„Seit zwei Jahren bist du schon von Ronny getrennt“ antwortete Sylvie, „ich glaube du bist einfach zu wählerisch.“
Sie hatte sich nach vorne gebeugt, beide Ellenbogen auf den Tisch gestützt und sah ihre Freundin ernst an. Lea stand auf und schenkte sich noch etwas Kaffee nach.
„Du weißt, dass ich regelmäßig bei einer seriösen Partnerschaftsagentur im Internet chatte, aber bis jetzt sind alle Treffen ziemlich chaotisch verlaufen. Denk nur mal an den Immobilienmakler aus Tegel. Ladet mich zum Essen ein und vergisst die Brieftasche und hat dann noch die Frechheit mich zu fragen ob ich auf Rollenspiele stehe.“
Beide mussten jetzt doch lachen. Lea nahm ihre Kaffeetasse und öffnete die Terrassentür. Die Sonne blendete sie, so dass sie die Augen für einen kurzen Moment schloss. Sie atmete tief ein und setzte sich in einen der Korbsessel und fingerte eine Zigarette aus ihrem Etui. Sylvie war ihr gefolgt und reichte ihr Feuer. Genüsslich stieß Lea den Rauch in die klare Luft. Noch immer lächelte sie.
„Du solltest mal Urlaub machen. Mit einem Singleclub zum Beispiel. Vielleicht lernst du ja auf diese Weise einen netten Mann kennen.“
Sylvie war ganz begeistert von ihrer eigenen Idee.
„Sylvie, also wirklich, ich bitte dich. Ich renne doch nicht mit einer ganzen Schar heiratswütigen Männern in der Gegend rum. Da müsstest du mich aber doch besser kennen. Ich werde dieses Jahr Urlaub machen, das steht fest, und zwar mit meinem Wohnmobil. Umsonst habe ich mir den ja nicht gekauft. Und wenn ich alleine fahren muss.“
Lea sprang auf und sah das Gespräch für erledigt an.
„So, und jetzt ist Joggen angesagt, O.K?“
Sie warf noch einen Blick zu Sylvie und verschwand dann wieder im Haus.
2
Marco blinzelte eher neugierig als enttäuschend. Die Sonne kitzelte seine Nase und ehe er einen Niesanfall bekommen konnte, drehte er sich schnell um und flüchtete wieder unter die Bettdecke. Es war Samstag stellte er zufrieden fest. Keine Arbeit, kein Stress und sein erster
Blick zum Fenster ließ einen sonnigen Tag erahnen. Sein Job als Webdesigner verlangte ihm eine Menge ab. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Robert leitete er eine gutgehende Werbeagentur in einem Bürokomplex in der Nähe vom Brandenburger Tor. Die Auftragsbücher waren voll und auch sonst lief alles bestens. Er würde heute wohl doch noch mal in die Firma müssen, um einige Unterlagen zu bearbeiten. Ein Großauftrag einer japanischen Firma stand kurz vor dem Abschluss. In letzter Zeit hatte er schon öfters Überlegungen angestellt, es doch in Zukunft ruhiger angehen zu lassen. Immerhin war er keine dreißig mehr. Gesunde Ernährung und Sport allein reichten nicht aus, die Balance wieder herzustellen, die ihm seit längerer Zeit abhanden gekommen war. Mit fünfunddreißig war man nicht alt, aber auch nicht mehr jung.
Man sah ihm sein Alter wirklich nicht an. Dank seinen sportlichen Aktivitäten hatte er sich einen durchtrainierten Körper erhalten. Ein leichtes Grau durchzog seine dunkelbraunen Haare. Das tat seinem männlichen Erscheinungsbild keinen Abbruch. Im Gegenteil: für das weibliche Geschlecht strahlte er Vertrauen und Selbstsicherheit aus. Durch eine Bewegung neben ihm wurde er aus seinen Überlegungen gerissen. Corinna schnurrte wie ein Kätzchen und kuschelte sich eng an ihn. Ihre Finger wanderten tastend und kreisend von seiner Brust Richtung Bauchnabel. Er entzog sich ihr, indem er mit einem Schwung aus dem Bett sprang und Richtung Bad eilte. Corinna hob den Kopf und schaute irritiert hinter ihm her. Heute Morgen war ihm überhaupt nicht nach kuscheln zu Mute und auch nicht nach mehr. Irgendetwas beunruhigte ihn, er konnte es sich nur nicht erklären. Er stieg in die Dusche und ließ das warme Wasser genüsslich über seinen Rücken laufen. Hier konnte er seine Gedanken wieder aufnehmen. Unwillkürlich fanden sie ihren Weg zu der Frau, die er vor zehn Jahren auf tragische Weise verloren hatte. Fast abgöttisch hatte er Susan geliebt und ihr Verlust hatte ihn hart getroffen. In seinen Träumen kamen immer wieder die schrecklichen Bilder vom Autounfall seiner geliebten Frau zurück. Bis heute wollten der Schmerz und die Traurigkeit nicht ganz weichen. Vor ungefähr einem Jahr hatte er Corinna kennen gelernt. Sie war ihm beim Joggen regelrecht in die Arme gelaufen. Sie war eine schöne Frau. Fast schon zu schön. Ihre großen blauen Augen standen im krassen Gegensatz zu Ihrem rabenschwarzen Haar. Die gertenschlanke Figur wusste sie mit dem richtigen Outfit perfekt zu betonen. Sie war Mitte dreißig, anschmiegsam und von exotischer Schönheit. Erst vor kurzem hatten sie mal wieder über eine feste Beziehung gesprochen. Doch er war einfach noch nicht so weit. Die Dusche hatte ihn erfrischt und das Aroma von frischem Kaffee zog durch die Wohnung. Corinna hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund und deckte den Frühstückstisch.
