Die tätowierten Augen. Viktoras Pivonas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Viktoras Pivonas
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741832239
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führte sie ihn zu der gläsernen Kugel. Der Mann musste sich ins Gras legen; sie kniete an seiner Seite nieder und nahm das Röhrchen zur Hand, aus dem die Blitze schossen.

      Schau, sagte die Frau und griff sich ein welkes Blatt. Ein greller Strahl durchbohrte das Blatt.

      Schau, wiederholte sie und hielt das Blatt vor sein Gesicht, damit er das Löchlein sah.

      Los! sagte er.

      Da holte sie wieder ihre Lupe hervor, beugte sich über sein Gesicht und ließ den ersten Blitz in sein Auge fahren. Dann kamen die Blitze Schlag auf Schlag und ihm war, als müsste er direkt in ein Feuer schauen. Nach einer Weile hätte er am liebsten die Augen geschlossen und den Kopf zur Seite gedreht. Aber sein Wunsch war stärker und obwohl ihn die Lichtblitze zunehmend schmerzten und die Augen zu tränen begannen, hielt er still. Als er meinte, es nicht mehr ertragen zu können, sagte die Frau:

      Das war das eine, jetzt das andere Auge.

      Der Mann nickte. Obwohl er wusste, was ihn erwartete, schien jetzt alles nur noch schlimmer. Ihm war, als läge er unter einer Nähmaschine und als würde eine Nadel immer schneller und heftiger in sein Auge fahren.

      Als die Frau schließlich aufstand, sagte er:

      Jetzt bin ich wirklich blind.

      Geblendet, antwortete die Frau. Kein Wunder, bei diesem Licht. Bleib liegen und erhole Dich ein bisschen. Vielleicht hörst Du das Gras wachsen.

      Sie lachte leicht und er hörte, wie sich Ihre Schritte entfernten. Dann war es still. Das Gras raschelte an seinem Ohr; in der Ferne vernahm er den Gesang einer Lerche. Als die Frau nicht wieder kam, blinzelte er vorsichtig unter den Lidern hervor. Das war gut so, denn das Licht blendete ihn so stark, dass gleich wieder Tränen flossen.

      Immerhin, sagte er sich, ganz blind bin ich nicht.

      Der zweite Versuch verlief schon besser und nach dem dritten stand er auf und ging ins Haus. Da saßen die Frau mit ihrem bärtigen Helfer und der junge Mann, der den Spiegel gehalten hatte, um einen Tisch.

      Setz Dich, lud die Frau ihn ein, hier sind Brot und Wein. Danach kannst Du schlafen.

      Und der Bärtige sah ihm direkt in die Augen und wandte sich dann an die Frau:

      Gute Arbeit.

      Ich weiß, erwiderte sie, es ist gute Arbeit.

      Als der Winzer einige Tage später vorbeikam, um den Mann abzuholen, war er nicht wenig erstaunt, ihn bei der Gartenarbeit zu treffen.

      Ich hole nur mein Bündel, sagte der Reisende. Verabschiedet habe ich mich schon.

      Als sie dann auf der Fahrt nebeneinander saßen, meinte der Winzer:

      Ich sehe keinen Unterschied.

      Ich auch nicht, antwortete der Mann. Jedenfalls nicht im Spiegel. Als ich danach fragte, erklärte die Frau: mir würde es gehen wie dem Angler, der sehe auch nur die Fische. Und nach einer Pause habe sie hinzugefügt: ich würde jetzt gute Freunde brauchen.

      Fein, sagte der Winzer, neben Dir sitzt schon einer. Dann lenkte er die Fuhre um ein Schlagloch.

       -.-

      Kaum schwieg der alte Abel, sagte der Junge, der noch immer zu seinen Füßen saß und nur von Zeit zu Zeit das Feuer geschürt und nachgelegt hatte:

      Das war ein schönes Märchen.

      Moment, Moment, meldete sich jemand zu Wort, Abels Geschichte ist noch nicht zu Ende.

      Doch, sagte der Junge und zu Abel: die Geschichte ist doch zu Ende?

      Nein, nein widersprach die Stimme aus dem Hintergrund: das geht noch weiter. Die Frau hat etwas mit seinen Augen gemacht, das muss doch eine Wirkung haben. Ich möchte auch wissen, was sie ihm hineingezeichnet hat…

      Wird man das je erfahren? fragte die junge Frau eher sich selbst.

