Alle drei Männer waren erstaunt, wie schnell sich Bradly gefangen hatte und wie flüssig er plötzlich sprach.
»Ich werde mich mit den wichtigsten Umweltorganisationen kurzschließen«, sagte Bodo. »Gleich morgen sollten wir mit der Küstenwache sprechen.«
Bradly hob beide Hände.
»Ich muss dich darauf vorbereiten, dass du mit den hiesigen Leuten von der Coast Guard nicht vernünftig reden kannst. Die sind beratungsresistent, dumm, arrogant und zumindest in dieser Gegend besonders korrupt. Sie haben die Macht und einen unendlichen Rückhalt. Hinter ihnen steht vor allem das von den Ölgesellschaften gekaufte MMS. Und dieser Verein hat wieder Rückhalt durch das Innenministerium. Die amerikanische Politik und die Ölmafia sind, besonders im Süden der Staaten, seit Generationen untrennbar miteinander verbunden.« Er runzelte die Stirn. „Wirst du bei diesem Gespräch eigentlich als Ewald oder als Bodo auftreten?«
»Verdammt gute Frage«, antwortete Bodo. »In diesem Fall muss ich Bodo sein. Als Ewald wäre ich nicht glaubwürdig.«
»Dann wissen die aber, dass Bodo im Lande ist«, warf Marco ein.
Bodo zuckte mit den Schultern. »Ich werde situativ entscheiden, wie ich zu reagieren habe.«
Ole musterte Bodo. Unmerklich. Es ging nicht darum, was Bodo gerade gesagt hatte. Wie er es gesagt hatte, ließ ihn aufhorchen.
Sollte er mit Bodo sprechen? Ihn warnen? Nein, es war nicht seine Aufgabe, Bodo zu korrigieren. Aber ab dieser Sekunde war er auf der Hut.
Jetzt galt es, besonders wachsam zu sein.
»Wir werden in Zukunft kämpfen, wie wir noch nie gekämpft haben. Ungefährlich wird das Ganze mit Sicherheit nicht. Für Menschen, die sich unserer Sache in den Weg stellen, darf es künftig nicht mehr so lustig werden.«
Die drei Männer sahen Bodo wortlos an. Keiner sagte ein Wort.
»Bradly, was hältst du davon, wenn wir sofort aufbrechen?«, fragte Bodo. »Wie wäre es mit folgender Route: Gulf Island National Seashores, Chandeleur Island, Delta National Wildlife Refuge, kurz in die Passe des Mississippi-Deltas, Venice, Bastian Bay, Barataria Bay, Jeffersen Plaquemines, Grand Isle und Port Fourchon. Schaffen wir das bis Samstagvormittag?«
Bradly schnellte aus dem Stuhl.
Seine Augen begannen zu glänzen.
»Eine ganze Menge halte ich davon. Aber zeitlich wird das knapp.« Er ruderte mit den Händen. »Aber jetzt muss ich rasch einige Sachen organisieren.
Bodo lachte.
»Von mir aus kannst du aber noch zu Ende frühstücken.«
»Ach was«, grinste Bradly. »Ich muss sowieso etwas abspecken, hat mir gestern eine hübsche Lady gesagt.«
Marco klopfte Bradly auf die Schulter: »So fängt es an. Zum Schluss bleibt dir nur noch die Rothaarige. Wie hieß sie gleich wieder?«
Vier Stunden später brachte Bradly die Yacht am Strand von Petit Bois vor Anker, eine der sieben Inseln des Gulf Island National Seashore. Die Inseln dieses Nationalparks sind wie natürliche Barrieren der Südküste von Mississippi, Alabama und am westlichsten Zipfel von Florida vorgelagert.
Bradly sprudelte vor Lebensfreude. Als Jugendlicher hatte er oft viele Tage oder Wochen auf diesen Inseln verbracht, welche nur per Boot erreichbar waren. Nirgendwo hatte er später einen weißeren Sand gesehen. Auch heute war der Strand menschenleer. Es gab mittlerweile zwar einige sehr gut ausgebaute Campingplätze und einige ausgewiesene Gebiete, wo wildes Campen erlaubt war. Aber heute konnte man sich dem Reiz der Abgeschiedenheit und Stille nicht entziehen. Dieses Paradies zeichnete sich vor allem durch seine großen Dünen und windzerzausten Kiefern aus.
