Alle sahen, wie sehr sich Stefan Resner als Redner bemühte, den Führer Hitler nachzuahmen. So sehr er sich bemühte, er kam nicht an das Original heran, denn niemand wusste, dass Hitler bei einem Schauspieler Unterricht im Reden nahm und vor einem Spiegel seine Gebärden einstudierte, diese photographisch festhalten ließ, um sie verbessern zu können. Es liegt die Vermutung nahe, dass er auch seine Augen trainierte, um sein Gegenüber dahingehend zu beeinflussen, um durch die Kraftübertragung seiner Augen seine Interessen seinem Gegenüber wie eine Waffe aufzudrängen. Ebenso trainierte er täglich seinen rechten Arm mit einem Expander, oft am offenen Fenster, um die endlos langen Paraden und Grüße ohne Zittern zu überstehen.
Danach pflanzte Stefan Resner symbolisch einen Baum. Mit Sieg-Heil-Rufen und Freudenkundgebungen wurde die Feier beendet.
Niemand wusste, welche Zukunft ihnen bevorstand und Viktor Ertl war das Lachen vergangen.
Hatte Viktor Ertl zuvor über Stefan Resner, die vielen Arbeitslosen, welche marschierten und sangen, illegale Anhänger, welche ihr Parteiabzeichen unter dem Revers trugen, gelacht und sie für verrückt gehalten, so musste er nun unumstößlich und widerstrebend feststellen, dass sie zu den Siegern und er zu den Verlierern gehörte. Nun hatte sich das Blatt hundertprozentig gewendet und er musste lernen, Stefan Resner und seine Freunde respektvoll zu begegnen, um keinen Ärger bei diesen fanatischen Befürwortern Hitlers aufkommen zu lassen. Viel zu groß war seine Angst vor Verrätern und Denunzianten, welche ehrgeizig daran arbeiteten, Karriere im NS-System zu machen.
Mit dem ersten Aufwachen der Natur nach langem, hartem Winterschlaf zeigte sich im Einklang, als wäre es so besprochen, ebenso im Jahre 1938 wie zur Bestätigung der Propaganda, der erste einschmeichelnde Fortschritt des neuen NS-Systems, wie ein zartes, aufkeimendes Pflänzlein nach strengem Frost, welches bei der Bevölkerung große Sympathiewellen hervorrief. Neben sonstigen Sammlungen für die Bedürftigen machte sogar das Militär im Bezirksvorort eine unentgeltliche Ausspeisung an Bedürftige.
Es ging ein unsichtbares befreiendes Aufatmen in den Köpfen der Menschen durch das Dorf. Durch die Entschuldungsaktion, Kredit- und Investitionshilfen, Erhöhung der Erzeugerpreise, Senkung der Düngemittelpreise, Mechanisierung durch das NS-Regime sollte die Verbesserung der Landwirtschaften vorangetrieben werden mit dem Hintergedanken, für einen eventuellen Kriegseintritt besser vorbereitet zu sein als im 1. Weltkrieg. Besonders die Sozialleistungen wie Ehestandsdarlehen, Kindergeld oder Mutterschutz wurden äußerst freudig begrüßt.
Für die Anhänger der Partei boten sich viele Berufs- und Karrierechancen, insbesondere durch die Säuberungen der Gegner und Vergrößerung der militärischen Bereiche. Es war eine allgemeine Aufbruchstimmung bemerkbar.
Nachdem ein Stier, der zum Rückzahlen der Raten gedacht war, im Elternhaus von Karl Ertl verendet war, hatten sich für Viktor Ertl wegen der aushaftenden, grundbücherlich einverleibten Erbteilsforderungen und des vorhandenen Schuldenrückstandes für den Hausbau große Zahlungsschwierigkeiten aufgetan. Für Viktor Ertl und die anderen verschuldeten Bauern, wo vielfach die Zwangsversteigerung drohte, hatte sich durch die Entschuldungsaktion, wobei bis zum 31. 12. 1938 Entschuldungsanträge zu stellen waren, die Möglichkeit aufgetan, die Schulden langfristig und niedrig verzinst in ein staatliches Darlehen umzuwandeln.
Die Arbeitslosenraten sanken. Um vom Weltmarkt unabhängig zu werden beziehungsweise bei einem eventuellen Kriegseintritt besser gerüstet zu sein und um die Ernährung der Bevölkerung besser sichern zu können als im letzten Krieg, wurden die landwirtschaftlichen Produkte gesteigert und ein Festpreis festgesetzt. Bald kamen billige Düngemittel und ein verbessertes Saatgut aus dem „Altreich“ ins Dorf.
Mit der Nachzahlung der Kinderbeihilfe hatte Viktor Ertl sich eine Pferdemähmaschine und für Ritsch eine neue Nähmaschine gekauft. Von dem restlichen Geld legte er sich sein erstes Sparbuch an.
Sobald die ersten Knospen zum Leben erblühten, die Sonne stärker und wärmer wurde, zimmerte sich auch Karls Freund und der Bräutigam von Ritsch, Franz Leitner, ein Bett, um in der Heuholpan zu schlafen, um mit seinen Freunden unkontrolliert mittels einer Rauberleiter zu spechteln und sonstige Geheimnisse der Nacht zu ergründen.
