Manuel lächelte sie an. Insgeheim bewunderte er ihre Entschlossenheit. Sie legte alles in die Waagschale. Sie war tatsächlich gegangen, nur weil es nicht nach ihrem Willen gegangen war. Entscheidungen zu treffen, war für ihn nie ein Leichtes gewesen. Sein Vater machte das so oft für ihn, dass er diese Fähigkeit nie sonderlich entwickelt hatte. Tatsächlich rückte sein Bedürfnis, um die Welt zu segeln, in weite Ferne, als Claudia sein Lächeln erwiderte.
Aus der Sitzecke heraus erkannte Claudia den Schreibtisch erst richtig. Bestimmt war der nicht vom Tischler um die Ecke. Sie tippte auf einen internationalen Designer. Eine Figur aus Messing stand neben der Ablage für Schreibutensilien. Sie war sehr stilisiert, surreal, gar abstrakt. Aber dass sie dem Bullen vor der New Yorker Börse ähneln sollte, das erahnte sie nicht.
„Es tut mir leid, dass Sie meinetwegen in Streit geraten sind“, sagte Claudia.
„Wo gehobelt wird, da fallen eben nun mal Späne. Wichtig ist, dass wir uns jetzt klar darüber werden, wie es weiter geht.“ Peter merkte schnell, dass es gar keine Entscheidung zu treffen gab. Die Landmaschinenfirma hatte den Rubikon überschritten. Er konnte nur noch auf Schadensbegrenzung hoffen und dass sich alles wieder zum Guten wenden würde, aber mit Hoffnungen hatte er es nicht so. Es widerstrebte ihm zutiefst, die Geschicke seiner Bank, wenn auch nur in einem kleinen Teil, Claudia Petersen anzuvertrauen. Sie hatte so eine ganz andere Sicht auf die Dinge, was die Landmaschinenfirma anging. Und vor allem auch, was Horst Wohlert, ihren, Vater anging. Wenn Peter sich erst einmal entschlossen hatte, seine Schäfchen wieder ins Trockene zu holen, dann galt sein Wort. Wozu gab es Gerichtsvollzieher? Seine Gedanken kamen wieder beim Ausgangspunkt an.
„O.k. Langer Rede kurzer Sinn: ihr fahrt da mal hin und seht, was ihr da machen könnt. Ich vertraue euch. Auch dir, Manuel.“
„O.k. Wir versuchen unser Bestes.“ Manuel verschränkte die Arme vor der Brust.
„Versuchen?“, hakte Peter nach.
Peter wartete auf eine Reaktion von Manuel. Er dachte an seine Frau. Sie würde sich im Grabe umdrehen, wenn Manuel, ihr einziger Sohn, keinen Erfolg haben würde. Er hatte so vieles versucht. Er hatte schon mal eine Tauchschule in der Karibik eröffnet, einen Tennisclub hatte er mal übernommen und sich als Importeur von WLAN-Routern versucht - je nachdem, was für Ideen seine Geschäftsfreunde gerade hatten. Er war der Sohn eines Bankiers; ihm wurden viele Geschäftsideen unterbreitet. Diesesmal ging es um die Idee seines Vaters. Auch Manuel wusste, dass jede Fahnenstange auch ein Ende hatte.
„Papa, du kannst dich auf uns verlassen. Wir haben unser Handwerk gelernt, und es geht um dein Geld.“
Es wurde ruhig. Man lehnte sich zurück und spürte die Kraft, die nur der Einigkeit innewohnte.
*
Herankommen lassen
Peter hatte Claudia die übrigen Akten der Landmaschinenfirma mitgegeben. Sie wusste erst nicht, wohin damit. Auch sie hatte ein ansehnliches Büro bekommen. Endlich war sie wieder im Spiel, und das nicht zu den schlechtesten Konditionen. Zwar war ihr Gehalt nicht üppig, aber dieses Büro. Da konnte manche Zweigstellenmitarbeiterin nur von träumen. Sie hatte einen ebensolch spektakulären Blick über die Elbe wie ihr Chef. Noch immer hatte sie die drei Aktenordner im Arm, als es an der Tür klopfte.
„Herein!“, rief sie.
Die Tür ging auf, und Eva-Maria Berg trat ein. Sie hatte einen simplen Pappkarton bei sich. Claudia legte die Ordner auf den Schreibtisch, um Eva-Maria zu begrüßen.
„Berg, mein Name. Eva-Maria Berg. Ich bin hier das Mädchen für alles.“
„Hallo! Claudia Petersen.“
Sie reichten sich die Hände. Claudia fühlte sich angekommen.
