Das Doppelkonzert. Arnulf Meyer-Piening. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arnulf Meyer-Piening
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738010473
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bereiteten sie sich auf das Examen vor. Da sie beide ehrgeizig waren, setzten sie alles daran, ein Prädikats-Examen zu erreichen. Sie schafften es. Beide bestanden ihr Examen mit einer Eins vor dem Komma. Damit gelang ihnen der Start ins Berufsleben ohne größere Probleme. Sie konnten sich die Firma aussuchen, für die sie arbeiten wollten.

      Er begann seine Karriere als Leiter des Finanz- und Rechnungswesens in einem chemisch-pharmazeutischen Unternehmen in Niederbayern. Ein paar Jahre verbrachte er mit der Erstellung von Bilanzen und Budgets. Er langweilte sich angesichts der ständig gleichbleibenden Aufgabenstellung, suchte eine echte Herausforderung in einem anspruchsvollen Aufgabengebiet und wollte Verantwortung übernehmen. Als er für sich in der Firma keine Aufstiegschancen sah, wechselte er zu der internationalen Beratungsgesellschaft Bosko und Partner mit Sitz in Düsseldorf.

      Isabelle wurde Mitarbeiterin der Hauses Graf Ebersbach und übernahm nach kurzer Zeit die Vertriebsleitung für Weine und Spirituosen. Sie war sehr erfolgreich. Aufgrund ihres gewinnenden Charmes bezauberte sie die Menschen, schaffte Vertrauen und nahm sie für sich ein. Sehr bald erkannte der Graf ihre Stärke in der Akquisition. Er übertrug ihr die Leitung des Champagner-Vertriebs. Die Aufgabe war ihr förmlich auf den Leib geschnitten. Die Männer suchten ihre Nähe und hofften, sie eines Tages zu besitzen. Sie aber wahrte die gebotene Distanz. Nie gestattete sie zweideutige Anzüglichkeiten in ihrer Nähe. Ihre positive Ausstrahlung hatte viel von dem elitären Produkt, das sie vertrieb. Das köstliche Prickeln des Champagners, das prickelnde Gefühl des Geldes sowie die elitäre Welt des Hochadels, der Schönen und der Reichen. Das war ihr Leben. Hier fühlte sie sich Zuhause.

      Und doch fehlte ihr etwas: Man könnte es wohl am besten mit Geborgenheit beschreiben. Darin zeigte sich ein gewisser Widerspruch in ihrer Persönlichkeit: Während sie auf der einen Seite dominant – zuweilen auch herrisch - wirkte, war sie im Innersten weich, anpassungsfähig und liebebedürftig. Diese Seite blieb weitgehend im Verborgenen, als fürchtete sie, ihre harte Schutzschicht könnte zerbrechen. Wohl auch aus diesem Grunde hatte sie niemanden, der zu ihr gehörte. Das fehlte ihr, gab ihr gleichzeitig auch Unabhängigkeit. Sie kannte viele Männer, weil sie gut aussah und sexy war. Es fiel ihr leicht, Kontakt zu anderen Menschen aufzubauen, vor allem zu Männern. Mit Frauen verhielt es sich anders, denn sie betrachteten sie in gewisser Weise als Konkurrentin, in mancher Hinsicht sogar als Bedrohung.

      Der Graf kannte und schätzte ihre unbestreitbaren Vorzüge. Er unterwies sie in der schwierigen Materie der Investmentfonds, der Steuersparmodelle und der Hedgefonds. Sie lernte schnell, und er betraute sie mit dem Verkauf von Aktienfonds, Schiffsfonds und Steuersparmodellen, die er finanzierte. Die Verbindung zwischen Champagnerverkauf und dem Verkauf von Investment-Zertifikaten war durchaus sinnvoll, denn sie bediente die gleichen oder wenigstens miteinander verwandten Kundensegmente.

      Einige Jahre arbeitete sie für den Grafen und verkaufte Schiffsfonds und Steuersparmodelle. Das Geschäft entwickelte sich zufriedenstellend, das heißt, sie verdiente gut, kaufte sich schnelle Sportwagen und extravagante Kleidung. Aber sie fühlte sich abhängig und litt unter einem beruflichen Defizit: Sie hatte nie ein größeres Unternehmen von innen kennengelernt, sie wusste nichts über die internen Mechanismen der Macht, der Organisation und der Abläufe. Im Großen und Ganzen konnte sie Bilanzen lesen. Sie wusste, dass der Gewinn auf der Passivseite der Bilanz stand, wusste aber nicht so genau warum, und wie die Zahlen zustande gekommen waren.

      Im Zuge ihrer beruflichen Tätigkeit wurde sie von ihren Kunden und Investoren immer wieder um Rat gefragt, den sie nicht wirklich fundiert geben konnte. Dies Defizit versuchte sie auszugleichen. Daraus entstand die Gewohnheit, ihren langjährigen Freund Guido Konselmann, von dem sie wusste, dass er Unternehmensberater war, um Rat zu fragen. Daraus entwickelte sich eine Art Partnerschaft, allerdings ohne irgendwelche festen Absprachen. Langfristige Vereinbarungen und Bindungen wollte sie nicht eingehen, jedenfalls jetzt noch nicht. Das widersprach ihrem Wesen. Sie wollte selbständig sein und unabhängig agieren. Sie wollte niemandem Rechenschaft schuldig sein, wenn sie abends ausging oder auf Reisen ging. Und doch konnte es für sie nur von Vorteil sein, eine lose Verbindung einzugehen, in der sie in irgendeiner Form zum beiderseitigen Vorteil mit einem geeigneten Partner zusammenarbeiten würde.

