Ich und der Fisch, der Fisch und ich. Dorothea Doris Tangel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dorothea Doris Tangel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная психология
Год издания: 0
isbn: 9783738004403
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zu entsorgen und mit dem man sich jetzt auch noch herumplagen wollte wenn man frischen Kaffe machte. Nichts weiter als Abfall. Ewig unerwünscht.

      Ich denke ich benötigte nur regelmäßig eine Pause von den vielen Leuten um mich herum, zu denen ich keinen Bezug aufbauen konnte. Ich brauchte ab und zu etwas Privatsphäre, die ich auch zu Hause nicht hatte, da wir Kinder über kein eigenes Zimmer oder einen Rückzugsort verfügten, bei dem man mal die Tür zumachen konnte. Unser Bett stand in einem schmalen Durchgang von der Küche zum Schlafzimmer meiner Eltern, und hatte keine Türen. Noch nicht mal der Platz für einen kleinen Schreibtisch, wie ich mir immer wünschte war mir vergönnt, damit ich in Ruhe malen und basteln konnte, ohne ständig anderen Platz machen und meine Arbeit unterbrechen zu müssen. Immer war ich im Weg und musste, wenn ich gerade so schön drin war alles wegräumen, weil jetzt gegessen wurde oder „de Babba von de Abbeit kam“.

      Der alte Sack von meinem Job in der Naxos Union klopfte immer hysterisch gegen die Klotür, wenn ich mich mal zurückgezogen hatte (obwohl hier nur für Damen war!), die ich aber nicht öffnete und er machte mir das Leben zur Hölle weil er meinte, mich persönlich jeden Tag dafür bestrafen zu müssen dass ich existierte. Keiner war auf meiner Seite und alle anderen in der Abteilung schauten dezent in eine andere Richtung wenn er wieder neben meinem Schreibtisch auftauchte und mich wegen irgendwelcher Bagatelle lautstark zur Schnecke machte. Was hatte ich diesem Idioten nur getan dass er mich nicht in Ruhe lassen konnte und warum half mir keiner? War ich allen egal? Anscheinend! Es scherte sie einen Dreck wie er mich behandelte und auch dort gab es kein Entkommen, vor der bösen realen Welt. Wenn man sich nur auflösen könnte…

      Er war ein bösartiger alter Mann, wahrscheinlich erst so um die 40, aber für mich war er so alt wie scheintot und roch schon übel aus dem Mund. Er trug immer nur Nazi- braune Anzüge mit Nadelstreifen und ich war seinem Zorn jeden Tag auf s Neue hilflos ausgeliefert. Er drangsalierte mich solange bis ich von zu Hause fortlief, weil Mutter mir verbot die Arbeit zu schmeißen, ohne zu fragen warum ich da weg wollte.

      Ich wollte nie ins Büro, ich war handwerklich! Aber die Frau vom Arbeitsamt hatte in großer Eintracht mit meiner Mutter entschieden dass es wäre das Beste für mich wäre. Mutter meinte noch, es wäre doch nett nicht im Freien arbeiten zu müssen. (?) Keine der Mädchen aus der Schule musste im Freien arbeiten. Was sollte das überhaupt für eine Arbeit sein? Der Straßenstrich? Sie interessierten sich doch gar nicht für mich, sie wollten mich nur schnell loswerden und abhaken. Ich kam gar nicht vor, obwohl es die wichtigste Weiche für mein weiteres Leben war, die da gestellt werden wollte.

      Keiner von uns Pubertierenden hatte so etwas wie eine Vertrauensperson, die wir Mal um Hilfe bitten oder bei der wir uns mal aussprechen konnten wenn uns die vielen neuen Eindrücke auf der Arbeit und mit den Erwachsenen überforderten. Wir waren, wie immer auf uns selbst gestellt und ich kannte niemanden aus dieser Zeit der/die mit den Eltern reden konnte.

      Wir hatten keine Rechte, wir waren ja noch minderjährig. Was für ein saublödes Wort! Wieso ist ein Alter weniger wert als ein anderes? Jedes Alter ist doch kostbar. Aber da verwechsle ich gerade was mit dem Wort „minderwertig“. Und schon verselbstständigt sich meine Wut wieder und läuft aus dem Ruder. Was tun wenn man sie nicht abstellen kann? Schreib´ s auf, schrei´ s raus, sing darüber, tanz deinen Namen und beschmier die Wände in Deiner Stadt, aber tu was, schweigen hilf nie. Schweigen ist unser Tod!

      Wen hätte ich um Rat fragen sollen, ohne gleich verhaftet oder in die „Besserungs- Anstalt“ gesteckt zu werden? Wir waren zu jung zum Wählen aber alt genug, um ausgebeutet zu werden. Ich kostete bei dieser Arbeit und bei meinen nachfolgenden Jobs, die unter der Rubrik Hilfsarbeit liefen nie mehr als 200 Mark im Monat für eine 40 Stundenwoche, ohne Berufsschule. Davon musste ich die Hälfte zu Hause abgeben und die Monatskarte davon bezahlen. Bis das Schulamt dahinter kam, dass ich keine 11 Jahre Schulpflicht absolviert hatte… War mir so was von Scheißegal! Immer nur Forderungen oder Verbote, aber nie eine Wegweisung oder Richtung, in der man in Ruhe erst einmal Mensch werden konnte.

