Der Klarträumer. Nicolai Richter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicolai Richter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738083972
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      Nicolai Richter

      Der Klarträumer

      Psychothriller

      ISBN 13: 978-1537617244

      eBook: neobooks.com self publishing

      Printausgabe: createspace.com

      ® Nicolai Richter: Sachseln 2016

      Wir sind vom Stoff,

      Aus dem die Träume sind; und unser kleines Leben

      Beginnt und schließt ein Schlaf.“1

      William Shakespeare

      1

      Berlin, sechs Tage vor der Wahrheit

      Gegen 21 Uhr betrat Schwester Martha die Eingangshalle der Psychiatrischen Klinik in Dahlem. Es war ihre fünfte Nachtschicht in Folge.

      Heute Nacht war irgendetwas anders als sonst. Die vergitterten Fenster warfen ein bizarres Licht auf die Stufen und Wände und ihre Schritte hallten durch das Treppenhaus. Dann bemerkte sie, dass es anders roch als gewöhnlich, genau genommen roch es nach gar nichts.

      Schwester Martha erklärte das mit ihrer schlechten Laune, sie hasste diese Jahreszeit, seit Tagen lag eine zähe Smog-Decke über Berlin und hüllte die Menschen in Dunkelheit. Durch die Strassen fegte ein eisiger Wind und überall sammelte sich Schneematsch mit den Abfällen und verstopfte die Gehwege. Am liebsten würde sie einfach im Bett bleiben, bis der Frühling kam, dachte sie, als sie die letzte Treppe in Angriff nahm.

      Plötzlich blieb sie stehen, sie glaubte, etwas gehört zu haben. Sie konnte nicht genau sagen, ob da einer ihrer Patienten schrie oder irgendwo nur der Fernseher zu laut lief. Schwester Martha beschleunigte ihren Gang nach oben.

      Dann hörte sie einen Knall, als wenn jemand die Türe zugeschlagen hätte. Sie eilte die letzten Stufen hoch und blieb im Gang stehen. Jetzt hörte sie nichts mehr, auch keinen Fernseher. Sie ging ins Schwesternzimmer, liess die Tür aber auf und schaltete das Radio leise ein. Gegen 21 Uhr 30 setzte sie sich in den Sessel und las eine Illustrierte. Mit der Zeit wurde sie müde und die Augen fielen

      ihr immer wieder zu. Sie war gerade eingenickt, als sie durch den schrillen Ton des Zimmeralarms aus ihrem kurzen Traum gerissen wurde. Schwester Martha schaute auf den Monitor, Johnny Kunze in Zimmer 414.

      2

      Berlin, sechs Monate vor der Wahrheit

      Kurz vor Weihnachten hatte Johnny schon einmal den Alarm ausgelöst. Nicht in der Psychiatrie, sondern in einem Parkhaus.

      Dort traf er sich um zwei Uhr in der Nacht mit einem Freier in seinem BMW Van 220i. Ein Familienvater, wie er sehen konnte, als der Mann mit Wohlstandsbauch und Goldrandbrille den Hunderter aus seiner Brieftasche zupfte. Auf dem Foto in der Brieftasche sah man ihn mit seiner Frau und zwei kleinen Mädchen, wie sie im Garten an einem Tisch mit einer grossen Geburtstagstorte sassen. Es sah so aus, als würden sie alle Happy Birthday singen. Das grössere Mädchen hatte einen weissen Labrador-Welpen mit einer roten Schleife am Halsband auf dem Schoss. Im Hintergrund konnte man einen Baum erkennen, auf dem zwei Krähen sassen. Mit offenen Schnäbeln und ausgestreckten Fittichen, als würden sie mitsingen.

      Mit dem verdienten Hunderter bezahlte er als Erstes den Dealer, der im Treppenhaus auf ihn wartete. Dann setzte er sich auf der Herrentoilette durch die Vene des linken Fusses einen Schuss Heroin und rauchte aus Alufolie ein Gemisch aus Crystal Meth und Kokain. Kurz darauf ist er neben der Toilette für ein paar Stunden eingeschlafen. Er träumte von weissen Wölfen, die ihn auf einem Schlitten durch die Milchstrasse zogen. Neben ihm sass eine Prinzessin in einem silbernen Mantel. Auf den Mantel waren alle Sterne des Universums genäht. Ihre goldenen Haare waren das Licht der Welt und ihre Augen die grossen blauen Weltmeere.

