„Eine Person fehlt noch in dieser Runde!“ unterbrach Madame Faunette das Schweigen
„Wir vermuten, dass sie noch schläft“, sagte Harlekin eilig,.
„Dann lassen wir sie auch weiter schlafen! Sie läuft uns ja nicht weg!“
Madame Faunette brach in ein herzhaftes Lachen aus.
„Wie ich sehe, frühstücken Sie gerade. Das ist schön, sehr schön! Ich möchte, dass sich alle hier wie zu Hause fühlen und es soll Ihnen an nichts fehlen. Wenn Sie Wünsche haben, lassen Sie es mich sofort wissen. Ich werde versuchen, es Ihnen hier so angenehm wie nur möglich zu machen. Nun, das Hilton ist dieses Haus sicher nicht, aber ich denke, es lässt sich hier dennoch für eine Weile gut leben. Die sanitären Anlagen entsprechen zwar nicht dem neuesten Standard, was ich persönlich äußerst bedauere, aber die Zeit ist in dieser Region ein bisschen stehen geblieben und es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis das moderne Leben auch diese Gegend erreicht. Mal abgesehen davon, dass Modernisierungen eben auch erhebliche Kosten verursachen“, fügte sie hinzu, räusperte sich und schaute dann strahlend in die Runde.
„Sie möchten sicherlich erfahren, warum ich Sie alle nach San Diagos eingeladen habe, aber ich muss Sie darum bitten, sich noch etwas zu gedulden! Ich möchte, dass wir die nächsten Tage dazu nutzen, uns ein wenig näher kennen zu lernen! - Nur mit Joaquin möchte ich morgen schon ein Gespräch führen! Wenn wir ein wenig vertrauter miteinander geworden sind, werde ich mit jedem von Ihnen ein persönliches Gespräch führen, in dem Sie erfahren werden, warum ich Sie hierher eingeladen habe. Sie können versichert sein, dass ich auf all ihre Fragen zur gegebenen Zeit eingehen werde. So, aber nun muss ich selbst erst mal hier wieder richtig angekommen! Ich habe das Gefühl, dass noch ein Teil von mir in dem Flugzeug ist, das mich von Frankreich nach Spanien geflogen hat.“ Madame Faunette lächelte ironisch und verzog dabei ihre Augenbrauen.
„Wie ich sehe, ist noch ein viertes Gedeck frei. Haben Sie etwas dagegen wenn ich mich zu Ihnen setzte und gemeinsam mit Ihnen frühstücke?“
„Oh, ganz und gar nicht!“ reagierte Miranda als erste.
„Im Gegenteil, es ist uns allen eine große Freude. Mögen Sie Eier mit Speck und Tomaten? Es ist noch etwas davon in der Pfanne!“
„Dann mal her damit! Das ist nach dem Imbiss in diesem Flugzeug genau das Richtige!“ Madame Faunette setzte sich lächelnd neben Joaquin.
„Hat Leroy sich auch ordentlich benommen während meiner Abwesenheit?“ fragte sie und schaute einen nach dem anderen Augen zwinkernd an. „Er kann nämlich manchmal ganz schön Nerv tötend sein.“
Joaquin glaubte zu bemerken, dass Madame Faunette sich innerlich köstlich amüsierte.
„Nun, ich weiß ja nicht, wie sonst sein Benehmen ist, aber bis auf die Winzigkeit, dass er ein paar Dinge vom Tisch gefegt hat und auf Ohrläppchen steht, war er ganz passabel. Haben Sie ihm eigentlich das Sprechen beigebracht?“ fragte Joaquin und blickte seine Gastgeberin neugierig an.
„Nein, nicht ich habe ihm das Sprechen beigebracht. Es war Ihre Mutter!“
Joaquin hätte sich beinahe an seinem Käsebrot verschluckt. Auch Harlekin und Miranda schauten abwechselnd Madame Faunette und dann Joaquin an.
„Meine Mutter?“ wiederholte Joaquin etwas verwirrt und starrte den Papagei an, der auf der Obstschale hockte und sich genüsslich an einer Frucht labte.
„Ja, es war Ihre Mutter, die Lord Leroy das Sprechen beigebracht hat. Der Papagei gehörte ihr. Die beiden waren bis zu ihrem Tod ein Herz und eine Seele!“ betonte Madame Faunette und ihre Stimme hatte wieder diesen zärtlichen Unterton.