      Aber das muss weitergehen, beharrte die Stimme, die sich bisher so hartnäckig geäußert hatte: der Mann kann doch wieder sein Leben in die Hand nehmen, ohne Angst zu erblinden. Das geht bestimmt weiter…

      Ja, ja, stimmte Abel zu, das geht weiter. Ich bin nur ein bisschen müde geworden. Ich hätte nicht gedacht, dass mich eine so kurze Erzählung dermaßen ermüden könnte. Nun ja, die letzten Tage.

      Sicher nicht nur die letzten Tage, sagte plötzlich der Verwundete, es waren Jahre, schlimme Jahre.

      Und es ist noch nicht vorbei, meinte die junge Frau.

      Mir, sagte der andere Uniformierte, der mit dem roten Stern, und wiederholte dann: Frieden!

      Dabei sprach er so laut und heftig, dass alle erschraken. Vielleicht auch, weil seine Stimme rau und fremd klang und gleichzeitig so schmerzlich, als müsste er sich zwingen, in dieser Sprache zu sprechen

      Plötzlich schien es taghell zu werden. Eine nackte Glühbirne, die an einem Kabel von der Decke hing, war unvermittelt aufgeflammt. Abel schien der Einzige zu sein, der nicht geblendet zu Boden blickte.

      Jetzt haben wir auch Licht, Licht und Wasser meinte er. Etwas scheint ja immer noch zu funktionieren.

      Wie lange? fragte die junge Frau.

      Wir werden sehen, antwortete Abel, falls wir es überhaupt wollen. Wo Licht ist, ist auch ein Schalter.

      Da ist auch ein Schrank, sagte der Junge. Alle blickten sich um.

      Tatsächlich, sagte die Dunkelhäutige, und was ist das?

      Sie wies auf einen großen Kasten, der in einer Nische stand.

      Ein Radio, antwortete Abel.

      Ziemlich groß, sagte der Verwundete. Fast so groß wie der Schrank.

      Ein Schrankradio, sagte der Junge.

      Lass die Finger davon, wollte der Verwundete rufen, da hatte der Junge schon an einem der Knöpfe gedreht.

      Es knackte, dann brummt es leise und dann lauter und schließlich, während das Brummen verschwand, klang Musik auf – so laut, dass das Gewölbe davon erfüllt wurde.

      Leiser, befahl die junge Frau.

      Du musst den Knopf drehen, mit dem Du es eingeschaltet hast, sagte Abel.

      Es wurde tatsächlich leiser. Jetzt konnte man auch ein Tuch erkennen, hinter dem sich der Lautsprecher befinden musste. Und eine gelblich erleuchtete Skala trug auf ihrer gewölbten Fläche eine Reihe von Stationsnamen, die der Junge vorzulesen versuchte.

      Lass das, bat der Verwundete.

      Das hat wirklich noch Zeit, stimmte die junge Frau zu, wir müssen uns erst umsehen. Was ist denn im Schrank?

      Der Junge öffnete die Tür.

      Käse, sagte er enttäuscht.

      Wirklich Käse? fragte Abel und stand auf.

      Das wäre eine Gottesgabe, murmelte er. Scheint wirklich Käse zu sein. Alter, harter Käse.

      Und Wein? fragte jemand.

      Da wäre ein Haufen Kisten beiseite zu räumen, meinte Abel, aber vielleicht lohne der Versuch. Doch während er das sagte, flackerte das Licht einige Male auf und ab, um dann ganz zu verlöschen. Mit einem klagenden Ton erstarb auch die Musik.

      Schade, sagte der Junge und ging zum Feuer. Die anderen standen noch unschlüssig umher, doch dann kehrten auch sie zu ihren Plätzen zurück.

      Eigentlich ist es eine gute Sache, sagte der Verwundete, sich die Zeit mit Geschichten zu vertreiben. Ich heiße Toni, nein, eigentlich heiße ich Anton, aber zuhause wurde ich immer Toni genannt. Leider ist meine eigene Geschichte nicht sehr interessant, ich bin auch kein guter Erzähler, aber wenn ich zuhöre, habe ich das Gefühl, mir könnte etwas einfallen, was ich einmal gehört habe. Kurz, ehe das Licht ausging, war mir, als müsste ich nur anfangen zu sprechen… Aber dann wurde es hell und der Einfall war fort.

      Aufgeschoben