sagt ihr, dass ich noch lebe
sagt ihr, dass ich sie liebe
Im Herbst
kommen die Leute noch einmal an und
sagen man hätte nun auch Mariana gesehen
mit geschorenem Kopf
und zerrissenem Kleid
schreibt sie auf einen Zettel
ich heiße Mariana benachrichtigt Raúl
das heißt wenn ihr ihn findet
sagt ihm, dass ich durchhalten werde
sagt ihm, dass wir uns
wiedersehen werden
und zwar ganz bestimmt
Versteht sich
wie das immer ist:
diese Zettel kamen natürlich nie an
auf tausend Umwegen kommen sie
stattdessen zusammen in einem Ordner
der auf meinem Schreibtisch steht
und den Namen von Mariana trägt
und den Namen von Raúl trägt
und das Datum eines Frühlingsdienstags
und zwei Nummern
zwanzigtausendvierhundertvierundfünfzig
zwanzigtausendvierhundertfünfundfünfzig
Nun besitze ich schon mehr:
den noch immer sehr sachlichen
und sehr ausgewogenen Bericht
die kleine Zeitungsmeldung
das Foto
und diese beiden Zettel
die nicht mehr richtig angekommen sind
der eine übrigens von Zigarettenpapier
der andere von einem Fetzen
schmutzigem Karton
Im Winter
erhalte ich einen Brief
in dem steht
dass Raúl gestorben ist
an einem Leberriss
von einem Militärstiefel
sagen die Leute
er starb im Herbst
ziemlich genau als Mariana ihm versprach
dass sie ihn wiedersehen wird
und zwar ganz bestimmt
Und heute morgen endlich
bevor ich diese Zeilen schrieb
hatte ich noch einen Brief bekommen
in dem stand
dass man die nackte Leiche einer Frau
im Straßengraben fand
an der schon fast gewohnten Straße
von Buenos Aires nach Ezeiza
zwei Dinge hatte die Frau noch am Leib
auf ihrem Oberschenkel
eingebrannt ein Wort
Demokratenhure
und um den Finger einen Ring
der so fest saß
dass nicht einmal das Militär
ihn stehlen konnte.
Irgend jemand kam daher
machte ein Foto davon:
aus einem Luftpostbriefumschlag
mit Heldenmarken drauf und einem
unverrutschten Stempel
fällt mir ein Foto entgegen
von einem Ring aus einfachem Gold
und gerade mit der Lupe noch
zu lesen eine Schrift
26. März in Liebe
für Mariana
von Raúl
das heißt
es muss sie also doch gegeben haben.
Nachtrag
Diesen Ordner übrigens mit
dem bis zuletzt sachlich gebliebenen Bericht
mit der kleinen Zeitungsmeldung
mit den beiden Zetteln
aus Zigarettenpapier und aus Karton
und einigen inzwischen überflüssig
gewordenen Briefen
schickte ich an die Kinder.
Etwas anderes
gab es nicht mehr zu tun.
Zwei Dinge aber
habe ich behalten:
das Foto eines aufgeschnittenen Hochzeitsringes
und das mit drei albernen Kindern
und Mariana
und Raúl
Damit außer den amtlich
niemals identifizierten Leichen
noch etwas übrig bleibt
ein Beweis
von Raúl, von Mariana, verheiratet
drei Kinder, wohnhaft ehemals
auf einer kleinen Farm
tief drin und irgendwo im Land
Und ein Beweis von denen
die einmal Antwort geben müssen
auf die Frage
wo sie denn waren
als wir sie dringend brauchten.
Die Trauer
Vielleicht, vielleicht ist die Trauer
eine frierende Blüte die in sich
schon die Ahnung neuen Lebens birgt.
Vielleicht.
Vielleicht ist der Schmerz ein drängender
Samen, ein Bote, der nach Veränderung ruft
oder ein brüchiger Stein in der Mauer.
Vielleicht.
Vielleicht sind die Mitleidenden
wie wachsame Tiere,
die das nahende Unheil spüren
und die Gefahr für die eigene Haut.
Vielleicht.
Den Klagenden aber ist nicht zu trauen
und nicht den Schmerzerfüllten
nicht den Mitleidigen.
Der Gang der Gebeugten führt nirgendwohin.
Nutzlos ist die Trauer ohne den Zorn, ohne
den Willen, nie wieder beiseite zu stehen
und ohne die Waffen der hellen
ungeduldigen Vernunft.
Vielleicht, vielleicht ist die Trauer
eine frierende Blüte, ein brüchiger Stein
ein wachsames Tier.
Vielleicht.
Gesenkte Köpfe aber
verhindern den aufrechten Gang.
Das größte Übel
Weder der Krieg
noch der internationale Rüstungshandel
weder der