In jener Unruhnacht vor dem 1. Mai des Jahres 1938 hatten Karl Ertl und Franz Leitner ein unvergessenes, äußerst unangenehmes Erlebnis ausgerechnet mit dem Ortsbauernführer Sepp Tuider. Erstmals war an diesem Abend auch Zwumpl dabei. Es war Brauch, dass die Burschen in dieser Nacht im Dorf ihren unbeliebten Dorfbewohnern allerhand Schabernack trieben. Zwumpl hatte vorgeschlagen, beim Ortsbauernführer Tuider Schabernack zu treiben, denn er stand daneben und hatte gesehen, wie unter der Aufsicht des Ortsbauernführers bei der Verteilung von Schuhen, Kleidungsstücken an bedürftige, kinderreiche Familien nur parteifreundlich Gesinnte etwas davon bekamen und er als ehemaliger Bürgermeistersohn mit leeren Händen heimgehen musste. Später hatte er gehört, dass der Ortsbauernführer die Restpaare am Schwarzmarkt verkaufte. Alle 14 Tage ging der Ortsbauernführer mit der Sammelbüchse des Winterhilfswerkes des Deutschen Volkes, welches der NS Volkswohlfahrt unterstellt war, sammeln. Ebenso ging er für die NSDAP von Haus zu Haus Frucht sammeln und als Viktor Ertl zu wenig gab, ließ er ihn austrommeln. Auch dafür wollten sich Zwumpl und Karl Ertl rächen.
Um den Ortsbauernführer zu fianzln (ärgern), versteckten sie in seinem Hof Werkzeuge und den Anhänger. Ebenso verstreuten sie mit einem lautlosen Schubkarren vom Misthaufen überall Mist. Auch versteckten sie allerlei Naturalien und Dinge auf dem Misthaufen. Sie warfen viel Stroh in die Mistlacke.
Als Zwumpl die Rechen im Schweinestall verstecken wollte, lief ihm eine Ratte in seinen Hosenstrumpf. Sofort grenzte er die Ratte mit seinen Händen ein und Franz Leitner schlug mit einer Heugabel die Ratte innerhalb seines Hosenstrumpfes tot. Als der Ortsbauernführer den Hund bellen hörte, war er blitzschnell aufgestanden und boazte (hetzte) den Hund auf die Eindringlinge. Dieser fiel Zwumpl an, biss ihn, sodass er mit einer offenen Fleischwunde und einer zerrissenen Hose voller Schmerzen und Tränen heimhumpelte.
An jenem 1. Mai 1938 war es morgens bei Sonnenaufgang noch kühler, aber bald wärmten die warmen Sonnenstrahlen die Erde und erfreuten die Gemüter und die Gewächse der Natur.
An diesem Tag war auch Franz Leitner in Karls Elternhaus gekommen, unter dem Vorwand, die Pferdemähmaschine anzuschauen. In Wahrheit war dieses Ereignis ein willkommener Anlass für ihn, Ritsch zu sehen, und um sich zu vergewissern, ob sie wusste, dass der Maibaum vor ihrem Haus als Liebesbeweis von ihm aufgestellt worden war, und um sie zu fragen, ob sie zu den Maifeiern kommen würde.
Auch Stefan Resner und seine Frau Mitzi, die jüngste Schwester von Anna Ertl, waren gekommen.
Zwumpl lief voraus, um ihnen das Wunderwerk vorzuführen. Resner wusste, dass Viktor Ertl verschuldet war und sagte triumphierend: „Deine Tschekn (Erlagscheine) möchte ich nicht zum Zahlen haben. Sei froh, dass du deinen Hof jetzt durch die Entschuldungsaktion von den Schulden freikriegst, wenn Hitler nicht gekommen wäre, wärest du und viele andere Bauern schon tschari (zugrunde) gegangen. Und dass du jetzt einen so guten Preis für den Wein bekommst, hast du auch dem Führer zu verdanken. Endlich nimmt sich jemand unserer Probleme an. Siehst du, was du dir jetzt durch die Kinderbeihilfe alles leisten kannst. Die Kinderzucht ist besser als die Rinderzucht. Bald kannst du dir auch den Strom einleiten lassen. Nun musst auch du einsehen, dass es unter Hitler besser wird. Du wirst sehen, dass es von nun an nur bergauf geht und uns die Errungenschaften des neuen NS-Systems allen Segen und Wohlstand bringen werden.“ Wie zur Selbstbestätigung ergänzte er im Sinne des neuen NS-System: „Endlich ist die Not vorbei, jetzt wird alles besser.“ Dabei klopfte er Viktor Ertl aufmunternd auf die Schultern.
Mitzi hatte ihrem Mann mit leuchtenden Augen zugehört. Wie klug und redegewandt er war. Wie immer, wenn er begeistert über die Errungenschaften und den Fortschritt des NS-System sprach, zog er alle in seinen Bann. In seiner Euphorie für Hitler lief er zur Höchstform auf. Er hatte schon immer für dieses System geworben und vorausblickend erkannt, dass der Fortschritt