Eva-Maria war offiziell die Chef-Sekretärin von Peter Schlüter. Doch auch Manuel bediente sich ihrer Fähigkeiten, und das ziemlich oft. Er schaffte es nie, eine eigene Assistentin einzustellen. Er war ja so selten in der Firma.
„Hat Herr Schlüter sich Verstärkung geholt?“, scherzte Eva-Maria. Sie war etwa in Peters Alter, Anfang sechzig, und sah so aus, wie man sich eine langgediente Chefsekretärin vorstellte. Die Haare zu einem Dutt zusammengebunden, eine Brille, wie man sie vor zwanzig Jahren chic fand, und einen Rock hatte sie an, klassisch dezent.
„Die Bankenkrise macht viel Arbeit“, zwang Claudia sich eine Antwort ab.
„Ist das nicht nur eine Medienkampagne?“, fragte Eva-Maria und stellte den Pappkarton auf den Schreibtisch.
„Ja und nein“, resümierte Claudia. „Einerseits fällt viel weg, andererseits kommt manches Neue hinzu.“
„Ja, ja, der Lauf der Dinge, stetig ist nur der Wandel.“ Eva-Maria wartete auf eine Reaktion.
Claudia sah sie nahezu ehrfürchtig an. Eva-Maria hatte Klasse. Sie war nicht so wie die gehetzten jungen Fräuleins, die so viel Zeit mit ihren Smartphones und ihren Äußerlichkeiten verbrachten. Eva-Maria hingegen lag ihre Arbeit am Herzen. Sie machte nicht ihre Arbeit, ihre Arbeit machte sie.
„Ich bringe Ihnen Visitenkarten und Briefpapier, Kalender und Kugelschreiber, wegen der Corporate-Identity“, sagte Eva-Maria. „Wenn Sie möchten, dann können Sie sich unser Firmenlogo in ihre Blusen einsticken lassen. Wir haben da einen erstklassigen Schneider an der Hand.“
„Danke. Ich komme eventuell darauf zurück.“
„Wenn etwas ist, dann können Sie immer zu mir kommen. Ich habe hier die Fäden in der Hand, bei mir läuft alles zusammen. Willkommen in unserer Firma.“ Erneut reichte Eva-Maria ihr die Hand.
„Sie sind sehr nett, Frau Berg.“
Als Eva-Maria wieder gegangen war, kehrte für einen Moment Ruhe ein. Claudia sah sich um. Was für ein Büro! Edel und hochwertig, ein paar Blumen hätten noch gefehlt. Da klopfte es erneut. Peter kam herein.
„Frau Petersen, ich bin es noch einmal.“
Claudia setzte sich in ihren Chefsessel. Peter zog sich einen Drehstuhl heran und setzte sich ebenfalls hinter den Schreibtisch. Er kam Claudia ziemlich nah.
„Ich muss noch mal kurz mit Ihnen reden, damit wir uns nicht missverstehen“, setzte er an.
„Es tut mir leid, dass mein Vater Ihnen so viele Sorgen bereitet hat.“
„Das ist unser Geschäft, Frau Petersen, darum geht es nicht. Mir geht es hauptsächlich darum, dass Sie vielleicht noch etwas Einfluss auf Ihren Vater nehmen können.“
„Ich weiß, nicht wegen meiner Reputation, das ist mir klar“, bestätigte sie.
„Wenn Sie es schaffen, dass unser Schaden möglichst klein bleibt, oder wenn Sie das Wunder vollbringen, dass die Landmaschinenfirma wieder in die schwarzen Zahlen kommt“, Peter runzelte die Stirn, weil er daran nun wirklich nicht glaubte. „dann bleibt das mit den USA unter uns.“
„Weil ich die Bank da drüben ruiniert habe? Woher wissen Sie das eigentlich so genau?“
„Achtzig Mitarbeiter, wegen der Immobilienkrise? Das stand in der englischen Fachpresse. Wie haben Sie das gemacht?“
„Wie viele andere auch. Wir haben gut an den Bauherren verdient. Nach und nach sind die Bedenken zerflossen, bis wir letztendlich keine Sicherheiten mehr verlangt haben. Alle haben das so gemacht, und ich nicht anders.“
„Sie sind sehr ehrlich. Woher haben Sie das?“
„Ich habe ein Gewissen, was über mich wacht. Bei mir war es auch die Freude, dass amerikanische Familien sich ihr eigenes Häuschen leisten konnten. Es war nicht nur die Gier.“
„Unglaublich! Was musste da für eine Goldgräberstimmung geherrscht haben! Da konnte man ja nur verlieren.“ Peter ging wieder auf Abstand.
„Es