VERBUCHT!. Topsi Torhaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Topsi Torhaus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742789600
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von meinem Chef erklären lassen, würde ich heute ein besseres Bild abgeben.

      Aber ich habe meine Zeit lieber meinen undankbaren Kollegen zur Verfügung gestellt, die ihren Horizont nicht erweitern wollten. Leider ist mir erst jetzt klar geworden, dass ich diese Zeit besser in mich investiert hätte. Dann hätte ich zwar auch keinen Dank erhalten, stünde aber nun um einiges besser da.

      Manche Worte scheinen Buchhalter in eine wahre Ekstase zu bringen, so auch bei Herrn Dahlmanns. Vornübergebeugt lächelt er selig und fast wie ein Geistlicher sprudelt es aus ihm heraus: »Ach, Sie hatten immer einen Impairment Lauf gestartet in MAP? Das ist ja super, ich meine superinteressant«, bemerkt er.

      Erkenne ich ein Leuchten in seinen Augen?

      »Aber bei uns sind ja solche Dinge nicht an der Tagesordnung. Sie müssten eher manuelle Buchungen durchführen und externe Konten abstimmen«, klärt er mich dann ein wenig wehmütig auf.

      Diese Kurve war haarscharf, aber immerhin habe ich es geschafft, nicht aus der Bahn zu geraten. Ich sollte vielleicht auf Formel Eins umsteigen. Sichtlich erleichtert höre ich, wie durch einen Wattebausch, der mein buchhalterisch erweichtes Gehirn umgibt, welches mein Aufgabengebiet darstellt.

      Bin ich etwa schon angestellt mit meinem gefährlichen Halbwissen? Okay, das ist leicht übertrieben, viele wissen weitaus weniger, als ich. Reicht es tatsächlich aus, ein wenig mit Fremdwörtern um sich zu werfen, ohne jegliche Ahnung zu haben und schon hat man einen Arbeitsvertrag?

      Denn irgendwie redet Herr Dr. Dahlmanns schon so, als ob ich bereits angestellt wäre.

      »Ja, der Kollege, für den Sie kommen, ist schon länger krank. Da ich mein Budget von Ingolsheim genehmigen lassen muss, kann ich Ihnen noch nicht sofort zusagen. Wir wollten dem Kollegen bereits kündigen, aber Sie wissen ja, wie das so ist. Eine Kündigungsfrist muss eingehalten werden, und solange er noch im Krankenschein ist, kann ich ihm ja nicht kündigen.«

      Habe ich das richtig verstanden? Ich soll für eine Person kommen, der man am liebsten im Krankenschein kündigen will oder schon gekündigt hat? Ich will Herrn Dr. Dahlmanns schon aufklären, dass er erst nach einem halben Jahr im Krankenschein den Kollegen kündigen kann, aber ich unterlasse es, denn im Normalfall haben es Arbeitgeber nicht gerne, wenn man sich im Arbeitsrecht zu gut auskennt. Von daher behalte ich mein Wissen für mich und versuche mir einzureden, dass mein Vorgänger sicher untragbar gewesen war. Durch meine Absage würde man ihn sicher auch nicht wieder einstellen, aber ein komisches Gefühl bleibt trotzdem.

      »Also dann, wenn Sie mit dem vorgeschlagenen Gehalt einverstanden sind und mit 25 Urlaubstagen, dann könnten Sie am 1. Dezember anfangen.« Einverstanden bin ich zwar mit einer 20%igen Gehaltskürzung nicht und auch nicht damit, auf 9,5 Tage Urlaub zu verzichten, aber im Hinblick auf die wenigen verbleibenden Wochen bis zum Ende meiner Freistellungsphase, ist ein Spatz in der Hand zurzeit doch besser, als auf die Taube auf dem Hochhaus.

      »Gern«, antworte ich, »Sie klären dann in der Zentrale ab, ob alles klappt zum 1. Dezember und ich spreche mit meinem Arbeitgeber.« Schlauerweise habe ich ihm selbstverständlich nicht erklärt, dass ich bereits seit über einem Jahr freigestellt bin und selbstverständlich alles andere gemacht habe, außer Buchhaltung.

      Das hätte mich doch in Erklärungsnot gebracht, und ich hätte eingestehen müssen noch nicht einmal einen lapidaren Buchungssatz auf die Beine stellen zu können. Der einzige Buchungssatz, der mir spontan einfiele, ist: »Buche Kaffee an Kuchen«. Ebender dürfte auf wenig Verständnis bei meinem Gegenüber stoßen. Nicht, dass ich beruflich nichts aufzuweisen habe, aber nicht auf der buchhalterischen Seite. Mikrofinanz, Personalreferent oder Beschäftigungsinitiativen sind meiner Einschätzung nach von Herrn Dr. Dahlmanns nicht so gefragt für diese Position.

      »Aber es wird sicher kein Problem sein, mein Arbeitsverhältnis bei der Subprimekrisenbank einen Monat früher zu beenden«, flunkere ich vor mich hin, um mein Gegenüber zu einer positiven Entscheidung zu ermuntern.

      Bevor ich hier den ganzen Abend verbringen muss, würde ich nun gerne das Gespräch zu Ende bringen. Es ist in der Zwischenzeit neunzehn Uhr dreißig und meine Motivation, mich über Abschreibungen und Buchungssätze zu unterhalten, ist auf ein historisches Tief gefallen.