Joaquin ergriff in diesem Moment ein eigenartiges Gefühl. Es war das erste Mal seit vielen Jahren, dass jemand so direkt mit ihm über seine Mutter sprach. Dieser sprechende Vogel war eine wichtige Bezugsperson seiner Mutter gewesen, hatte täglich ihre Stimme gehört und war von ihr groß gezogen worden. Es war kein Neid, den er spürte, sondern das starke Gefühl einer Verbindung und Nähe zu seiner Mutter, wie er sie bisher so noch nicht verspürt hatte. Der Papagei und Madame Faunette waren diejenigen, die seine Mutter besser gekannt hatten als er selbst.
„Sie müssen wissen; ich war mit Joaquins Mutter zu Lebzeiten eng befreundet!“ sagte Madame Faunette zu Miranda und Harlekin gewandt, die immer noch erstaunt drein blickten.
„Ich bin nie bei meiner Mutter groß geworden und sie ist vor einigen Monaten verstorben.“ Joaquin hatte den letzten Satz leise gesprochen. Miranda schaute ihn mitfühlend an, sagte aber nichts.
„Es war der Wunsch Ihrer Mutter, dass ich mich nach ihrem Tod um den Vogel kümmere.“
„Oh, Sophie, Sophie, Sophie!“ säuselte Lord Leroy so komisch, dass alle - bis auf Joaquin - lachen mussten.
„Wo wohnen Sie eigentlich hier in diesem Haus?“ fragte Harlekin und es war nicht erkennbar, ob er bewusst das Thema wechselte.
„Ich wohne direkt über Ihnen, eine Etage höher. Gleich außen rechts von der Veranda führt eine Wendeltreppe nach oben und dort befinden sich mein Arbeitszimmer und meine Wohnräume.“
„Und wie lange leben Sie schon hier?“ hakte Miranda nach.
„Seit über dreißig Jahren ist dieses Haus mein zweiter Wohnsitz. Ich besitze noch eine Wohnung in Paris und pendle ständig hin und her. Offiziell lebe und arbeite ich in Paris. Aber auch hier gehe ich meiner Arbeit nach.“
„Welchen Beruf üben Sie denn aus?“ mischte sich nun auch Joaquin wieder ins Gespräch ein und er konnte die Neugierde in seiner Stimme nicht ganz verbergen. Eine kleine Pause entstand.
„Ich bin Tarot Kartenlegerin, Astrologin und Wahrsagerin!“ antwortete Madame Faunette mit gelassener Stimme.
Miranda stieß einen freudigen, aber überraschten Schrei aus. Harlekin verschluckte sich an seinem Wurstbrot und begann fürchterlich zu husten und Joaquin starrte Madame Faunette einfach nur an.
„Ich übe den gleichen Beruf aus, wie Joaquins Mutter es zu Lebzeiten getan hat. Die Kunst des Kartenlegens und der Astrologie und wir beide gehören und gehörten zu den Besten dieser Zunft!“
Federico
Eine ganze Weile sagte keiner von ihnen ein Wort. Miranda und Harlekin blickten auf Joaquin.Dieser saß wie erstarrt auf seinem Stuhl und schien immer noch nicht begriffen zu haben, was er soeben gehört hatte. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit dieser Aussage von Madame Faunette. Langsam fing er sich wieder.
„Meine Mutter war eine Hexe?“ fragte er heiser und hatte das Gefühl, neben sich zu stehen.
„Nein! Ihre Mutter war eine Tarot Kartenlegerin, Astrologin, und Wahrsagerin und keine Hexe! Das ist ein riesengroßer Unterschied. Sie war ein hoch entwickelter, spiritueller Mensch! Genau wie ich! Wir leben nicht mehr im Mittelalter, obwohl ich manchmal daran Zweifel hege, vor allem wenn ich mir den Bewusstseinszustand gewisser Zeitgenossen anschaue, besonders den der Katholischen Kirche! Aber, Joaquin, das ist ein Thema, das ich im Moment nicht weiter ausführen möchte. Ich kann Ihnen versichern, ihre Mutter war wirklich gut! Sehr gut sogar! Eine der Besten! Bitte haben Sie noch bis morgen Geduld, dann erfahren Sie mehr.“
Madame Faunettes Stimme hatte einen resoluten Ton angenommen und allen war klar, dass dieses Thema für heute beendet war.
„Das