Lazarus. Christian Otte. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Otte
Издательство: Bookwire
Серия: Die Zentrale
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742741233
Скачать книгу
Umwandlungsphase haben wir uns erst auf die letzten 3 Monate vor seinem Unfall beschränkt. Ohne Ergebnis. Deswegen haben wir die Suche ja auch damals ausgeweitet.“

      „Und immer noch kein Ergebnis?“, fragte der Vorgesetzte und lehnte sich vor.

      Er stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch und legte die Fingerspitzen zusammen. Wilhelm Schulz war der Abteilungsleiter der Aufklärungsabteilung und damit Wolks direkter Vorgesetzter. Wolk musste sich eingestehen, dass er nicht genau wusste, wie alt sein Chef war, die weißen Haare und das tief zerfurchte Gesicht mit der spitzen Nase ließen ihn auf Mitte 60 tippen. Intern trug er den Spitznamen „Adler“, den er der Angewohnheit verdankte über die Gläser seiner rahmenlosen Brille hinweg seine Gesprächspartner in Grund und Boden zu starren. Einer alten Geschichte zufolge hatte er es damit geschafft einigen der übelsten Verbrecher, der letzten Jahre Geständnisse zu entlocken. Das Problem lag vielmehr daran, dass er diesen Blick auch untergebenen Mitarbeitern gegenüber aufsetzte, so dass sie sich ständig beobachtet fühlten. Allerdings sprach die Erfolgsquote seiner Abteilung für sich. Kaum ein Fall der nicht aufgeklärt wurde.

      Jetzt lag dieser Blick auf Wolk, den er, als einer von wenigen, nicht außer Fassung brachte.

      „Wir haben alles probiert, was uns eingefallen ist. Wir haben Daisy sogar die kompletten Aufnahmen durchsehen lassen. Nichts. Es ist als ob die Umwandlung bei ihm natürlich eingesetzt hat. Wie die Pubertät.“

      „Und wir wissen, dass das unmöglich ist“, resümierte der alte Mann und lehnte sich in seinem Sessel zurück.

      „Genau.“

      „Und was haben Sie jetzt vor?“

      „Ich werde den Fall abgeben. Ich habe da ein neues Projekt und dafür würde ich gern etwas mehr Zeit aufwenden. Vielleicht fällt mir etwas ein, wenn ich nicht die ganze Zeit daran denke.“

      Schulz nickte.

      „Exquisitorin Karamidou wird den Fall weiterbearbeiten. Sie war von Anfang an dabei und ...“

      „Ich denke, das wird nicht notwendig sein. Sie haben jetzt knapp anderthalb Jahre an diesem Fall gearbeitet und sind nicht einen Schritt vorwärtsgekommen. Ich werde den Fall schließen.“

      Wolk wollte protestieren, aber er wusste welche Argumente er hatte und welche Gegenargumente er zu hören bekommen würde. Diskussion sinnlos.

      „Geht klar“, sagte er und erhob sich.

      „Noch eins“, hielt ihn sein Vorgesetzter auf, „was ist das für ein neues Projekt?“

      „Es geht um einen Feldversuch, den ich gern beobachten möchte.“

      „Brauchen Sie etwas dafür? Wenn ich helfen kann, sagen Sie Bescheid.“

      „Danke, aber ich habe alles was ich brauche. Auf wiedersehen.“

      Mit seinem letzten Satz schloss sich die Tür hinter ihm.

      Auf einem Sofa in der Nähe saß Melina Karamidou und blätterte in einer Zeitschrift, als Wolk aus dem Büro kam. Sie legte die Zeitschrift weg als er sich neben sie setzte.

      „Und? Was hat Schulz gesagt?“

      „Er will den Fall schließen.“

      Sie drehte sich ihm zu.

      „Aber das kann er nicht tun. Wir haben immer noch keinen Hinweis wie, ...“

      Wolk hob beschwichtigend die Hand um sie zu unterbrechen.

      „Das weißt du, das weiß ich, dass weiß er. Genau deswegen schließt er den Fall, weil nicht noch mehr Leute noch mehr Zeit in einen Fall ohne Lösung investieren sollen. Absolut verständlich, wenn auch frustrierend.“

      „Das kannst du aber laut sagen.“ Sie schnaufte kurz verächtlich und drehte sich auf ihrem Platz wieder nach vorne. „Und wie geht es weiter?“

      „Ich werde Meister Claudius aufsuchen und mit ihm über meinen Feldversuch sprechen. Er hatte da noch ein paar Anmerkungen“, sagte Wolk, während Melina vom Sofa aufstand. „Und morgen werde ich mit meinem Verbindungsmann Kontakt aufnehmen.“

      „Alles klar. Dann viel Erfolg.“

      Melina beugte sich zu Vladimir herunter, gab ihm einen Kuss und fügte hinzu: „Komm nicht zu spät nach Hause.“

      Im Aufzug fuhr bereits einer der Weißkittel aus der Entwicklungsabteilung als Wolk dazu stieg. In seinen Armen balancierte er eine ganze Batterie aufgerollter Papiere.

