Kapitel 3
Die Sonne scheint, eine Seltenheit im Juni, und Rosa-Li öffnet das Fenster, um es gleich wieder zu schließen. Lima stinkt mal wieder, wie immer, wenn der Wind von den Fischmehlfabriken in Callao kommt. Jede Stadt hat ihren eigenen Geruch. Buenos Aires riecht nach Metall, La Paz nach ungelüfteter Wäsche, Bogotá nach der grünen Spülpaste, mit der die Leute ihr Geschirr abwaschen. Weckte man sie nachts und hielte ihr eine Tüte Luft vor, würde sie sofort erkennen, wo man sie eingefangen hat.
Roberto schläft noch, und auch Rosa-Li beschließt, wieder unter die Decke zu kriechen. Es wäre zu schön, wenn Alejandra wegen einer dicken Korruptionsgeschichte ermordet worden wäre. Sie müssten ihr nur noch auf die Spur kommen. Nur noch. Und es müsste mindestens ein Minister damit zu tun haben. Oder der Präsident. Internationale Verwicklungen wären noch besser. Das könnte sie verkaufen. Niemand im deutschen Blätterwald interessiert sich mehr für Lateinamerika, seit hier nicht mehr blutrünstige Diktatoren ihr Unwesen treiben, deren Menschenrechtsverletzungen die Empörung des deutschen Durchschnittsredakteurs verdienen. Doch Sex and Crime ziehen immer. David würde ihr Zynismus vorwerfen. Aber nun ist Alejandra schon mal tot, und da ist es wohl kaum verwerflich, dass sie von einer heißen Story träumt. Womöglich handelt es sich aber nur um ein ganz gewöhnliches Familiendrama. Reicher Unternehmer tötet Ex-Frau aus Geiz, wahlweise Eifersüchtige Menschenrechtsanwältin erstickt Geliebte des Ehemannes. Oder so ähnlich. Sie war noch nie gut im Titeln. Auch wenn Laura ihr immer sympathisch war und sie ihren Einsatz für Demokratie und Menschenrechte bewundert hat – sie hatte ebenfalls ein Motiv, Alejandra zu ermorden.
Roberto räkelt sich, grunzt, schiebt die Hand unter ihre Bettdecke und schaut sie an. »Du hast wieder diesen entschlossenen Ich-mache-ganz-viel-Kohle-Blick. An welcher Erfolgs-Story strickst du denn gerade?«, will er wissen.
Sie setzt eine beleidigte Mine auf. »Du hast gut reden. Du schwimmst im Geld, ich dagegen kämpfe täglich ums Überleben.«
»Mir kommen die Tränen.« Roberto rutscht unter ihre Decke. »Glaubst du, du kannst deinen endgültigen Durchbruch zur Star-Publizistin ein paar Minuten verschieben und dich einem unbedeutenden, aber unwiderstehlichen Fernsehmoderator aus der Dritten Welt widmen?«.
Rosa-Li stöhnt. »Wenn es denn sein muss. Dass ihr Männer aber auch immer nur an Sex denken müsst!«.
Die Kellner räumen bereits das Frühstücksbüfett ab, als die beiden in den Speisesaal kommen, doch Roberto kann eine Serviererin mit einem schmachtenden Blick überzeugen, ihnen doch noch einen Kaffee und ein paar Rühreier zu bringen. Die junge Frau schmolz förmlich dahin, als er leise auf sie einredete. Sie musterte Rosa-Li von oben bis unten, und ihr war anzusehen, was sie dachte: Was macht so ein Traum von einem Mann mit einer etwas zu fülligen Fünfzigjährigen? Manchmal fragt sie sich das selbst. Wenn sie einen Durchhänger hat und mit sich und der Welt hadert. Damals, vor sechzehn Jahren, hat sie gelitten wie ein Hund, als er ihr sagte, er fände es toll, mit ihr gemeinsam zu recherchieren und dann zusammen ins Bett zu gehen, doch er wolle keine feste Beziehung. Lang, lang ist´s her. Sie hat dann David geheiratet, aber sie haben sich immer mal wieder gesehen, wenn sie in Kolumbien war, und Roberto hat sie sogar besucht, als sie als Korrespondentin für das Wochenblatt in Santiago de Chile lebte. Im letzten Jahr hat es dann wieder heftig zwischen ihnen gefunkt, als sie in Medellín nach den Entführern ihres Freundes Ottmar suchte. Drei Monate lang hat sie dann in Bonn ihre Kolumbien-Stories abgearbeitet, und sie haben fast täglich gemailt oder telefoniert. Zumindest im Moment ist das auch für sie okay. Sie hat geglaubt, das mit David sei fürs Leben, dann traf sie Roberto wieder, und David verschwand. Aus der Traum von der allabendlichen Gemütlichkeit am Kamin. Auch gut, zumindest hier und jetzt.
