Die tätowierten Augen. Viktoras Pivonas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Viktoras Pivonas
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741832239
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dass er schon ein halbes Leben lang unterwegs sei, immer auf der Flucht vor dem Bösen. Nein, schloss er seinen Bericht, mir kann keiner helfen.

      Der Angler lächelte, zog einen weiteren Fisch an Land und meinte, damit hätte er nun wirklich genug, um heute nicht nur seine Frau und seine Freunde zu ernähren, für einen Fremdling sei auch was da.

      Komm, sagte der Angler, sei mein Gast.

      Sie erhoben sich und zu seiner Verwunderung führte der Angler ihn in jene Wirtschaft, in der der Reisende den getrockneten Fisch gekauft hatte. Kaum dass sie das Haus betreten hatten, kam schon der Wirt, nahm dem Angler die Fische ab und versprach, sie gleich zuzubereiten.

      Während sie sich an den Tisch setzten, kam ein weiterer Gast, dessen Arme über und über mit Trauben bedeckt schienen, so dass man größte Lust bekommen hätte, eine davon zu pflücken, hätte man nicht gewusst, dass auch sie von einem Meister seines Fachs stammten.

      Ich brauche dir unseren Winzer wohl nicht mehr vorzustellen, sagte der Angler und bat den Neuen, ebenfalls Platz zu nehmen. Nachdem der sich gesetzt hatte, erzählte er, dass er gerade einige Fässer Wein eingeliefert hätte. Was die beiden denn von einem kräftigen Schluck hielten?

      Der Wirt brachte Gläser und nachdem Frau und Kinder des Anglers gekommen waren, saßen alle einschließlich des Wirtes mit seiner Familie bei Fisch und Wein.

      Köstlich, sagte der Angler.

      Wie immer, ergänzte der Winzer und alle nickten.

      Und jetzt zu dir, begann der Angler und wandte sich an den Reisenden, sobald er bemerkte, dass der sich zurücklehnte und Anstalten machte, sich zu bedanken: Ich werde meinen Freunden deine Geschichte erzählen.

      Das tat der Angler und obwohl er sie viel kürzer und einfacher erzählte als es sein Gast getan hätte, schwiegen seine Zuhörer betroffen, bis der Wirt schließlich meinte, dass es so einen Fall hierzulande noch nie gegeben habe.

      Nein, wiederholte der Wirt, so etwas hatte er noch nie gehört.

      Aber, sagte der Winzer, irgendwann ist uns allen geholfen worden.

      Der Angler nickte zustimmend:

      Eben, warum sollte man ihm nicht helfen können? Sicher, die Sache liegt schwieriger als bei einem Fischer oder Schuster oder bei einem Jäger – aber bisher wurde allen geholfen.

      Noch ein Glas, meinte der Winzer und dann sollte unser Freund erst einmal ausschlafen; morgen, wenn sich nur das Wetter hielte, würde man weiter sehen.

      Der Wirt stimmte zu. Ein Zimmer sei gerade frei geworden, das könnte der Fremde haben.

      Am nächsten Morgen wurde der Mann von einem Mädchen geweckt, das ihm Milch und Brot ans Bett stellte und die Fenster öffnete, weil es doch so ein schöner Tag zu werden versprach. Und erst, als das Mädchen sein Zimmer verlassen hatte, fiel dem Mann ein, wie wunderschön es gekleidet war und noch einen Augenblick später fragte er sich, ob es wirkliche Kleider gewesen waren, die er gesehen hatte.

      Kaum war er aufgestanden, klopfte der Winzer an seine Tür. Er müsse zurück zu seinen Weinbergen, sagte er, könne ihn aber ein Stück mitnehmen. Er hätte schon alles mit dem Wirt und dem Angler besprochen. Man sollte sich nur schnell verabschieden und dann wollten sie aufbrechen.

      Der Mann lief zur Mole, wo der Angler schon wartete, und nachdem der ihm Glück gewünscht hatte, kletterte er auf den Sitz neben dem Winzer, der seinen leeren Wagen hinaus in die Felder lenkte.

      Angelegentlich schaute der Winzer zum Himmel und nickte zufrieden, weil er kein Wölkchen entdeckte. Langsam wurde es wärmer, und als nach einigen Stunden Fahrt die Sonne hoch am Himmel stand, begann der Winzer zu sprechen:

      Wir sind gleich da. Iss erst einmal eine Traube. Etwas Stärkung wirst du schon brauchen. Ich werde Deinen Fall schildern und danach weiterfahren. In einigen Tagen, wenn ich die nächste Fuhre zur Küste bringe, hole ich Dich wieder ab.

      Nach einer weiteren Biegung des Weges lag vor ihnen ein kleines Anwesen.