      Mein Körper ruft, nach all den traumatischen Erinnerungen an grauenvolle Arbeit, nach einem eisgekühlten, spritzigen Glas Champagner. Mein Wunsch ist so stark, dass ich dieses unglaubliche Gefühl des prickelnden Hinabgleitens des eisgekühlten Champagners geradezu spüren kann. Kurz schließe ich meine Augen und bin sofort in einer anderen Welt, weit weg von Buchhaltung, Winter und trostlosen Büros … Draußen flirrt die Hitze, hier drinnen ist es dank Klimaanlage gekühlt, aber nicht zu kalt. Mein rückenfreies Chanel Kleid schließt meinen gerade frisch gestylten Körper elegant ein, Nägel und Haare sind im besten Salon der Stadt heute dem Ambiente angepasst worden. Der livrierte Kellner eilt devot herbei, um mir meinen Champagnercocktail elegant zu servieren. Dabei muss ich selbstverständlich keine Bestellung aufgeben. Man und Mann kennen mich hier. Regelmäßig sitze ich im besten Hotel der Stadt, dem »Rapples«, um mein Gedankengut zu ordnen und in Worte zu fassen – als Schriftstellerin. Meine Augen öffnen sich: »Aaahhhhh, wer ist der fremde Mann, der mich mit Glubschaugen anstarrt, als hätte er noch keine Diva gesehen?«

      »Haben Sie noch Fragen? Oder nicht?«, fragt mich unsanft eine Stimme. Also, der Kellner aus dem »Rapples« würde mich das kaum in dieser ruppigen Art fragen. Dort flötet man in den süßesten Tönen, wenn man meine Wünsche wissen will. Nach zwei Sekunden wird mir klar, dass ich nur in einen winzig kleinen Tagtraum abgeglitten war.

      Ich sitze nicht in einem mondänen Hotel, sondern durchnässt in einem Bewerbungsgespräch im Luxemburgischen Moderdange. Dabei blicke ich in das Gesicht meines Vorgesetzten in spe.

      Irgendwie löst das keine ekstatischen Gefühle in mir aus, im Gegensatz zu meinem »Impairmentgestammele«, das ihn ganz zu verzücken schien. Ich verfalle in Angst und Schrecken, als ich dieses unbewegte Gesicht sehe, – »ein Triebtäter, Hilfe!«, schießt es mir durch den Kopf. Als mein Großhirn anfängt zu arbeiten, erhält meine Amygdala Entwarnung – »Cool down« – kein Triebtäter, nur der irre Blick eines Buchhalters.

      Nun erhalte ich auch wieder Verbindung zu meinem Sprachzentrum, die Synapsen arbeiten wieder einwandfrei. Nach gefühlten Stunden bin ich fähig auf seine Frage zu antworten. »Äh, Fragen, von meiner Seite aus zurzeit nicht, aber ich habe ja Ihre Telefonnummer, und falls mir noch etwas einfallen sollte, kann ich Sie anrufen.« Dieser Standardsatz entweicht meinen Stimmbändern, ohne dass irgendeine Hirnregion eingeschaltet worden ist. Mein Autopilot ist am Werk.

      Herr Dahlmanns hat scheinbar keine Lunte gerochen, starrt mich zwar weiterhin seltsam an, sagt aber lediglich: »Aus meiner Sicht sind auch keine Fragen mehr offen. Ich habe zwar noch einen Bewerber, aber ich glaube kaum, dass er Ihren Erfahrungen gewachsen ist.« Nein, das glaube ich zwar auch kaum, aber wir haben auch keine gemeinsamen Nenner bei der Definition von Erfahrung.

      Um nochmals auf die Dringlichkeit meiner Arbeitsplatzsuche hinzuweisen, füge ich hinzu: »Nun, wenn Sie sich anders entscheiden sollten, lassen Sie es mich bitte diese Woche wissen, denn ich muss ja meinen vorzeitigen Weggang mit meinem derzeitigen Arbeitgeber klären und meine noch ausstehenden, anderen Bewerbungen absagen.«

      Ich hoffe inständig, er wird keine Referenzen verlangen oder mit meinem »derzeitigen Arbeitgeber« sprechen wollen – denn eigentlich existiert die Subprimekrisenbank S.A. nur noch auf dem Papier und besteht aus den ehrenwerten, nie etwas Wichtiges sehen könnenden, aber sich um Klopapierrollen kümmernden Geschäftsführern. Sie waren zwar für den Untergang und die Schließung der Bank mit verantwortlich, aber wie es normal ist in der heutigen Welt, erhalten dann diese Geschäftsführer & Co. noch eine Belohnung in Form eines goldenen Handschlags für ihre Misswirtschaft und Schandtaten.

      Das Fußvolk darf mit einem Tritt gehen, vielleicht noch mit einem Almosen als Abfindung, aber die Herren glauben selbstverständlich, dass sie diesen goldenen Abgang verdient haben. Leider schweben diese Herren – zu 99% sind es ja Männer – auf Wolke 188.214.221, sodass weder Kritik oder gar unser lieber Herrgott sie von dem Gegenteil ihres Verdienstes