      Als er dann aufwachte, wusste er weder, wo er war, noch konnte er sich erinnern, wie er in dieses Parkhaus gekommen war. Dann setzte die Paranoia ein. Er rannte panisch durch das Parkhaus, rannte in Kreisen, rannte das Treppenhaus hinauf und wieder hinunter. Kurz darauf setzte der Juckreiz des Crystal Meths ein und er fing an, sich an den Armen und Unterschenkeln zu kratzen. Dann hämmerte er mit geballten Fäusten und schlug mit dem Kopf gegen die Wände, die sich ihm plötzlich in den Weg stellten. Unter seiner Haut sah er kleine Käfer und Würmer. Und hinter jeder Ecke, in jedem fahrenden Auto sah er CIA-Agenten, die ihn töten wollten. Er fing an, Zahlen der Parkplätze mit Zahlen der Etagen zu multiplizieren und addierte sie mit den ungeraden Zahlen auf den Nummernschildern von schwarzen Autos. Dann tippte er die Zahlen in die Parkscheinautomaten.

      Nach sieben Stunden brach Johnny erschöpft und dehydriert drei Meter vor dem Ausgang zusammen. Nachdem er mit letzter Kraft noch die Scheibe des Feuermelders eingeschlagen hatte.

      Die Feuerwehre lieferte ihn dann im Krankenhaus ab, wo man ihn nach einer Woche soweit aufgepäppelt hatte, dass er in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie verlegt wurde.

      3

      Berlin, sechs Tage vor der Wahrheit

      Schwester Martha öffnete mit ihrer Karte die Sicherheitstür und hetzte ihren schweren Körper durch den Gang. Als sie die Tür von Zimmer 414 erreichte, war er wieder da, der vertraute Geruch, den sie im Treppenhaus vergeblich gesucht hatte. Der Geruch nach betäubter Wut, Verzweiflung und Todesangst.

      Als sie das Zimmer betrat, stürzte sich Johnny gleich hinter ihr gegen die Tür. „Schliessen Sie die Tür, schnell, schliessen Sie die Tür mit ihrem Schlüssel!“, Johnny stand in der Unterhose vor ihr und stemmte sich gegen die Tür, seine Beine und Arme zitterten und er war von oben bis unten mit Blut überschmiert.

      „Haben Sie den Mann gesehen, ist er noch da draussen?“

      „Was für ein Mann Johnny, da ist niemand.“

      „Der CIA-Agent im schwarzen Anzug. Der Mann mit Sonnenbrille. Ist er noch da?“

      „Beruhige dich Johnny. Da ist niemand, glaub mir. Niemand kann in diese Abteilung einfach hineinspazieren.“

      Schwester Martha schaute sich Johnny genauer an.

      „Woher kommt das ganze Blut, hast du dich wieder aufgekratzt?“

      „Da, sehen Sie, da, das hat er an die Wand geschrieben. Und dann hat er gesagt...“, Johnny japste nach Luft und fing an zu husten. Schwester Martha traute ihren Augen nicht, als sie Johnnys starrem Blick zur Wand folgte.

      15 x 4 + 13 GEH DURCH DAS 1. TOR DORT FOLGE MIR

      Woher hatte Johnny das ganze Blut? Sicher nicht von ein paar aufgekratzten Wunden. Schwester Martha griff nach ihrem Mobiltelefon und alarmierte die Zentrale.

      „Ich brauche Verstärkung auf der Geschlossenen in Zimmer 414.“

      Als der Arzt und der Pfleger die Tür aufstemmten, fiel ihr Johnny beinahe in die Arme. Sie setzten ihn auf das Bett und Dr. Becker suchte nach einer stark blutenden Wunde, aber da war nichts, kein einziger Kratzer.

      „Herr Kunze, wo kommt das ganze Blut her?“, fragte Dr. Becker, „Woher ist das Blut, wer hat das an die Wand geschmiert? Reden Sie bitte mit mir.“

      Aber Johnny sagte kein Wort mehr. Mit offenem Mund starrte er auf die Buchstaben und zitterte am ganzen Körper.

      „Okay, ich gebe ihm eine Beruhigungsspritze und dann fixieren wir ihn zur Sicherheit für die restliche Nacht. Morgen sehen wir weiter.“

      Nachdem sie Johnny festgebunden hatten, setzte ihm Dr. Becker eine Infusion mit 20 mg Valium. Schwester Martha wischte ihm gerade mit einem nassen Lappen das Blut aus dem Gesicht, als über ihren Pieper der zweite Alarm in dieser Nacht losging. Sie stürzte auf den Gang und sah, dass die Lampe über dem Zimmer 412 aufleuchtete. Das Zimmer, in dem Charlotte von Stuck untergebracht war.

      „Was zum Henker war bloss los in dieser Nacht!“, fragte sich Schwester Martha, als sie die Tür des Zimmers 412 öffnete. Charlotte von Stuck sass zitternd auf dem Boden in der Dusche, auch ihr Köper war von oben bis unten mit Blut überschmiert. An der Kachelwand stand mit Blut geschrieben: