Mit der Wut des Überlebens. Lars Gelting. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lars Gelting
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738026283
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ihn nachdenklich an, nickte dann wie zustimmend vor sich hin.

      „Euer letzter Kredit über viertausendfünfhundert Gulden kostete euch ‚sieben vom Hundert‘ aufs Jahr.“

      „Ihr verwahrt die Verträge?“ Eberlein legte seinen Kopf leicht schräg, hatte die kleinen Augen in gespielter Empörung weit aufgerissen.

      „Alle!“

       Ulrichs Gelassenheit begann den anderen zu reizen. Einen Moment rutschte er auf seinem Stuhl herum, ruckte dann vor, fuhr ungeduldig mit der Hand durch die Luft:

      „Das ist ja Schnickschnack! Die Verträge der letzten Jahre hervorzukramen! Wer da gestorben ist, wird auch nicht mehr lebendig. Also macht mir jetzt ein vernünftiges Angebot, so wie euer Vater es gemacht hätte, und wir sind uns einig!“

      „Mein Vater ist ein vorsichtiger Mann! Er hätte euch zweitausendsiebenhundert Gulden zu ‚sieben vom Hundert‘ angeboten, wenn ihr ...“ Eberleins Kopf ruckte in den Nacken, der Mund öffnete sich wie in drohendem Abwarten, „...für diese Summe ein entsprechendes Pfand leisten könntet.“

      „Seid ihr noch ganz bei Trost?“ Der kleine, dicke Mann schien beinahe die Fassung zu verlieren, ruckte vor, soweit ihm das sein Bauch genehmigte, fuchtelte mit der Hand über dem Tisch, „Seit Jahren nehme ich Geld von euch und zahle es pünktlich zurück! Ihr habt an mir schon Unsummen verdient. Und jetzt kommst du kaltschnäuzig daher, bietest mir das Geld einer Frau zu einem Zins an, der in diesen Zeiten absoluter Wucher wäre! Und dann willst du noch ein Pfand von mir?“ Er wandte sich ihr zu, die Augen im Zorn zusammengezogen, „Ihr behaltet euer Geld!“ Zurück zu Ulrich, „Und ich werde mich wohl nach einem anderen Verleiher umsehen!“ Schwer ließ er sich in seinen Stuhl zurückfallen, sprang aber nicht auf, wie sie es eigentlich erwartet hätte.

       Einen Moment lang war nur das druckvolle Schnauben Eberleins zu hören. Ulrich sah ihn derweil ruhig an, abwartend.

      „Ulrich!“ Bemüht ruhig legte er seine Unterarme und seine kleinen, aber sehr fleischigen Hände auf den Tisch. „Die Zeiten sind nicht mehr wie vor zwei – drei Jahren. Es gibt nichts mehr zu verpfänden, kein Familiensilber, kein Schmuck. Der Krieg hat alles gefressen.“ Auf dem Tisch griffen seine Hände so fest umeinander, dass der Druck Fleisch und Nägel weiß werden ließ.

      „Aber wenn die Geschäfte nicht weitergehen ...“ Sein Mund blieb offen, so als dächte er den Satz lieber nicht zu Ende.

       Ulrich bewegte sich ruhig an den Tisch, stützte den freien Arm auf, sah den anderen mit leicht vorgerecktem Kopf geradeheraus an, „Herr Eberlein, was soll ich denn machen? Es ist vollkommen ohne Bedeutung, ob das Geld von der Frau kommt oder von Izaak Goldberg. Die Zeiten sind unsicher, das Geld ist teuer oder nichts mehr wert. Ohne Pfand gibt kein Verleiher auch nur einen Gulden aus der Hand.“ Er löste sich von der Tischplatte, lehnte sich ruhig wieder zurück. „Ich bin sicher, ihr habt das alles schon selbst überlegt, bevor ihr hierher kamt. Habt ihr nicht vielleicht doch noch einen letzten Trumpf im Ärmel, der mir die Entscheidung erleichtern könnte?“

       Den anderen verließ jetzt endgültig alle Energie, alle Dynamik, die ihn seit seiner Ankunft gekennzeichnet hatte. Seine kleinen Schweineaugen müde auf die jetzt schlaff daliegenden Hände gerichtet, schüttelte er schwach sein rundes Haupt, „Der Eberlein besitzt nichts mehr von all den Werten, die er früher locker anbieten konnte. Mein Wagen, meine Pferde und mein Anwesen sind das Einzige was mir geblieben ist.“ Er lehnte sich langsam zurück, ließ die Fingerspitzen auf der Tischkante liegen, „Und einige gute Aufträge, die du beleihen könntest, die ich aber so lange nicht bedienen kann, wie mir das Geld für den Voreinkauf fehlt.“

       Ulrich presste seine vollen Lippen aufeinander, nickte verstehend, ließ seine Augen blicklos aus dem Gesicht des anderen auf dessen Brust und Bauch gleiten.

       Therese stand auf, löste sich von ihrem Stuhl, „Ulrich, ich möchte mit dir reden!“

       In aller Ruhe wandte er sich ihr zu, erstaunt zunächst, dann abrupt ablehnend: „Über dieses Geschäft gibt es nichts zu reden, absolut nichts!“

      „Wer sagt denn, dass ich über dieses Geschäft mit dir reden möchte? Aber ich muss dennoch mit dir reden!“ Sie wandte sich um, ging entschlossen zum Ausgang.

       Sie war gerade aus dem Haus, als Ulrich sie schon einholte, ihr zornsprühend den Weg verstellte. „Was glaubt ihr, wer ihr seid? Mich in diesem Ton aufzufordern. Lasst euch das nicht noch einmal einfallen! Ich eigne mich nicht zum Laufburschen für Beuteweiber!“

       Sie schnappte nach Luft! Wie ein auf Spannung gebrachter Bogen spannte sich ihr Körper, spannte sich jeder noch so kleine Muskel. Dann ließ sie die Schultern sacken. Gerade noch voller Zuversicht, musste sie jetzt schon wieder um Fassung kämpfen.

      „Das saß, Ulrich! Mach, was du willst!“ Sie ging einfach an ihm vorbei, während er hinter ihr druckvoll die Luft aus der Nase stieß.

      „Wollt ihr mich nicht wenigstens sagen, worüber ihr hier draußen mit mir reden wolltet?“

      „Ich habe euch gar nichts mehr zu sagen!“ Sie redete ohne einzuhalten oder sich umzuwenden.

       Sie erreichte das Boot, stand eine Zeit lang still mit verschränkten Armen, sah ins Leere, dachte nichts!

       Irgendwann überkam sie das Gefühl, unendlich matt zu sein, so als hätte der Fluss ihre Energie mit fortgetragen. Augenblicke später schon lag sie in ihrem Bett, vergaß die Welt.

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