Jetzt, im Frühlingswind und im Golf von Maine, freute sich Bradly auf die vielen Frauen, die auf ihn warteten. Dank der starken Motoren kamen sie gut voran. Auf hoher
See zu ankern war zu dieser Jahreszeit nicht ratsam.
Deshalb ging Bradly in einer geschützten Bucht nahe Cape Elisabeth gegen Abend vor Anker. Sie waren noch zu weit nördlich und Bodo hielt es nicht für angebracht, an Land zu gehen. Der Yachteigner hatte sich gut eingedeckt, so dass sie im Extremfall für gut eine Woche autark gewesen wären. Jetzt, nach so vielen Aufregungen, brauchte Bradly seinen Whiskey, möglichst viel Whiskey. Er hatte zwar dem Rauschgift abgeschworen, dafür fand er umso mehr Gefallen an Frauen und dem Alkohol.
Die Männer waren hungrig. Heute Morgen hatte es nur eine Tasse Kaffee gegeben. Ole war der Koch, der Smutje. Seine Mutter war eine begnadete Köchin, und Ole hatte ihr oft über die Schulter geschaut.
Gestern Abend hatten sie noch in der Kajüte des Kutters gesessen; sieben Mann auf engstem Raum, und draußen pfiff der Wind. Und heute Abend machten sie es sich auf dem großen Achterdeck einer Zwanzigmeter-Yacht zu viert gemütlich. In der geschützten Bucht wehte ein Lüftchen, welches den Frühling ahnen ließ.
Hinter der Crescent Beach dehnte sich ein großer, dicht bewaldeter Naturpark aus; mit einem Felsenmeer davor. Im Osten erstreckte sich der Atlantische Ozean. Ein großer, rotgelber Sonnenball berührte gerade den Horizont und tauchte die Wasserfläche in viele Rot-, Gelb- und Brauntöne; dazwischen das Dunkelblau des Wassers und das helle Glitzern der leichten Schaumkronen.
Bradly und Ole verschwendeten keinen Gedanken mehr über die Vorgänge von heute Vormittag. Sie hatten oft Szenen dieser Art erlebt, und waren ebenso oft dem Tode knapp entronnen. Für beide war es lediglich ein wahnsinnig guter und reibungsloser Einsatz gewesen. Mehr nicht.
Entgegen Bodos Gepflogenheiten gönnte er sich am Abend einen Whiskey. Sogar Marco, der dem Alkohol noch nie hatte etwas abgewinnen können, ließ sich ausnahmsweise ein großes Glas einschenken. Lediglich Ole blieb bei seiner Cola. Alkohol war für ihn tabu. Sein Vater hatte sich totgesoffen. Das reichte. Unabhängig davon hatte er geschworen, über Bodo zu wachen. Wie ein Wolf witterte er, dass sein Freund litt und zweifelte. Deshalb litt auch er. Ole grübelte, wie er Bodo in dieser Situation helfen konnte. Warum um alles in der Welt litt er. Schließlich war es seine Entscheidung gewesen, diese Brut in die Hölle zu schicken.
Bradly war im Unterdeck verschwunden, und tauchte mit einer neuen Flasche Whiskey wieder auf. Im Schein der spärlichen Beleuchtung glänzten seine Augen bereits glasig. Trotzdem hatte er immer noch einen erstaunlich aufrechten Gang.
»Deine Schüsse waren toll«, lallte der Mann aus Biloxi und klopfte Bodo unsanft auf die Schulter.
»He, das glaubt dir kein Schwein, dass du nicht in der Army warst.«
Bodo verzog keine Miene.
Obwohl der Whiskey Marco bereits leicht zugesetzt hatte, musterte er Bradly abschätzig und angeekelt.
Ole begann schlagartig die Haltung einer Katze einzunehmen; kurz bevor sie sich auf eine Maus stürzt.
Bradly, der mehr als eine halbe Flasche Whiskey in sich hineingeschüttet hatte, goss sich nun ein neues Glas nach; randvoll. Schwungvoll hob er das Glas, wobei sich ein Teil des Inhalts auf den Boden der Yacht ergoss.
»Auf dich Bodo«. Er machte eine kurze Pause.
