- Jedes Jahr wird es schlimmer, es ist Freitag. Das schöne Wetter lockt viele Menschen zum Ausflug, antwortete sie verbindlich, aber mach dir keine Gedanken, du bist nicht der Letzte, wir erwarten noch weitere Gäste. Lass dir Zeit. Du wirst eine anstrengende Woche hinter dir haben. Entspann dich und fühl dich bei uns wohl.
Sie winkte dem Boy, der sich diskret im Hintergrund aufgehalten hatte, gab ihm die Zimmerschlüssel und wies auf das Gepäck, das aus einem Samsonite -Koffer, einer brauen Gabbiano-Aktentasche aus weichem Rindsleder und dem unvermeidlichen Laptop bestand, den der Berater nie aus den Händen gab. Er enthielt wichtige Geschäftsunterlagen, Gesprächsnotizen, Geschäftspläne seiner Klienten, vertrauliche Bilanzen, Kapitalanlagen in Liechtenstein und Vaduz. Sie durften keinesfalls in fremde Hände gelangen.
- Der Boy ging voraus: Wenn Sie mir bitte folgen wollen, ich darf Ihnen Ihr Appartement zeigen.
Der junge Mann stieg die geschwungene Marmortreppe zwischen den goldenen Engeln hinauf, Konselmann folgte ihm. Am Ende des mit einem beigen Teppich belegten Gangs öffnete der Boy die Tür zu einem geräumigen Zimmer, in dessen Mitte ein kleiner Tisch mit Intarsien und bronzenen Beschlägen an den geschwungenen Beinen. Vier Empire-Stühle umstanden den Tisch. Darauf stand zur Begrüßung ein Sektkühler mit einer Flasche Champagner: Ebersbach Brut. Dazu zwei Sektgläser aus geschliffenem Glas. Von der langen Fahrt ermüdet, konnte er es kaum erwarten, einen erfrischenden Schluck zu nehmen. Etwas erschöpft ließ er sich auf einen Sessel fallen.
Noch weitere Sessel, mit hell rosa gestreifter Seide bespannt, standen locker im Raum gruppiert, als erwarteten sie weitere Gäste. Ein Kamin war mit Holzstücken zum Anzünden vorbereitet, was bei den sommerlichen Temperaturen sicher nicht geplant war. Auf der Marmor-Umrandung eine vergoldete Uhr mit einem stolzen Reiter, ein Banner in der Hand, wahrscheinlich ein heldenhafter Heerführer nach gewonnener Schlacht. Ein Kristalllüster, mit vielen Prismengläsern und mattleuchtenden Glühlampen, hing von der Stuckdecke. Die Lampen wären zu dieser Tageszeit nicht nötig gewesen, denn an der Längsseite des Raumes befanden sich zwei Fenster, deren schwere Gardinen die Strahlen der Abendsonne abschirmten. Durch einen Spalt drang weiches, diffuses Licht in den Raum, das die verspielte Anmut des Zimmers unterstrich. Zwischen den Fenstern stand etwas verloren ein kleiner Schreibsekretär mit Einlegearbeiten aus verschiedenfarbigen Hölzern, die eine Schäfer-Szene darstellte: Ein junges Schäferpaar inmitten einer Herde von Schafen. Wie angenehm und heiter das Landleben war. Nicht zu vergleichen mit dem hektischen Leben eines Beraters. Vielleicht sollte man wirklich etwas anderes machen.
Der Diener wartete geduldig an der Tür. Er hatte kein Trinkgeld bekommen, auf das er nicht verzichten wollte. Mit der Hand wies er auf eine Tür: Diese Tür führt zu Ihrem Schlafzimmer, die andere zum Badezimmer. Er ließ den Gast einen Blick hineinwerfen.
- Sehr schön, danke.
- Wenn es Ihnen recht ist, dann erwartet Sie der Graf zum Aperitif um halb acht unten im Salon.
- Danke. Dann kann ich mich noch etwas frisch machen. Er konnte es kaum erwarten, den Schweiß des hektischen Tages abzuduschen und das Hemd zu wechseln. Es war eine lange und heiße Woche gewesen. Endlose Meetings, viele Reisen und kaum zu Hause. Termine jagten sich. Wenig Schlaf. Der reine Wahnsinn! Aber er hatte es so gewollt und beklagte sich nicht.
- Der Boy stand noch immer wartend an der Tür: Und wenn Sie etwas brauchen, dann ziehen Sie bitte an dieser Schnur, wir werden bemüht sein, Ihnen den Aufenthalt in unserem Hause so angenehm wie möglich zu gestalten, wobei er auf eine Kordel mit einer angehängten Quaste zeigte, die seitlich an der Tür hing. Damit verbeugte er sich und verließ den Raum, nicht ohne ein reichliches Trinkgeld empfangen zu haben.