Langsam tuckerten sie anschließend an Sand Island, East Ship Island, West Ship Island und der kleinen Cat Island vorbei. Bradly erzählte ununterbrochen von seinen Jugenderlebnissen. Auf allen diesen Inseln war er in seiner Jugend mit seinen Freunden gewesen; hatte gebadet, große Fische gefangen, gegrillt und darüber die Zeit vergessen. Alle seine Freunde waren vom gleichen Schlag gewesen. Sie machten sich keine Gedanken, welche Strafen zuhause auf sie warteten. Deshalb blieben sie oft zusätzliche Tage länger. Dann rentierte sich der ganze Spaß.
Doch plötzlich, auf Cat Island, wurde Bradly still.
»Verdammt. So eine Scheiße«, murmelte er leise. »Und das soll jetzt alles klebrig und braun werden. Tote Fische, tote Vögel …«
Er sollte zum Teil recht behalten. Für alle Inseln sollte bereits am 23. Juni ein Bade- und Fangverbot verhängt werden; auch für die Berufsfischer. Der weiße Sand würde zwar nicht durchgehend hässlich braun werden; jedoch voller großer Ölklumpen.
Eine halbe Stunde steuerte Bradly die Yacht südwärts. Erst als sie kurz vor North Chandeleur Islands waren, fand er seine Sprache wieder.
»So, wir sind jetzt hier nicht mehr im Bereich Mississippi. Die Chandeleur Islands sind der östlichste Punkt von Louisiana. Das hier ist der nördlichste Teil der insgesamt sieben Inselgruppen mit einer Länge von neunzig Kilometern. Unmittelbar hinter diesen Inseln in westlicher Richtung befinden sich die Inseln des Breton National Wildlife Refuge. Dieses Gebiet ist unheimlich wichtig als Zugvogel-Station. Manchmal sieht man hier viele Millionen Vögel. Alle Inseln sind seit einem Hurrikan im Jahre 1915 unbewohnt. Im Nationalpark gibt es viele herrliche Wald- und Sumpfgebiete. Ein Märchen für Naturliebhaber und vor allem für Ornithologen.«
»Wie sieht es eigentlich viel weiter westlich aus? Ich denke da an das Gebiet mit den vielen Inselchen vor New Orleans«, unterbrach ihn Bodo.
»Ich habe mir das einmal auf der Landkarte angeschaut.«
»Ja, das wäre natürlich auch äußerst interessant zu sehen«, antwortete Bradly. »Aber das schaffen wir diese Woche nicht mehr. Du meinst bestimmt das Gebiet »St. Bernard« mit den Bay Boudreau, Morgan Harbour und der Eloy Bay. Das ist vor allem ein fast völlig unüberschaubares Reich mit vielen kleinen flachen Inseln; ein Marschgebiet, wie es nur wenige auf dieser Erde gibt. Dort wäre eine Ölkatastrophe besonders fatal. Dieses Gebiet zu säubern, ist schlichtweg unmöglich. Das Öl würde dort über zwei Generationen nicht abgebaut werden. Die Auswirkung auf viele seltene Vogelarten wäre unvorstellbar.«
Als sie die Hauptinsel Chandeleur passiert hatten, bog Bradly rechts in das Breton National Wildlife Refuge ein. Weiter südlich erstreckte sich das Mississippi-Delta mit dem Delta National Wildlife Refuge. Dieses Gebiet wurde in den letzten Jahrzehnten von großen Hurrikanen heimgesucht. Ursprünglich gab es nur eine Breton-Insel. Nach dem Hurrikan Opal 1995 teilte sich diese Insel in zwei Teile auf, und nach dem Hurrikan Georges 1998 entstanden sogar drei Inseln.
Auf der südlichsten Insel ging Bradly vor Anker. Hier wollte er auf der Yacht übernachten. Der Wind wehte von Süden. Es war noch angenehm warm. Die vier Männer machten es sich auf dem Achterdeck bequem. Von dort aus hatten sie einen herrlichen Blick auf die Insel. Die Hochzeitsstimmung von vielen hunderten braunen Pelikanen erfüllte die Luft. Über der Insel waren tausende von unterschiedlichen Vogelarten unterwegs. Die Brutzeit hatte vor einigen Wochen begonnen.
Bradly, der noch am frühen Nachmittag vor Lebensfreude gesprüht hatte, war in sich versunken. Der erste Schock war abgeklungen. Nun begann der bisherige Lebemann, die neue Situation zu verarbeiten. Jetzt erst, ohne seinen gewohnten Alkoholspiegel, wurde ihm das ganze Ausmaß der Katastrophe voll bewusst.
Allen war, als ob sie eine große Uhr ticken hörten. Wenn Bodo die Augen schloss, sah er eine große braune Welle herannahen; begleitet von einem süßlich-modrigen Geruch. Sie hatten nur noch wenige Tage, diese Schönheiten zu genießen. Eine große