»Aber mussten gleich alle sechs Kerle dran glauben? Von irgendetwas müssen die ja schließlich leben, wenn der Kabeljau dort oben alle ist.«
Er nahm einen weiteren kräftigen Schluck, und fügte leise, als spräche er jetzt nur noch mit sich, hinzu: »Aber was solls. Futsch ist futsch.«
Bodo blickte den Betrunkenen mit dem Ausdruck großen Erstaunens an. Leise erhob er sich, um wortlos unter Deck zu gehen.
»Du dekadentes, dummes Schwein«, fauchte Marco und goss Bradly sein halbvolles Glas
ins Gesicht. Er wartete nicht auf eine Reaktion und folgte Bodo in das Unterdeck. Bradly wischte sich die Flüssigkeit aus dem Gesicht und lispelte:
»Was für eine Verschwendung.«
Ole erhob sich langsam aus seinem luxuriösen Stuhl und ging an die Reling. Er blickte lange in die Dunkelheit und dachte an Nuncio.
Vor einem Jahr hatte Bodo Ole vorgeschlagen, zu Nuncio in die Toskana zu fahren. Ihn hatten sie bereits bei einigen Einsätzen kennen gelernt. Dieser würde dann mit ihm zu Umberto in die Abruzzen fahren, um dort einige Wochen zu verbringen. Widerwillig war Ole damals Bodos Ratschlag gefolgt. Doch bereits am ersten Tag wurde er von dessen Weitsicht überrascht.
Hoch oben in den Abruzzen, unweit eines riesigen Nationalparks, hatte Umberto gehaust. Zumindest dachte Ole dies anfangs. Doch bereits am zweiten Tag fühlte er sich wie zuhause; ein bisschen wie in den Fjorden und Wäldern Norwegens.
Umberto war mindestens genau so wild wie die Natur, in der er wohnte. Man sah ihn erst, wenn er neben einem stand. Nuncio, der bei Umberto in die Lehre gegangen war, um sich zu einem Meister der Garrotte ausbilden zu lassen, erzählte Ole später die Geschichte von Umberto:
Weltweit kannte man das Musikstück Il Silencio; das ursprüngliche »Signal zur Nachtruhe« durch den Stabstrompeter Oliver Willxoc Norton, welches von Nino Rosso, zu einer erfolgreichen Lied-Parodie leicht abgewandelt, zum Welterfolg wurde. Doch in den Bergen Italiens war mit diesem Namen eine völlig andere Bedeutung verbunden.
Sie alle kannten Umberto de Cosmo nicht persönlich. Er kam aus Longobucco, nordöstlich von Consenza in Süditalien. Als Strafe, dass er vor der Mafia nach Deutschland geflohen war, hatte die Mafia seine gesamte Familie ausgelöscht.
Umberto verdingte sich viele Jahre im Nationalpark del Polino als Holzfäller. Immer in der Nacht schlich er sich nach Consenza. Im Laufe von fünfzehn Jahren brachte er die gesamt Mafia-Clique um; dreißig Männer - einen nach dem anderen; immer in der Nacht - und immer mit einem Messer oder der Garotte. Weil ihn, bis auf eine einzige Ausnahme, niemand gesehen hatte, und er immer geräuschlos zu Werke gegangen war, erhielt er den Namen »Il Silencio«; der Mann, der seine Gegner leise zur Nachtruhe brachte. Nur ein einziges Mal wurde er schwer angeschossen. Es war Nuncio, der ihn gefunden und gesund gepflegt hatte. Seitdem waren sie enge Freunde.
Nach einer Woche hatte Ole das Gefühl, mit Zwillingsbrüdern durch die Schönheiten dieser Landschaft zu streifen. Die drei Wochen vergingen wie im Flug. Während dieser Zeit hatte er viel von Umberto und vor allem von Nuncio gelernt. Begeistert war er, wie diese beiden Männer mit der »Garrotte« umzugehen wussten; ein beliebtes Mordinstrument der Mafia.
Nur Bradlys Yacht ankerte in dieser Bucht. Die Nacht war inzwischen hereingebrochen. Die Luft war klar, und hier draußen waren weitaus mehr Sterne zu sehen als in den Städten. Aus dem nahen Naturpark drangen viele Geräusche herüber. Lediglich auf dem Achterdeck hatte Bradly eine kleine Notbeleuchtung angelassen.
Unter normalen Umständen hätte Ole eine Zeitlang dem Konzert aus den nahen