Der Klarträumer. Nicolai Richter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicolai Richter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738083972
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      Nach einer kurzen Pause stellte sich Zehnder vor die Kamera. Er wusste, es musste gleich beim ersten Mal klappen, sonst war die Luft raus.

      „Liebe Freunde. Ich muss UNBEDINGT das KRASSESTE, was ich je erlebt habe mit euch mitteilen. Vielleicht liegt es daran, weil ich am Abend vorher so viel Kamillentee getrunken habe … Was ist passiert. In dieser Nacht hatte ich einen SUPER … einen SUPER MEGAgeilen Klartraum. Ich sag euch jetzt nicht, WER ich da getroffen habe, und WAS wir da gemacht haben. Aber stellt euch einfach vor, ihr macht das, was ihr schon IMMER machen wolltet und legt noch einen drauf. Etwa SO GEIL war mein Traum, welchen ich da hatte. Und DANN, auf einmal war sie weg. Also die Sache da. Die ich getroffen hatte. Einfach weg. Und DA ist mir mein Fehler passiert. Und deshalb will ich DIESE SACHE sagen. Damit ihr nicht den GLEICHEN BLÖDEN Fehler macht. Wenn der Traum weg ist, oder einfach nicht mehr so toll, wie ihr eure Vorstellung habt, dann dürft ihr auf KEINESFALLS euch wecken. Weil, WENN ihr das macht … Dann kann euch passieren, was wir die sogenannte SCHLAFLÄHMUNG nennen. Ich fand den Traum so BLÖD, so … UNbefriedigend, dass ich mich wecken wollte und die Augen aufgemacht habe … Ein RIESEN Fehler! Weil das ProBLEM war, dass mein Körper davon nichts mitkriegen konnte, WIE auch, weil er ja dachte, dass ich noch schlafe. Also war ich in dieser SCHLAFlähmung. Und das ist wirklich WIE eine Lähmung. Ich konnte nichts mehr bewegen, oder fast nichts. Ich hab dann versucht, mich aus dem Bett zu rollen. Das hat eine GANZE HALBE STUNDE gedauert, bis ich ENDLICH aus dem Bett gefallen bin. Und dann habe ich verSUUCHT, IRGENDWIE ins Badezimmer zu kommen. Das ging sicher auch wieder eine KRASSE STUNDE, bis ich im Badezimmer war. Ich konnte dann GOTT SEI DANK mich hochziehen zum Waschbecken und den Wasserhahn anmachen. Ich hab dann mein Kopf nass gemacht und bin IMMER noch nicht aufgewacht! Und dann ist zu meinem Glück etwas vom Becken runtergefallen. Und durch den KNALL … auf den BODEN, bin ich, also mein Körper aufgewacht. Also denkt dran, NIE NIE die Augen aufmachen, wenn ihr aufwachen wollt. Besser einfach warten, bis ihr von alleine aufwacht.“

      Zehnder wechselte nun vom Vlogger Orkhan zum Vlogger Zehnder.

      „Entschuldige Orkhan, lieber Freund. War nicht böse gemeint. Und ihr, liebe Oneironauten, schaut euch das nächste Video an. Da verrate ich euch, wie man mit ein paar Tricks einen lahmen Klartraum wieder in Schwung bringt. In einer Woche wieder, hier auf Lucidity.ch, euer Jan.“

      „Okay, okay.“, Salome Knauss war zufrieden, „du hast aber vergessen, auf einen Fanblock einzugehen. Egal. Das können wir nächsten Freitag noch machen. Dann können wir den Vlog am Sonntag, also den 28. Juni, pünktlich um zwölf Uhr aufs Netz stellen.“

      Nach der Sendung ging Zehnder mit Treiber noch etwas trinken. Es artete in einem bösen Besäufnis aus. Kevin beschimpfte ihn als Kollegenschwein, während er ihn daran erinnerte, dass er immer noch reichlich absahnte, ohne gross dafür etwas tun zu müssen. Aber Treiber sah nur die verlorene Schauspielkarriere und ein falsches Regiekonzept.

      Als sie sich auf der Strasse trennten, rief er Zehnder noch hinterher:

      „Du kannst froh sein, dass ich kein Russe bin! Dann würde ich dich jetzt nämlich abknallen. Eigentlich sollte ich dich abknallen! Abknallen sollte ich dich, du Schwein!“

      Treiber war so betrunken, dass er plötzlich auf die Strasse ausscherte und beinahe von einem schwarzen BMW Van 220i überfahren wurde.