Es duftete herrlich nach frischen Brötchen, doch Marco wurde die Anspannung, die schon seit Tagen auf ihm lastete, einfach nicht los. Seine Hände zitterten leicht.
„Ich muss heute noch mal ins Büro, ich werde etwas später zu dieser Vernissage kommen. Tut mir leid.“
Corinna stöhnte innerlich auf. Doch sie wagte nicht Marco eine Szene zu machen. Die Abfuhr heute Morgen hatte sie schwer getroffen, trotzdem schluckte sie die Bemerkung, die sie auf der Zunge hatte, hinunter.
„Was meinst du wann du da sein wirst?“ fragte sie äußerlich gelassen.
„Ich schätze gegen zwei werde ich da sein. Wirst du das rote Kleid für mich anziehen? Darin finde ich dich besonders sexy.“ raunte er Corinna über den Tisch zu.
Versöhnlich lächelte Corinna Marco an.
„Für dich doch immer. Und zur Wiedergutmachung führst du mich dann heute Abend noch zum Essen aus.“
Marco lächelte, bot Corinna eine Zigarette an, nahm sich dann auch eine aus seinem Etui und schlenderte auf den Balkon. Tief zog er den Rauch ein und seine Gedanken wanderten schon wieder in Richtung Arbeit. Kurze Zeit später trat Corinna neben ihm und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
„Bis später dann. Ich muss noch mal bei mir vorbei und hab keine Lust wieder stundenlang im Stau zu stehen. “
Sie fingerte ihre Handtasche vom Sessel und verließ kurz darauf Marcos Wohnung. Marco tauschte den Bademantel gegen seinen Jogginganzug, warf die Tür ins Schloss und stand kurze Zeit später auf der Straße. Tief atmete er die kühle, frische Luft ein. Nachdem er einige Minuten gelaufen war, merkte er, wie die Anspannung langsam nachließ. Sein Kopf wurde freier und mit weit ausholenden Schritten lief er den gewohnten Weg zu einem kleinen Waldstück. Hier und da hörte man Vogelgezwitscher und die ersten warmen Sonnenstrahlen tanzten durch das erste zarte Grün der Bäume. Gutgelaunt erreichte er nach gut einer Stunde wieder sein Zuhause. Nach einer kurzen Dusche machte er sich auf den Weg ins Büro.
3
Marco und Tobias waren eineiige Zwillingsbrüder. Bis auf die Frisur sahen sie vollkommen gleich aus. Geheimnisse zwischen Ihnen gab es nicht. Nie hatte es bisher einen größeren Streit zwischen ihnen gegeben. Das lag vielleicht daran, dass sie sich auch charakterlich ähnlich waren. Im Gegensatz zu Marco war Tobias aber eher ernsterer Natur. Genau wie Marco war auch er selbständig und er liebte seinen Beruf als Landschaftsarchitekt über alles.
Finanziell gab es keinen Grund zu klagen. Beide verbrachten ihre Freizeit überwiegend in ihrer eigenen kleinen Blockhütte am Ammersee, malerisch gelegen im bayrischen Wald. Dort konnten sie fernab des Alltags beim Segeln so richtig die Seele baumeln lassen.
Tobias saß am Computer und schrieb Rechnungen. Missmutig schaute er auf den Monitor. Im Hintergrund versuchte ein Moderator gute Laune in die Wohnungen der Menschen zu zaubern. Tobias hatte die Balkontür weit aufgerissen, um die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings hereinzulassen. Eine leichte Brise zog an Tobias vorbei. Seine Aufmerksamkeit wurde vom lauten Gezwitscher eines Spatzenpaares gestört, das aufgeregt auf seinem Balkon hin und her tanzte. Die Unbekümmertheit dieser kleinen Geschöpfe belustigte ihn, als es im gleichen Moment