      Und gerade jetzt war ein Ereignis eingetreten, das sie veranlasst hatte, über ihre berufliche und private Situation noch einmal nachzudenken: Der Graf hatte ihr angeboten, sich als Finanzmaklerin selbständig zu machen. Das schien ihr vielversprechend zu sein. So wurde sie unabhängig und arbeitete in ihre eigene Tasche. Sie zog nach Frankfurt um und kaufte sich eine große Eigentumswohnung.

      Seitdem waren sich Isabelle und Guido näher gekommen. Soweit es ihre Zeit erlaubte, trafen sie sich entweder in Frankfurt oder bei ihm in Düsseldorf. Isabelle kannte in Frankfurt und in den umliegenden Dörfern fast alle Bars und gehobenen Restaurants, in denen Champagner aus ihrem Hause getrunken wurde, und sie hatten den Konsum aktiv und nach besten Kräften und zum Nutzen des Hauses Ebersbach unterstützt.

      Eines Tages hatte er eine Einladung zum Diner ins Schloss des Grafen Ebersbach bekommen. Eine Auszeichnung, die nur wenigen Menschen zuteil wurde. Man musste schon einiges Geld für Champagner oder andere gehobene Events ausgegeben haben, um in dieses feudale Anwesen eingeladen zu werden. Er gehörte zu dieser Gruppe der Multiplikatoren, leerte ein weiteres Glas Champagner und genoss auf dem bequemen Sessel mit wuchtigen Bronzebeschlägen den ungewohnten Augenblick der Ruhe. Was würde der Abend bringen? Neue Kontakte, um neues Geschäft zu generieren, das war seine Hoffnung, und er würde alles tun, um dies Ziel zu erreichen. Wenn darüber hinaus noch eine schöne Frau - sozusagen als Zugabe - dabei wäre, umso besser. Er mochte schöne Frauen und schätzte die Abwechslung. Vielleicht gerade deshalb war er nicht verheiratet. Die Frauen machten es ihm leicht, suchten seine Nähe, gingen mit ihm in die Oper, ließen sich von ihm aushalten, gewährten ihm, was er sonst noch suchte, und er brauchte sich nicht zu binden. Keine langfristigen Bindungen, das war seine Devise. Er liebte die Herausforderung, liebte die Chance, vielleicht sogar auch das Spiel mit dem Feuer. Eine neue Beziehung brachte neue Reize und neue Erfahrungen. Nichts verabscheute er mehr, als Routine. Sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich. Das Neue und Unbekannte reizte ihn. Vor allem aber suchte er den Erfolg: Weiter, höher, unaufhaltsam vorwärts streben, nie anhalten und nie zurückschauen. Macht, Einfluss, Anerkennung, sicher auch Geld, das zum gehobenen Lebensgefühl dazugehörte. Geld war für ihn nicht Selbstzweck, es war Mittel zum Zweck. Er suchte Vollkommenheit, Perfektion und die Herausforderung, an der er seine Kräfte erproben konnte. Um diese Ziele zu erreichen, wurde er von beständiger Arbeitswut getrieben. Das spielerische Genießen und fröhliche Feiern lag ihm fern. So würde es auch an diesem Abend sein, an dem das Feiern als Mittel zum Zweck angesehen werden konnte.

      Es wurde Zeit, sich für den Abend zurechtzumachen: Duschen, frische Wäsche, Smoking, weißes Hemd, schwarze Fliege, weißes Tuch in der Brusttasche, etwas locker, wie zufällig gesteckt, schwarze Lacklederschuhe. Ein kurzer Blick in den Spiegel, der seitlich in der Ecke stand und den Raum optisch vergrößerte. Er betrachtete sich nicht ohne Eitelkeit. Der Smoking saß perfekt – er hatte ihn kurz zuvor von seinem Londoner Schneider anfertigen lassen - das leicht gewellte dunkle Haar, welches an den Schläfen fast unmerklich grau zu werden begann, sorgfältig zurückgekämmt. Er straffte sich, zog den sich leicht andeutenden Bauch ein, und fand, dass er noch immer recht passabel aussah, obwohl ihm ein paar zusätzliche Trainingsstunden im Fitness-Center gut bekommen würden. Er war, wie man sagt, eine gute Erscheinung, durchaus auf Wirkung bedacht und sich seiner zwingenden Ausstrahlung bewusst. Er war zum Empfang bereit. Erwartungsvoll blickte er auf die Standuhr.

      Kurz nach halb acht Uhr klopfte jemand an seine Tür.

      Warm-up

      - Er erwartete den Zimmerboy mit dem Aufruf zum Abendessen. Mit lauter Stimme rief er: Herein!

      Zu seiner Überraschung betrat Isabelle bereits fertig für den Abendempfang gekleidet den Raum.

      - Er erhob sich: Isabelle, du? Ich dachte, du wärest mit dem Empfang der anderen Gästen beschäftigt. Aber schön, dass du kommst. Vielleicht können wir noch etwas plaudern. Ich wüsste so gerne, wer sonst noch als Gast geladen ist.

      - Wir haben noch etwas Zeit. Wir erwarten