Ich forderte den Sohn auf, den Kauf rückgängig zu machen. Er behauptete, das sei unmöglich, schon aus zeitlichen Gründen. Der Hund sei irgendwo am anderen Ende des Ruhrgebiets gekauft worden, man sei den halben Vormittag unterwegs gewesen. Außerdem sie schon die obligatorische Impfung vorgenommen worden, die sich als kostspieliger erwiesen habe als der ganze Hund. Eine Zweiwochenration Futter habe er auch bereits gekauft. Und er beeilte sich noch hinzuzufügen, selbstverständlich werde er persönlich der Kusine die vorgestreckten Geldbeträge ratenweise zurückzahlen, auf Taschengeldbasis.
Ohne mir Gelegenheit zu geben, hierauf einzugehen, wechselte er plötzlich die Argumentationsebene und betonte, dass der Hund sehr niedlich sei und auch noch sehr klein. Ich sagte, das interessiere mich herzlich wenig. Er solle schleunigst herkommen und zu Mittag essen. Dann legte ich auf.
Meine Schwiegermutter murmelte etwas von Nachtisch und Erdbeerquark und entfernte sich in Richtung Küche, aber nicht auf direktem Weg. Erst machte sie noch kurz an der Kommode halt, in deren oberer Schublade sie ihre Beruhigungstabletten aufbewahrte. Meine Frau setzte zu Beschwichtigungsversuchen an, die allerdings eher halbherzig klangen. Ich wiederholte in geraffter Form die Einwände, die ich bereits im Dialog mit dem Sohn vorgebracht hatte und erwähnte dabei auch ganz bewusst das Thema Hundephobie.
Meine Frau meinte lediglich, da der Hund doch wohl noch jung sei, sei er gewiss auch noch klein und aller Wahrscheinlichkeit nach nicht übermäßig gefährlich. Sie jedenfalls sei bemüht, sich mit der neu entstandenen Situation möglichst vorurteilsfrei auseinanderzusetzen, schon mit Rücksicht auf den Jungen, dem man doch schließlich seine Freude nicht verderben dürfe. Womöglich eröffne sich ihr selbst ja jetzt sogar die Chance, ihrer Angst vor Hunden im Wege einer eigenhändig vorgenommenen Konfrontationstherapie Herr zu werden.
Während wir uns anschließend schweigend dem Erdbeerquark widmeten, traf der Sohn ein. Er äußerte ein paar kaum verständliche Bemerkungen angeblichen Bedauerns, stellte eine große Plastiktüte mit der Aufschrift „Happy Dog“ ab und zog fast zeitgleich ein schwarzes Etwas hervor, das er unter seiner Jacke verborgen hatte und nun vorsichtig auf dem Kokosläufer in der Diele absetze. Dies sei also der Hund, merkte er bedeutungsvoll an.
Der Hund war tatsächlich sehr klein und sehr niedlich. Auf der Brust hatte er einen weißen Fleck. Wie den beigefügten Papieren zu entnehmen war, handelte es sich um eine Cocker-Mischung, schwarz, weiblichen Geschlechts, zehn Wochen alt. Die erste Maßnahme des Hundes bestand darin, auf den Kokosläufer zu pinkeln.
Bevor wir die Rückfahrt nach Berlin antraten, ließen wir uns von der Schwiegermutter ein altes Handtuch geben, legten es im Auto auf den Rücksitz und platzierten den Hund darauf. Der machte sich sofort zu einer kleinen schwarzen Kugel und schlief ein. Etwa auf halber Strecke hielten wir auf einem Rastplatz. Als wir den Hund nach ein paar Schritten auf den Asphalt setzten und ihn zum Urinieren aufforderten, schaute er uns fragend an und begann zu zittern. Erst nachdem wir unsere Aufforderung einige Male wiederholt hatten, leistete er Folge, wirkte dabei aber ziemlich unsicher.
Das brachte mich zu der Überlegung, dass hier eine gezieltere Ansprache eventuell Abhilfe schaffen könnte. Der Hund brauchte einen Namen, und den würden wir, seine Halter, ihm geben, gleichgültig, wie er bisher von dem Züchter genannt worden war. Wir begannen zu beratschlagen. Frieda, Berta, Trude und Helma wurden erwogen, aber wieder verworfen, wobei das Verwerfen im Fall Friedas etwas länger dauerte. Frieda erschien uns zumindest diskussionswürdig. Wir einigten uns auf Minna.
Minna sei einerseits hinreichend klangvoll aufgrund der zwei Vokale, andererseits aber auch kurz und eingängig, lautete unsere Begründung für diese Wahl. Letzteres sei insbesondere für den Hund von Vorteil, der sich seinen Namen schließlich merken können müsse. Wir beugten uns alle drei zu Minna hinab, streichelten sie und setzten sie, mal abwechselnd, dann wieder im Chor, davon in Kenntnis, dass sie ab sofort die Minna war.