Der Berater hatte schon in vielen Spitzenhotels der Welt übernachtet, aber so einen Luxus hatte er noch nicht erlebt. Mit Interesse betrachtete er den Schreibsekretär etwas genauer. Ganz sicher von Charles Boule vom Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Er kannte sich mit Antiquitäten aus: Schildpatt, Elfenbein und Metalle aus Messing und vergoldeten Bronzeapplikationen, aufs Sorgfältigste mit Edelhölzern kombiniert. Kostet ein Vermögen, dachte er, für solche Möbel hatte sich der Adel damals immens verschuldet, aber Graf Ebersbach sicher nicht. Ja, so reich müsste ich sein, dann könnte ich mir auch solche Möbel leisten und jeden Abend Champagner trinken. Mit solchen Gedanken öffnete er die Flasche, füllte sein Glas, nahm einen kräftigen Schluck, genoss das leichte Prickeln auf der Zunge. Fast etwas zu hastig leerte er das Glas, stellte es auf den gleichfalls mit Intarsien belegten Tisch zurück. Der gut gekühlte Champagner tat ihm gut, belebte seine Sinne und ließ ihn den Tag vergessen.
Die Brokatvorhänge schob er vorsichtig auf die Seite. Ein letzter Abendgruß der Sonne zwängte sich durch den Spalt herein und gab den Blick auf den kunstvoll gestalteten und sorgfältig gepflegten Garten mit filigranen Blumenrabatten fei. Einige Statuen zierten die Ecken, wahrscheinlich handelte es sich um griechische Götter und Göttinnen. Sicher waren auch Helden dabei, die sich ihren festen Patz in der Geschichte erobert hatten. So einen Platz wollte er auch gewinnen durch Fleiß, Entschlossenheit und Klugheit.
Seine Gedanken schweiften zurück in die Zeit seines Studiums, als er finanziell in sehr beengten Verhältnissen gelebt hatte. Nie reichte das Geld für das Benzin seines ziemlich betagten Motorrollers. Es war eine Vespa, die er liebevoll pflegte. Eines Tages hatte er Isabelle von Stephano kennengelernt. Sie hatten gemeinsam den Grundlagenkurs für Finanzmathematik belegt. Verstohlen hatte er sie in den Vorlesungen angesehen nicht zuletzt, weil sie mit ihrem langen schwarzen Haar sehr attraktiv und dabei so exklusiv schien. Er wagte nicht, sie direkt anzusprechen, denn sie schien wohlhabend zu sein, weil sie stets sehr gepflegt aber schwarz gekleidet war, während er ausnahmslos in seinen alten Jeans zu den Vorlesungen kam. Er litt unter dem Mangel seiner bescheidenen Herkunft und an Geld. Er hätte seine Kommilitonin gern zum Essen eingeladen oder wenigstens zu einem Drink. Aber er konnte sich keine Einladung in den angesagten Lokalen leisten. Der Besitz von Geld schien ihm ein nicht zu unterschätzender Vorzug. Er schwor sich, künftig viel Geld zu verdienen und vor allem nicht mehr arm zu sein. Darauf war vor allem sein Studium gerichtet, nur deshalb hatte er Betriebswirtschaft gewählt, während er am liebsten Physik studiert hätte, doch das hätte zu lange gedauert.
Gelegentlich traf er Isabelle in der Mensa. Sie tranken Kaffee aus einem Pappbecher. Er wollte sie kennenlernen, mehr über sie erfahren, und auch sie schien nicht völlig abgeneigt zu sein, denn er war sportlich und gut durchtrainiert. Jedenfalls war er eine auffallende Erscheinung. Zudem zählte er zu den besten des Jahrgangs. So fanden nach und nach eine persönliche Basis. Isabelle hatte vor kurzem ihren Mann bei einem Autounfall während eines Rennens mit historischen Autos verloren. Das Fahrzeug gehörte dem Grafen Ebersbach. Die Untersuchung des Unfallfahrzeugs hatte ergeben, dass die Bremsen ihre hydraulische Flüssigkeit verloren hatten. Deshalb war er in einer Kurve ungebremst in den Abgrund gerast. Er war sofort tot. Isabelle trauerte mehrere Wochen. In dieser Zeit kleidete sie sich ausschließlich in schwarz, fand dann aber allmählich wieder zu einem normalen Leben zurück. Sie suchte neue Bekanntschaften, schien aber unnahbar.
Guido bemühte sich um ihre Nähe, indem er ihr seine Mitschriften der Vorlesungen gab. Sie verabredeten sich zum gemeinsamen Lernen, aber das studentische Leben lockte. So legten sie die Bücher zur Seite. Die Wissenschaft konnte warten. Voller Tatendrang streiften sie durch die angesagten Lokale in Schwabing. Oft waren ihre Studien-Kollegen dabei. Insbesondere Bernd, Heinz und Günther, die nach dem Examen den Börsenzirkel: Börsengurus gegründet hatten.
Nach wenigen Wochen traf er sich mit Isabelle zu gemeinsamen Ausflügen in die Umgebung: Sie besaß einen blauen VW-Käfer, ein unerhörter Luxus. Sie besuchten die vielen Königsschlösser des menschenscheuen, romantischen Königs Ludwig II., machten Wanderungen in den Bergen oder mieteten sich ein Segelboot am Starnberger See. Sie verstanden sich gut und sie kamen sich näher. So nach und nach überwand sie ihre Trauer. Guido kaufte ihr in Mittenwald einen weiten bunten Rock und eine weiße Bluse. Sie gewann ihre natürliche Fröhlichkeit und ihr bezauberndes Lächeln zurück. Sie hatte eine Eigentumswohnung in München, während er nur eine bescheidene Studentenbude bewohnte. So ergab es sich,