In der Semiotik wird seit langem darüber gestritten, wie es überhaupt möglich ist, dass mich ein Papier mit Farbspuren über die Anwesenheit von Äpfeln täuschen kann. Im Gegensatz zum Wort ist das Bild nicht ein arbiträres, also ein willkürlich formbares Zeichen. Beim Bild kann man die Formen nicht ändern, ohne damit auch die Botschaft zu beeinflussen. Es ist nicht möglich, willkürliche Formen zu kreieren, die dann auch dasselbe Erlebnis von Äpfeln erzeugen. Ein Begriff der Verbalsprache kann im Gegensatz zum Bild ohne Folgen auf die Bedeutung in eine andere Sprache übersetzt werden. Eine Folgerung daraus sagt, dass die Bildbedeutung nicht willkürlich festgelegt werden kann, sondern natürlich geschieht. Der Bildwissenschaftler Sachs-Hombach nennt die Bilder aus diesem Grund "wahrnehmungsnahe Zeichen".
Einige Sprachwissenschaftler verwenden den auch in der Umgangssprache oft verwendeten Begriff Ähnlichkeit. Sie sagen, das Bild habe Ähnlichkeit mit den Äpfeln. Das muss aber ein offensichtlicher Irrtum sein, denn das Papier, das ich in der linken Hand halte, hat keinerlei Ähnlichkeit mit den Äpfeln in der Einkauftasche. In einer Bildtheorie muss der Ähnlichkeitsbegriff folglich genauer definiert werden.
„Die Debatte um die räumliche Repräsentionalität von Bildern ist die älteste und zugleich populärste: In ihr stehen sich vereinfacht gesprochen Konventionalisten und Realisten gegenüber, wobei Erstere den Modus der zentralperspektivischen Raumdarstellung als Übereinkunft oder Gewohnheit einstufen, letztere dagegen als diejenige Form, durch welche die Bilderscheinung dem Dargestellten ähnlich ist.“ (Günzel 2009, S. 62.)
Die eher den Konventionalisten zuzuordnenden semiotischen Theorien behaupten, das Bild führe zu einer Repräsentation der Äpfel im Sinne eines kognitiven Prozesses, und ich identifiziere diese nicht wegen einer Ähnlichkeit, sondern weil ich es gelernt habe, in den Farben und Formen auf dem Papier Äpfel zu sehen, so wie ich es gelernt habe, dass ein Mann in einem Bild, der an einem Kreuz hängt, Christus sein muss. Das würde bedeuten, dass Bilder über die dargestellten Gegenstände Geschichten erzählen und dass das Erkennen von Bildern auf erlernten, gesellschaftlichen Verhaltensnormen beruht.
Ich kann mich aber weder an eine Schulstunde erinnern, in der mir die Aufgabe gestellt wurde, die Gegenstände auf Bildern zu lernen wie die Buchstaben, die Fremdwörter oder grammatikalische Regeln, noch kann ich mich an einen Moment der Kindheit erinnern, wo ich einen Gegenstand auf einem Bild nicht erkannt habe. Ich habe möglichweise eine dargestellte Geschichte nicht verstanden, aber die dargestellten Gegenstände waren in jedem Moment präsent.
Erlernte oder eingespielte Normen und Konventionen lassen sich zudem ablehnen und deren Einhaltung verweigern. Ich kann aber nicht verhindern, auf dem Bild Äpfel zu sehen, dafür müsste ich die Augen schliessen. Dann sehe ich aber auch die wirklichen Äpfel nicht mehr.
Auch die Begriffe des Lernens und der Konvention bedürfen einer Klärung.