      Da ist es schon, sagte der Winzer. Dann wies er auf die Früchte, die seine Arme bedeckten:

      Die wurden hier gezogen.

      Nachdem er in den Hof eingebogen war, hieß er den Mann warten. Es würde bestimmt nicht lange dauern. Schließlich kam er in Begleitung einer Frau zurück. Sie verabschiedete den Winzer mit einer Handbewegung, ehe sie sich dem Reisenden zuwandte. Dem fielen vor allem ihr schmaler Kopf, voller grauer Locken, vor allem aber eine sonderbare Brille auf, deren kleine, viereckige Gläser ganz dicht bei der Nasenwurzel standen. Eine solche Brille hatte der Mann nur beim Uhrmacher gesehen, wenn es darum ging, die winzigsten Räderwerke zu bearbeiten.

      Dein Freund, der Winzer, sagte die Frau statt einer Begrüßung, hat mir Deine Geschichte erzählt. Doch ich muss Dir erst in die Augen sehen. Eins sollte ich Dir freilich jetzt schon sagen: rückgängig machen kann ich nichts. Komm mit!

      Sie führte ihn in einen Raum, in dem große und kleine Bilder hingen. Ohne Schwierigkeiten erkannte der Mann auf ihnen den prächtigen Fisch des Anglers, die Trauben, die jetzt die Arme des Winzers schmückten, sowie einige schöne Kleider.

      Die meisten Wünsche, sagte die Frau, sind leicht zu erfüllen. Es sind ja auch handfeste Dinge, wie Du siehst. Aber bist Du ganz sicher, dass Du weißt, was Du willst?

      Der Mann konnte nur nicken.

      Nun gut, sagte sie im nächsten Zimmer. Setz Dich mal auf den Stuhl. Ja, auf den vor dem Fenster. Ich sagte ja, ich muss erst Deine Augen prüfen. Und dann beugte sie sich über ihn und durch ihre Brille und eine große Lupe senkte sie ihren Blick in seinen.

      Und jetzt schau mal nach oben, und jetzt nach unten, befahl sie, und jetzt ein bisschen nach links und jetzt nach rechts.

      So ging das eine Weile, wobei sie sich räusperte und manchmal ´hm, hm´ machte und manchmal gar nichts. Schließlich setzte sie die Lupe wieder ab und meinte, so einen Fall hätte sie tatsächlich noch nicht gehabt.

      Komm, sagte sie, ich werde Dir etwas zeigen.

      Dabei nahm sie seine Hand, so dass er aufstehen musste und ihr wie ein Kind folgen.

      Leise, sagte sie, wir dürfen jetzt nicht stören.

      Der Mann ließ alles mit sich geschehen. So dicht am Ziel seiner Wünsche, wollte er keinen Fehler machen. Schweigend folgte er ihr in den Garten. Zwischen Blumen und Gemüsebeeten stand auf einem Gestell eine kürbisgroße, gläserne Kugel, in der sich das Sonnenlicht sammelte. Dort, wo das Licht gebündelt und gleißend aus der Kugel austrat, lenkte es ein Junge mit einem Spiegel in eine Röhre, die wie ein Fernrohr aussah. Beweglich, am Ende des Rohres, war eine bleistiftdünne weitere Röhre befestigt, die ein bärtiger Mann in der Hand hielt und aus deren Spitze nadelfeine Blitze sprühten. Punkt für Punkt brannte der Bärtige mit dem Instrument einem Mädchen einen Ring um den Finger. Blitz auf Blitz bohrte sich in die Haut und hinterließ eine farbenprächtige Spur, die schließlich ihren Finger umschloss.

      So einfach ist das, sagte der Mann, und ließ die Hand seiner Führerin los.

      Ja, antwortete sie, so einfach – wenn man es kann. Aber komm zur Seite. Du darfst meinen Helfer nicht stören. Die Kleine wollte mehrere Ringe. Etwas musst du noch warten. Leg dich inzwischen ins Gras. Ich pflücke noch einige Kirschen, Tollkirschen, fügte sie hinzu.

      Kaum hatte sie ihn verlassen, war sie schon wieder da.

      Es wird schmerzen, sagte sie, das Licht wird Dich blenden und zunächst wirst Du gar nichts erkennen. Aber Böses wird Deinen Augen nicht mehr schaden. Das kann ich versprechen.

      Genau das wünsche ich mir doch, sagte der Mann.

      Ja, ja, das wünschst Du Dir, antwortete sie geduldig, das heißt aber noch lange nicht, dass das Böse aus der Welt verschwindet.

      Hauptsache, sagte der Mann, ich werde nicht blind.

      Wenn Du unbedingt willst, sagte sie, komm, die beiden sind jetzt fertig. Als erstes träufele ich Dir Tollkirschensaft in die Augen, damit sie sich