Sucht Ho Ki Su. Hans Gerd Scholz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Gerd Scholz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847614814
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ganz gleich ob Elitesoldat oder nicht. Da machte er sich nichts vor. Also beschlossen sie, das Geheimnis für sich zu behalten. Die Gefahr einer Entdeckung war einfach zu groß.

      Und so gingen sie jeden Morgen wieder zum Dienst. Beugten sich über die Landkarten, über Abschusspläne der Raketen, über die Möglichkeit, sie in einem Konflikt mit dem Süden, den Amerikanern oder Japanern einzusetzen.

      Doch alles war plötzlich anders. Beide hatten ihr Lächeln verloren, zeigten versteinerte Mienen. Gut, dies konnte bei jungen Männern, die auf einem Zimmer lagen während der gesamten Woche, schon einmal vorkommen. Streit gab es überall. Sicher hatte es nichts zu bedeuten. Glaubten die Kameraden alle. Fast alle.

      Doch da war der kleine hässliche Dai Wan Chu, den alle das Wiesel nannten. Er traute der Sache nicht. Ob da irgend etwas dahintersteckte? Scharf beobachtete er alles, was die beiden taten.

      Gerade fauchte der Gruppenkommandeur Kim Sun an, dass er sich besser konzentrieren solle. Er hatte auf die Frage seines Gegenübers nicht reagiert, schien weit entrückt, gar nicht anwesend. Auch Ki Su redete zusammenhangloses Zeug. War ebenfalls nicht bei der Sache.

      In den Räumen hingen, wie in den Fluren fast aller Gebäude, bunte Warnplakate. Die Farbe Rot überwog. Und auch der Text, dass man auf der Hut sein müsse vor Verrätern, Abweichlern, Andersdenkenden. Kritikern des Systems, des Großen Hon Kai Chengs. Dass nichts so gefährlich wäre, wie dieser Personenkreis, von dem immer wieder der eine oder andere aufflog und im Straflager landete.

      Aber für die Aufmerksamen, die Denunzianten, wurden im Erfolgsfall tolle Belohnungen in Aussicht gestellt. Eine rasche Beförderung zum Beispiel. Oder zumindest zusätzliche Essensrationen.

      Dai Wan machte sich keine Gedanken darüber, ob er sich richtig verhielt oder nicht. Er wusste, dass er so handeln musste. Nicht wegen der Belohnung, die war nebensächlich. Er wollte den großen Hon Kai Cheng schützen mit allem, was ihm zur Verfügung stand. Verbrecher dieser Art mussten ausgemerzt werden, hatten keine Lebensberechtigung mehr. Der Schutz des Landes, ihres Paradieses zählte. Sonst nichts.

      Also beobachtete er weiter. Immer wieder warfen sich die beiden vielsagende Blicke zu. Hätten sie Streit, wie er zunächst glaubte, würden sie sich eher ignorieren. Zwar konnte er keine verdächtige Äußerung erhaschen, doch sein Gefühl verstärkte sich mehr und mehr.

      Wenn er sich täuschte, würde das Zimmer der beiden zwar durchsucht, sie einer intensiven Befragung, vielleicht mit ein paar Stockschlägen zur Aufmunterung unterzogen werden, aber sonst würde ihnen wohl nicht viel passieren. Er war sich auch sicher, dass sein Name bei einer Denunziation nicht genannt würde. Was hatte er also zu verlieren?

      Im Verlauf des Abendessens, das wohl wie meistens aus einer dünnen Graupensuppe, in der ein paar sehnige Fleischbröckchen schwammen und hartem trockenen Brot bestehen würde, wollte er zum Telefon schleichen, welches, für alle zugänglich, in der Eingangshalle des Kasernengebäudes stand.

      Zu seinem Sitznachbarn gewandt, entschuldigte er sich für sein plötzliches Aufstehen. Er müsse kurz zur Toilette. Das kam öfter vor. Die Mahlzeiten waren durchaus geeignet, dass einem schlecht werden konnte.

      Er schlich in das dunkle Kabiff, in dem es nach abgestandener Luft und dem sauren Schweiß des Diensthabenden roch, der jetzt aber am Tisch saß. Schnell wählte er die bekannte Nummer, die Nummer auf den Plakaten. Man fragte ihn barsch, was er wolle. Zögernd und mit zitternder Stimme nannte er die Namen Hai Sun Kim und Oh Ki Su. „Na und“, raunzte es am anderen Ende der Leitung. „Sie benehmen sich seltsam. Wirken geistesabwesend, die haben irgendetwas. Da müsste mal nachgeschaut werden“! „So, so, was genaueres hast du nicht?“, antwortete sein Gesprächspartner nur. Dann wurde aufgelegt. Schnell legte auch er den Hörer leise auf die Gabel und entfernte sich aus dem kleinen Räumchen.