      13

      Eine Woche später

      Salome Knauss war stinksauer, als um neun Uhr die beiden Jungs schon wieder kaputt und mit einer beissenden Alkoholfahne im Studio erschienen. Treiber hatte die ganze Woche durchgesoffen und musste sich nach dem ersten Kaffee gleich auf der Toilette übergeben. Zehnders Woche verlief ähnlich, er konnte sich nicht einmal mehr an die einzelnen Tage und Nächte erinnern. Seit sechs Uhr war er schon wach und trank Wasser mit Alka Seltzer in kleinen Schlucken. Der noch fehlende Teil des Vlogs ging dann aber reibungslos in den Kasten, als Zehnders iPhone klingelte. Es war Sebastian Bode, sein Mädchen für alles, der sich um seine Autos, die Jacht und die Technik in seinen Liegenschaften kümmerte.

      „Jan. Du es ist was passiert. In deiner Jacht wurde eingebrochen.“

      „Aha.“

      „Es fehlt nichts, soweit ich das sehen konnte. Aber sieht nicht schön aus. Da haben wohl ein paar Jugendliche eine dolle Party gefeiert. Kaputte Flaschen und Gläser, zerrissene Kissen und so. Soll ich Anzeige erstatten?“

      „Ich war erst gerade dort, das muss gestern oder vorgestern passiert sein. Ist sonst alles okay?“

      „Ja, ausser dem Schloss.“

      „Aufgebrochen?“

      „Nein, das ist ja das Seltsame. Die Luke war offen. Entweder jemand hatte einen Schlüssel oder es war schon offen. Keine Spur, dass da ein Profi am Werk war. Am Schloss wurde nichts rumgemacht, hab‘s mir genau angesehen. Willst du die Anzeige?“

      „Nein, nein. Ich bin ja versichert. Lass mal, bringt eh nichts. Kannst du das wieder in Ordnung bringen?“

      „Klar, mach ich.“

      „Warte!“

      „Ja?“

      „Ich bin hier fertig, ich komme vorbei, will es mir ansehen. Wart auf mich.“

      „Okay, wenn du meinst, bis später.“

      „Was ist los?“, erkundigte sich Sascha, der ihn während des Telefonats abgeschminkt hatte.

      „Jemand ist in meine Jacht eingebrochen.“

      Bode stand auf dem schwankenden Boot wie ein Fels in der Brandung, breitbeinig mit den Händen in den Taschen seiner dunkelgrünen Arbeitshose.

      „Schaus dir an. Die Scherben habe ich schon ein bisschen weggewischt.“

      Zehnder setzte sich hin und schaute dreimal hintereinander seine Hand an. Nein, das hier war definitiv kein Traum!

      „Weisst du was, Bode? Das sieht genauso aus, wie ich es vor ein paar Tagen geträumt habe.“

      „Du hast geträumt, dass in deiner Jacht eingebrochen wird? Gibt’s ja nicht!“

      „Nein, nein. Aber es sah so aus. Die zerbrochene Whiskyflasche, als wenn sie jemand gegen die Luke geworfen hätte.“

      „Gegen die Luke, sagst du?“

      Bode schloss die Luken-Tür und zeigte auf die Diele: „Etwa so, meinst du?“

      „Ja etwa so.“ Zehnder wurde schlecht, als die Bilder aus seinem Traum wieder in sein Bewusstsein kamen, und er wusste nicht, ob er sich gleich übergeben musste.

      „Du sagtest doch, dass du erst gerade hier warst. Und da war noch alles ganz?“

      „Ja sicher, da war alles noch ganz.“

      Zehnder erinnerte sich, dass er sehr betrunken war. Wäre es tatsächlich möglich, dass ihm die Verwüstung im Suff gar nicht aufgefallen ist? Oder konnte er sich einfach nicht mehr erinnern? - Stand es schon so schlimm um ihn, dass er in dieser Schweinerei übernachtet hatte und am Morgen noch so benebelt war, dass er nicht einmal die Scherben auf dem Boden bemerkt hatte?

      „Das war doch alles voller Scherben, als du kamst, oder?“

      „Ja, ja. Da konnte man keinen Schritt machen.“

      Zehnder dröhnte der Kopf.

      „Okay, ich fotografier das noch und dann mach ich mich vom Acker.“

      „Soll ich dich mit deinem Auto nachhause fahren?“, Bode machte einen besorgten Gesichtsausdruck.

      „Nein, nein. Lass nur. Geht schon wieder.“

      Dann musste sich Zehnder aber doch noch übergeben. Und da er nichts gegessen hatte, würgte er nur etwas Magenflüssigkeit hervor und röchelte nach Luft. Bode gab ihm ein Taschentuch.

      „Ach, das hätte ich fast vergessen. Ich habe eure Medikamente bei Petrowski abgeholt. Und er hat mir noch etwas für eure Katzen mitgegeben. Ich leg dir den Karton in den Kofferraum.“