2. Ambivalenz
Sich von der Niedlichkeit eines kleinen Hundes hinreißen zu lassen, ist das Eine. Das Andere ist die Frage der Alltagstauglichkeit jener Empfindungen, die durch den Anblick des niedlichen kleinen Hundes ausgelöst werden. In Biologiebüchern kann man etwas über den von der Natur verfolgten Sinn und Zweck der Niedlichkeitswirkung nachlesen, die im Fachjargon Neotenie genannt wird oder auch Kindchenschema. Es handelt sich um eine im Zuge der Evolution herausgebildete Strategie im Säugetierbereich, die großenteils artenübergreifend funktioniert und dazu dient, dem Nachwuchs per Appell an die Gefühle der Erwachsenen das erforderliche Maß an Zuwendung und Pflege zu sichern. Die Niedlichkeit ist also gewissermaßen zweckgebunden. Dass es bei außenstehenden Betrachtern zur Ausschüttung von Glückshormonen kommen kann, ist lediglich ein Nebeneffekt.
Genau hier deutete sich in unserem Fall ein Problem an. Nachdem außer unserem jüngsten Sohn auch meine Frau und ich den kleinen Hund namens Minna spontan sehr niedlich gefunden hatten, schlossen sich bei unserer Rückkehr nach Berlin auch die beiden älteren Söhne ebenso spontan diesem Urteil an Aber bereits nach wenigen Tagen schien die Neotenie an ihre Grenzen zu stoßen. Es war, als funktioniere diese Strategie in unserem speziellen Fall nicht so, wie es von der Natur eigentlich vorgesehen war.
Man könnte auch sagen: Die Integration des Hundes Minna in die Familie zählte, zumindest in der Anfangszeit, vermutlich nicht zu den strahlenden Höhepunkten der Geschichte des harmonischen Zusammenlebens von Tier und Mensch. Und dabei ließ sich schwerlich leugnen, dass diese unbefriedigende Entwicklung ausschließlich dem Verhalten der beteiligten Menschen anzulasten war. Der Hund verhielt sich einfach nur wie ein Hund. Das Verhalten der Familie indes ließ bezüglich des Umgangs mit dem Hund stark zu wünschen übrig. Immer hatte irgendjemand gerade keine Zeit, sich um Minna zu kümmern oder mit ihr Gassi zu gehen, weil er auf seiner täglichen Agenda Prioritäten gesetzt hatte, die dem entgegenstanden. Die Interessenkonflikte häuften sich und gipfelten in der von mir offen ausgesprochenen Überlegung, den Hund wieder abzuschaffen.
Das jedoch wollte auch niemand, sofern den entsprechenden Beteuerungen Glauben zu schenken war. Aber meine Frau gestand mir später einmal, ihr sei damals, in jenen Tagen, bisweilen der Gedanke durch den Kopf gegangen, der Hund könne womöglich weglaufen und nicht wiederkommen – und diese Vorstellung habe sie keineswegs als schlimm empfunden. Tatsache war, dass sich die Hundephobie trotz Minnas minimaler Ausmaße und ihrer Niedlichkeit nicht so ohne weiteres besiegen ließ. Meine Frau behauptete, sie fürchte sich vor diesem Tier, von dem sie angesprungen und gekratzt werde. Auch sei es bereits zu Beißattacken in Richtung ihrer Beine gekommen, zum Nachteil der Strümpfe.
Ich hielt diese Schilderungen für übertrieben, zumal sich die beschriebenen Vorgänge interessanterweise immer nur dann abspielten, wenn ich nicht dabei war. Ich erlaubte mir außerdem den Hinweis an meine Frau, dass gerade Hochsommer sei und sie diese Jahreszeit grundsätzlich unbestrumpft zuzubringen pflege. Sie erwiderte, dann sei alles ja noch schlimmer, da ihre Beine schutzlos den Zähnen des Hundes ausgeliefert seien.
Dass sie dabei war, sich in gewisse Widersprüche zu verstricken, schien ihr nichts auszumachen. Dennoch bemühte ich mich, sachlich zu bleiben und den hundekundlichen Fakten zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Beißfähigkeit eines solch jungen Hundes sei noch derart unterentwickelt, dass von dem Risiko einer ernsten Gefahr für Menschen nicht gesprochen werden könne, sagte ich. Und wenn auch einzuräumen sei, dass Welpenzähne ziemlich spitz seien, so stehe doch fest, dass der Hunde nur spielen wolle. Möglicherweise fühle er sich auch falsch behandelt und neige daher zu zeitweiligen frühkindlichen Aggressionsschüben.
Das Haus, das wir damals bewohnten, verfügte über einen Wintergarten, der gleichzeitig den Eingangsbereich bildet. Dort war Minna einquartiert worden, so als gebe es seitens der Familie ein unterschwelliges Bestreben, den Hund vom allgemeinen Leben ein Stück fernzuhalten. Da der Wintergarten allerdings unbestritten Teil der Wohnung war, hatte diese Maßnahme auch etwas Unentschlossenes. Ich stellte die Forderung auf, das bisher labile, ja ambivalente Verhältnis von Hund und Mensch in diesem Haus endlich auf eine stabile