      Ich bin dafür dass junge Leute erst ab 18 arbeiten gehen sollten und das unser Land auch die „Lehre“ in staatlichen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen hat und nicht nur die Universitäten für Abiturienten, wo ja auch nichts anderes gemacht wird als einen Beruf zu erlernen. Abiturienten sind 18/19, wenn sie die Schule abschließen und danach studieren sie noch jahrelang bevor sie auf die Arbeitswelt losgelassen werden. Wieso ist die Ausbildung eines Klempners weniger wert? Auch Leute die Studiert haben wissen wie wichtig dieser Handwerker ist, wenn einem die Scheiße durch die Wohnung fließt, oder? Na also!

      Wie sollen 14/15- jährige wissen was sie wollen und wie man sich mit dem Profimonstrum Wirtschaftswelt auseinandersetzt, wenn die Hormone im Körper anfangen verrückt spielen? Man muss gerade völlig geschockt feststellen dass einem an den unmöglichsten Stellen plötzlich überall Haare wachsen, man wird ständig rot, kriegt wegen nix einen Ständer und weiß nicht wie man als Mädchen einen Orgasmus haben kann (ich dachte, bis ich 18 war dass Frauen keinen Orgasmus haben!), oder wenn die Menstruation einem tagelang die Beine weghaut und man vor Schmerzen nur noch den Kopf an die Wand schlagen kann und dann soll man von einem auf den anderen Tag erwachsen tun, bevor der Körper es überhaupt ist?

      Man muss gerade „Beziehung“ und „Fühlen“ lernen, fängt an seine eigenen Interessen zu entwickeln, die nichts mit dem vorgegeben Umfeld zu tun haben, was schon nicht einfach ist und man findet seine ersten selbst gewählten Freunde, die nicht in der selben Straße wohnen, mit denen die Eltern überhaupt nicht einverstanden sind, weil sie unmögliche Frisuren haben und den ganzen Tag rumhängen und nur Musik machen.

      Damit fertig zu werden ist schon der Hammer und sich dann auch noch mit einer Industrie herumschlagen zu müssen, die den ungebildeten Hauptschülern nur Verachtung entgegen bringt, anstatt ihre Steuern zu bezahlen damit es genug Mittel für Bildung gibt ist wirklich unfair.

      *

      Wir waren irgendwie eine abgespaltene Generation, 1968/69. Auch wenn ich mit 14 noch zu jung war ein Hippy oder heute ein alt- 68- er zu sein, aber die Klamotten nähte ich mir gerne nach und die Musik hatte endlich Rhythmus. Als die Beatmusik geboren wurde ging ein Bruch durch die Welt, die die, die an Krieg und Materialismus glaubten und nur Stärke verherrlichten von uns abtrennte, denn wir glaubten an die Macht der Liebe und Toleranz war unser oberstes Gebot. Wir liebten Individualität, persönliche Freiheit und Farben! Es war Zeit dass es bunter wurde in dieser Welt! Das Ende des dunklen Zeitalters war angebrochen! Definitiv!

      Wir waren Menschen! Sonst nichts. Wir waren keine Maschinen, die man an- und ausschalten oder wegstellen konnte, wie tote Dinge. Das Sklavenbewusstsein, Menschen benutzen und funktionalisieren zu können war immer noch viel zu weit verbreitet. Wir atmeten, wir lebten! Wir brauchten Raum!

      Die Erde gehört uns allen und wir alle sind Teil vom dem einen Ganzen und es ist nicht nur die Welt einer weniger, die ständig von anderen verlangen dass die zu kontrollieren sein müssen, nur weil sie einem eine Pistole ins Gesicht halten.

      „Wem gehört das Wasser, wem gehört die Luft, wer hat es dir gegeben dass ich dir dafür zahlen muss? Erzähl mir nix, erzähl mir nix!“. (Ein Lied von mir, das noch nie jemand gehört hat.) Selbst schuld, wie mein armer, alter Vater immer sagte. Vielleicht hat er ja recht und ich bin es, die etwas ändern kann. Wenigstens bei mir selbst?

      *

      Irgendwann wurde mir das, mit dem „sich immer betäuben müssen“, um diese gestörte und menschenkalte Welt auszuhalten aber dann doch zu viel und ich wollte etwas anderes. Mein Hirn und auch mein Gemütszustand waren sowieso noch nie die Besten und ich konnte den Horror in meinem Inneren und um mich herum so nicht abstellen. Alles haute mich wochenlang um. Die Welt war voller Gewalt, Hass, Streit, Ablehnung und Schmerz. Es war so einsam auf diesem Planeten und dazu verfolgten mich auch noch ständig alte Männer, benutzten meinen Körper, nur um sich an kleinen Mädchen zu rächen, vor denen sie keine Angst hatten, da die nicht so starke Arme hatten wie sie!

      Wie soll man damit fertig werden? Da waren die Weichen schon unwiederbringlich gestellt. Was blieb mir anderes übrig, als mich mit mir und meiner Sucht auseinanderzusetzen? An die anderen Menschen kam ich irgendwie nicht heran. Also fing ich bei mir an.