»Sag mal, machen wir nun Urlaub und gehen ins Museum oder klemmen wir uns hinter die Geschichte?«, fragt sie ihn.
»Ich vermute, meine Liebe, dass es sich dabei wieder um eine deiner rhetorischen Fragen handelt. Wir recherchieren, warum sonst sind wir nach Lima zurückgeflogen?«. Roberto nippt an seinem Kaffee und schüttelt sich: »Pfui Teufel, das ist ja Pulverkaffee!«.
»Klar, die Peruaner haben eine Schwäche dafür. Aber sei froh, dass sie dir Pulverkaffee gebracht haben und keinen Kaffeesud.«
»Kaffeesud?«. Er schaut sie ungläubig an. »Das klingt ja scheußlich.«
Sie nickt. »Den stellen sie in kleinen Karaffen auf den Frühstückstisch, und du gießt ihn dir nach Belieben mit heißem Wasser auf. Ist gewöhnungsbedürftig. Ich hatte es völlig vergessen, aber hier bestellst du am besten Espresso.«
»Werde ich mir merken. Aber zurück zum Thema: Ich denke, wir sollten uns auf die Suche nach diesem Journalisten machen.« Er zieht die Visitenkarte aus der Jackentasche. »San Juan de Lurigancho. Kennst du das Viertel?«.
Rosa-Li nickt. »Ziemlich weit draußen. Ich war da vor Jahren mal, da liegt ein Knast, in dem ich ein paar linke Guerilleros interviewt habe. Ist keine besonders vertrauenerweckende Gegend.«
»Am besten, wir mieten uns ein Auto. Denn ich gehe mal davon aus, dass du keine Lust hast, dich mit dem öffentlichen Nahverkehrssystem der peruanischen Hauptstadt vertraut zu machen.«
»Das siehst du genau richtig. Aber miete keine Luxuskarosse, die klauen sie uns unter dem Hintern weg.«
»Höre ich da etwa eine feine Spitze gegen mein Auto heraus?«. Er grinst.
»Aber wo denkst du hin! Die Automobilindustrie muss schließlich auch leben.«
Wenig später sitzen sie in einem Jeep, der schon bessere Zeiten gesehen hat. Roberto drückt Rosa-Li den Stadtplan in die Hand, denn einen Navi hat das Gefährt nicht, und sie sieht Schlimmes auf sich zu kommen. Nie hatte sie sich mit David so gezankt wie im Auto. Er vertraute seinem angeblich so untrüglichen Orientierungssinn und sie der Karte. Das Ergebnis ließ sich in Dezibel ausdrücken. Zum Glück ist heute Sonntag, da ist zumindest der Verkehr nicht so dicht. Und Roberto ist nicht David.
»Wäre ein Mietwagen mit Chauffeur nicht praktischer gewesen?«, fragt sie.
»Ich dachte, du warst schon tausend Mal in Lima. Da wirst du doch zumindest ungefähr wissen, wie wir fahren müssen.«
Warum hat sie bloß nie auf den Weg geachtet? Nach jeder Reise hat sie sich geschworen, sich künftig die wichtigsten Strecken zu merken, aber dabei blieb es dann. Auch beim nächsten Mal hockte sie sich wieder in den Fonds und vergaß die Straßenschilder.
»Ich schaue mir die Leute an, an denen ich vorbeikomme, denn schließlich will ich über die schreiben. Was interessiert meine Leser, wie ich irgendwo hingekommen bin?«, antwortet sie schnippisch. »Aber beruhige dich, ich werde den Weg schon finden. Schließlich kann ich Karten lesen. Und mein Handy hat ein Navigationssystem«, fügt sie noch hinzu.
„Meins auch, Süße, auch wenn ich aus der Dritten Welt stamme. Aber leider funktioniert es nicht. Weiß der Teufel, was mit dem Empfang los ist“, erwidert Roberto.
Ihr fällt dennoch ein Stein vom Herzen, als schließlich die kahlen, fast schwarzen Riesendünen auftauchen, die die Hauptstadt gegen den Rest des Landes abschirmen. »In den Dünen wohnen die Armen. Je höher du kommst, desto ärmer sind die Leute.«
»Wie in Medellín, aber bei uns wachsen auch weiter oben zumindest noch ein paar Bäume. Und es scheint die Sonne«, mault Roberto.
»Ist heute dein Bei-uns-ist-alles-besser-Tag? Zu deiner Beruhigung: Diese dicke, bleierne Suppe dauert nur ein paar Monate, ab August ist meist schon wieder tolles Wetter. Heute Morgen, als du noch süß von mir träumtest, kam schon mal kurz die Sonne durch. Hier schüttet es nie wie aus Badewannen. Hat auch seinen Vorteil. In Medellín habe ich mir nicht nur einmal