Methodische Fragen
Beschreibungen der Eigenart oder Funktionsweise der Bilder wecken den Eindruck, etwas über das Bild aussagen zu können und zu erfahren. Sie geben jedoch nicht über das Bild, sondern bloss versteckt darüber Auskunft, wie und auf was sich die erklärende und beschreibende Sprache richtet. Sie führen weder zu einer Bildwahrnehmung noch zu einer Bilderfahrung. Diese Aussagen sind methodische Spiegelungen, die nur indirekt über den beschriebenen Gegenstand Auskunft geben. Was bei dieser Spiegelung im Detail entsteht, werde ich im letzten Kapitel anhand eines Modellprozesses aufzeigen. Es scheint mir wichtig festzustellen, dass hier mit dem Medium Sprache und nur am Rand mit Bildern argumentiert wird. Der Professor für Vergleichende Bildtheorie Lambert Wiesing sagt über das mediale Problem folgendes:
„Der mimetische Charakter der Philosophie verlangt von ihr selbst eine konsequente Mitthematisierung jener Medialität, durch die hindurch etwas gesagt und gebildet wird, so dass ein Wissen darüber stets in Erinnerung bleibt, dass mit den Mitteln der Rede oder des Bildes nicht das Ding selbst, sondern die Darstellung des Dinges zum Vorschein kommt.“ (Wiesing 2005, S. 148.)
Wiesing setzt hier Wort und Bild in dieselbe Kategorie, was sich als problematisch erweisen wird. Der Medientheoretiker Marshall McLuhan bringt es vereinfacht auf den Punkt:
„Das Medium ist die Botschaft.“ (Luhan 1997, S. 112.)
Sprachen werden als Kulturtechniken betrachtet, die sich selber thematisieren können, also zum Beispiel die Verbalsprache, die ich hier verwende. In der Kulturtechnik Kochen kann ich das Kochen nicht reflektieren. Ein Koch würde da vermutlich widersprechen. Ob die Bilder zu den Sprachen gehören ist auch umstritten. Um in diesem spiegelnden Spiel mehr an Präzision und Eindeutigkeit zu gewinnen, wird immer wieder versucht, die Sprachen zu "reinigen". Man nimmt an, dass wenn die Spiegel immer sauberer und präziser werden, man genauere Auskünfte über das Gespiegelte selber erhielte und die Aussagen weniger missverständlich sind. Der amerikanische Philosoph Richard Rorty betrachtet eine bildhafte Sprache als Ursache von Missverständnissen. Für ihn gehören Bilder nicht in das Gebiet der erkenntnistheoretischen Aussagen.
Nun entdeckt man, dass die grösste Verunreinigung in diesem Prozess der Autor und Beobachter selber ist, da er sich in den Spiegeln immer wieder selber anblickt, und im Versuch, an Präzision zu gewinnen, das Ausgrenzende verstärkt. Darum berufen sich einige Wissenschaften auf Kulturtechniken, in denen der Betrachter scheinbar draussen bleibt, das sind zum Beispiel die Mathematik, die Geometrie und die Programmiersprachen. Auch andere Philosophen beklagten die Verunreinigung der Spiegel und reduzieren ihre Aussagen auf wenige, radikale Sätze. Nur lassen sich aber mit diesen Tätigkeiten nichts mehr über die Tätigkeiten und den Tätigen selbst aussagen. Das Medium beschränkt sich auf Anweisungen und die Aussagen werden reine Funktionen, oder es wird lapidar festgestellt, dass weitergehende Aussagen sinnlos sind. Der letzte Satz in Wittgensteins logisch-philosophischen Traktaten lautet:
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen“.
Mit dem nun folgenden sprachlichen Spiel sollen die Türen und Fenster, durch die der Betrachter ein- und austreten kann, durch die er hinein- und hinausschauen kann, offen bleiben. Die Folge davon ist eine gewisse Ansammlung von Verunreinigungen. In den Ecken sammeln sich Fettreste an, und auf den Büchern Staub. Einzelne der Stockwerke zeigen sich als unpassierbar. Das Licht erkenne ich erst, wenn ich einen Vorhang ausschüttle und sich das Licht in den Millionen von Staubpartikeln bricht.
Meine Frage richtet sich zuerst darauf, was nach der begrifflichen Auflösung eines problematischen Gegenstandes wie dem Bild übrig bleibt, anschliessend auf die Frage nach den Grenzen der Konventionalität. Darf man von Grenzen sprechen oder sind diese nicht viel eher fliessende Übergangsbereiche? Die von vielen Wissenschaften sehnlichst herbeigewünschte Möglichkeit, die Welt in absolute Kategorien einteilen zu können, muss ein Wunschdenken bleiben. Kategorien und Modelle sind Möglichkeiten und rein denkerische Hilfsmittel.
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