere Nachrichten zu schicken. Welch ein beschissenes Gefühl sich im Laufe des Tages in mir breit machte. Nun hatte ich getan, was sie wollte und nichts kam zurück. In meinem Kopf malte ich mir wieder die beschissensten Gedanken aus, dass sie gerade mit ihm im Bett lag oder die beiden gerade zusammen Essen machten. Die Gedanken schnürten mir fest die Kehle zu. Die komplette Sehnsucht hatte mich wieder. Es kamen mir so viele Erinnerungen mit ihr hoch. Der erste Kuss in der Disco, der erste Sex auf meinem Sofa – all solche Dinge waren dauerpräsent in meinem Kopf. Immer wieder kam ein anderes Detail, vor meinem geistigen Auge, zum Vorschein. Jedes einzelne war schöner und gleichzeitig schmerzhafter als das andere zuvor. Ich wollte doch einfach nur bei ihr sein und hätte alles getan, was in meiner Macht stand, damit sie glücklich bei mir hätte werden können. Es zerfetzt einem so sehr das Herz, dass jemand anderes nun das hat, wonach man sich so sehr sehnt. Man selbst fühlt sich dann hässlich und minderwertig. Wie oft hatte ich in dieser Zeit an Selbstmord gedacht? Wie gern hätte ich mir eine Knarre besorgt, um mich vor ihren Augen zu erschießen? So unglaublich gerne. Sie hätte dann endlich gewusst, dass ich nur sie liebte und niemals wieder jemand anderen lieben würde. Doch ich vegetierte einfach nur vor mich hin und verlebte den Rest des Tages damit, mich allein zu betrinken und schnulzige Musik zu hören. Ich heulte und heulte einfach nur. Je höher der Alkoholgehalt in meinem Blut wurde, desto höher wurde auch die Sehnsucht nach ihr. Irgendwann musste ich nachts, mit Tränen auf den Wangen, eingeschlafen sein. Dies geschah zu dieser Zeit extrem oft.