      *******

      Die Tür explodierte. Ein Knall Knall und das Geräusch von berstendem Holz, als sie aus den Angeln flog. Ki Su glaubte, ihn träfe der Schlag. Sie blickten beide in die Mündungen der Sturmgewehre, die die drei Geheimpolizisten auf sie richteten. Von selbst nahmen sie die Arme in die Höhe, blieben wie versteinert vor dem Computer sitzen. Über den Bildschirm war gerade die Seite des Auswärtigen Amtes der japanischen regierung zu sehen, deren Mitteilungen sie studiert hatten. Gespeichert waren all die bunten Internetseiten, die niemand im Reich des Großen Hon Kai Chengs sehen durfte. Und Angehörige der Spezialtruppen schon gar nicht.

      All das wurde von einem der Drei genauestens protokolliert und auf einem USB-Stick gespeichert. Damit war der Beweis für ihr Verbrechen erbracht.

      Unterdessen wurden sie aufgefordert, an die Wand zu treten, nach Waffen abgeklopft. Dann band man ihre Arme mit Kabelbindern auf den Rücken. Mit vorgehaltenen Waffen wurden sie abgeführt und in den draußen wartenden Kleintransporter befördert.

      „Was habt ihr euch denn da so interessiert auf dem Computer angeschaut?“ fragte ihn der Vernehmungsoffizier süffisant. „Nackte Weiber würde ich ja verstehen, aber dieses Zeug? Diese billige ausländische Propaganda? Was habt ihr euch davon versprochen?“.

      Ki Su schwieg. Was hätte er auch sagen sollen?

      Sie konnten jetzt mit ihm machen, was sie wollten. Er war ihnen völlig ausgeliefert. Sie würden ihn foltern, wenn er nicht auspackte. Dieser Mann vor ihm sah sich dazu im Recht. Er war es ja auch. Aus seiner Sicht gesehen, tat er das richtige. Er schütze den großen Hon Kai Cheng vor Leuten wie ihm. Vor Menschen, die taten, was sie nicht durften. Und dadurch alle und alles gefährdeten. Die Erfolge des Landes, sein Ansehen. Die Kampfbereitschaft des Militärs. Die gesamte Zukunft. Dieser Offizier würde sich nie dafür verantworten müssen, was auch immer er ihm jetzt antun würde. Also konnte er alles tun.

      Dies war schon immer so. Wenn keine Strafe zu fürchten war, wenn man sein Handeln vor sich selbst rechtfertigen konnte und dies als notwendig ansah, war ein Mensch bereit, einen anderen alles al Leid und Schmerz zuzufügen, was irgend denkbar war. Es erklärte, wie ein freundlicher Bäcker nachdem er SS-Mann geworden war, zum Teufel mutierte. Wie es sich erklärte, dass Menschen ihre gesamte Erziehung, ihren Verstand und jedes Mitgefühl, jede menschliche Regung über Bord zu werfen, bereit waren.

      Die Gedanken wirbelten Ki Su durch den Kopf. Durfte er seinen Freund für alles verantwortlich machen? Blieb ihm denn überhaupt eine Wahl? Wenn er lebend diese Räume verlassen wollte, wenn er auch nur die geringste Chance haben wollte, musste er ihn ans Messer liefern. Sun Kim war ohnehin verloren. Es war sein Stick, sein Computer. Nie würde man ihn mit dem Leben davon kommen lassen. Er würde einfach verschwinden. Ohne jede Spur. Wie vor ihm Zigtausende. Es hatte keinen Sinn, sich zu opfern. Er verachtete sich für seine Angst, seine Schwäche, seine Feigheit. Als man ihn auf Sun Kim ansprach, sprudelte dann alles aus ihm heraus. Dass dieser Verräter ihn bedrängt habe, sich die Downloads anzusehen, die er ja genau so sehr ablehnte wie der werte Herr Genosse Vernehmungsoffizier. Wie er versuchte hatte, den Freund, der nun nicht mehr sein Freund war, davon abzuhalten. Wie er ihn vergeblich vor den Folgen gewarnt hatte.

      Und während er sprach, begann er es langsam selbst zu glauben. Natürlich war er dagegen gewesen, hatte gewarnt. Wollte sein gutes Leben nicht wegen irgendwelcher Informationen aufs Spiel setzen, die sich ganz sicher als plumpe Propaganda herausstellen würde. Er verdrängte, dass er begierig die verstörenden Bilder und Texte aufgesogen hatte. Dass es ihn immer nach mehr verlangt hatte. Dass dieser verdammte Stick, das World Wide Web Macht über ihn gewonnen hatten. Er verdrängte, damit er sich weniger schuldig fühlte. Damit er seinen Freund verraten konnte.

      Der Oberbefehlshaber seiner Einheit sprach das Urteil. Zwölf Jahre Zwangsarbeit. Ki Su seufzte erleichtert auf. Er würde jetzt barfuß durch die Hölle gehen. Das war ihm klar. Aber er lebte. Dann teilte man ihm mit, was mit seiner Familie geschehen würde. Er brach zusammen. Obwohl er nichts anderes erwartet hatte.

      Hai Sun Kim schwieg ebenfalls. Er wollte seine Geliebte auf keinen Fall mit hineinziehen. Doch er hatte die Brutalität der Vernehmungsspezialisten unterschätzt.

      „Woher hattest du