      „Moin, Roland.“ grüßte er etwas barscher als er es eigentlich wollte.

      Roland von Braun registrierte den Unterton gar nicht, und war Wolk deswegen auch nicht böse. Er war wie immer viel zu sehr mit den Gedanken bei seiner Forschung, so dass er nur am Rande überhaupt mitbekam, dass sich noch jemand im Fahrstuhl befand.

      „Oh, hallo Vladi. Wolltest du ins Labor?“

      „Nein, ich bin auf dem Weg ins Allerheiligste.“ Wolk massierte sich die Schläfen um dem Kopfschmerz entgegenzuwirken, der sich gerade aufbaute.

      „Oh, verstehe, ich hätte da aber noch etwas für dich. Kannst du gerade mitkommen?“

      Wolk fischte sein Handy aus der Tasche und sah auf die Zeit auf dem Display.

      „Klar. Ich habe eh noch etwas Zeit bis zu meinem Termin.“

      Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich und Roland trat eilig hinaus. „Prima, folge mir.“

      Wolk war sich sicher, dass Roland das auch gesagt hätte, wenn er abgelehnt hätte.

      Das Labor hatte sich nicht viel verändert, seit Wolk hier gearbeitet hatte. Es hatte immer noch den leichten Geruch von Schwefel und Ammoniak. Die Wände waren noch immer weiß gekachelt und mit Zeichen und Symbolen versehen. Der massive Tisch an der Nordseite, auf dem ein Buch, aufgeschlagen lag, war größer als er ihn in Erinnerung hatte und ein Monitor war nun darin eingearbeitet. Unter dem Abzug in der westlichen Wand standen nebeneinander Reagenzgläser, Tiegel, Töpfe und kleine, verzierte Schalen mit Mineralien, Kräutern und allerlei Flüssigkeiten. Der Labortisch an der Südseite war halb mit einer kompliziert aussehenden Anordnung von Kolben, Glasröhren, Schläuchen und Bunsenbrennern zugebaut. Vermutlich mal wieder ein Versuch bei einer der Laborassistentinnen zu punkten. Aus seiner eigenen Zeit bei den Weißkitteln wusste er, dass es keinen Grund gab eine solch große und komplexe Apparatur hier im Labor aufzubauen. Einzig um einer der Laborassistentinnen durch umfassendes Wissen zu imponieren machte es Sinn. Nicht das es schon je geklappt hätte, aber einige Weißkittel waren in erster Linie Wissenschaftler durch und durch. Hochintelligent, ohne Frage, aber in der Interaktion mit anderen Menschen manchmal etwas schwerfällig.

      Roland beugte sich über einen Glaskolben auf dem anderen Labortisch, während Wolk noch versuchte in den vorschriftsmäßigen Kittel zu schlüpfen. Wieso hatte man eigentlich alle Leihkittel mindestens eine Nummer zu klein für ihn angeschafft? Der Kolben stand auf einem steinernen Untersetzer, in den 3 konzentrische Kreise eingelassen waren. Der kleinste der Kreise war nur etwas größer als der Kolben, so dass dieser in der passenden Vertiefung genau mittig saß. Die Ringe waren nur knapp einen halben Zentimeter breit, mit allerlei Schriftzeichen, Runen und Symbolen versehen und schlossen direkt aneinander an. Der äußere und innere Ring waren aus verschiedenen Metallen gefertigt und die Zeichen waren eingeritzt worden. Der mittlere Ring war aus Acryl und weiße Zeichen waren im Inneren eingeschlossen.

      In dem Glaskolben schwang eine schwarze Flüssigkeit hin und her, ohne dass der Kolben bewegt worden war. Auf den ersten Blick hätte man annehmen können, ein kleines Tier wäre in einen mit Teer oder Tinte gefüllten Kolben gefallen und versuchte daraus zu entkommen. Wolk wusste es besser, schließlich hatte er die Grundlagen für dieses Meisterwerk geschaffen.

      „Ist es stabil?“ Der Forscher in Wolk meldete sich wieder zu Wort.

      „So stabil, wie wir es haben wollen.“ antwortete von Braun, nicht ohne einen gewissen Stolz.

      Wolk betrachtete