Bubenträume. Sebastian Liebowitz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sebastian Liebowitz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742791887
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schon in guter Laune ein imposanter Anblick. Seine gute Laune musste ihm aber gerade irgendwie abhandengekommen sein. Es dauerte nur Sekunden und schon gaben die ersten Fersengeld. Und es dauerte nur eine Sekunde mehr, ihnen hinterherzurennen.

      Nur Bürgi starrte immer noch wie hypnotisiert zu Pfarrer Brändle hoch. Die beiden hatten seit ein paar Wochen ein etwas gespanntes Verhältnis.

      Pfarrer Brändle hatte damals den Unterricht mit dem wohlgemeinten Hinweis beendet, dass, wenn jemand noch Fragen habe, er sich ruhig melden solle. Dass ausgerechnet Bürgi, der bisher nicht durch rege Teilnahme am Unterricht aufgefallen war, als erster die Hand hob, überraschte ihn sichtlich. Und als Bürgi loslegte, war nicht nur er überrascht.

      „Sagen Sie mal, Herr Pfarrer Brändle“, begann er dreist, „was verdient man als Pfarrer eigentlich so? So ein VW Golf, wie Sie einen fahren, kost‘ ja ein Schweinegeld. Das täte mich momentan grad interessieren.“

      Pfarrer Brändle stockte kurz und man konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Dann aber zog er sich elegant aus der Affäre, indem er mit entsättigten Farben ein derart düsteres Bild eines am Rande des Existenzminimums dahinvegetierenden Dieners der Gemeinde malte, dass man am Ende seiner Ausführungen versucht war, eine Kollekte für den Ärmsten zu veranstalten. Einige Mädchen wischten sich sogar Tränen aus den Augen, weil das Schicksal des ausgehungerten, mehr schlecht als recht von der Hand in den Mund lebenden 115 Kilogramm Hünen sie dermassen berührte.

      Jetzt war die Zeit für eine Revanche gekommen, wie es schien.

      „Soso, der Bürgi mal wieder“, lächelte Pfarrer Brändle grimmig, wenn auch nicht unzufrieden. „Du sag mal, Bürgi, wo du doch so gerne von den babylonischen Huren erzählst. Was sind denn das für welche? Das täte mich momentan grad interessieren.“

      Mit dieser Frage hatte Bürgi nun wirklich nicht gerechnet.

      „Jaa, äh, ähm, halt Huren halt…“, stotterte er unsicher, „so babylonische, eben.“

      „Soso, grad Huren. Und was machen die denn so, diese ‚babylonischen Huren‘?“

      „Jaa, äh, herumhuren, halt. Und so..“

      „Aha, herumhuren. Und so…“

      „Ja.“

      „In diesem Babi.. wie war das noch?“

      „In Babylonien“

      „Aha. Was ist das denn, dieses Babylonien? Ist das etwa ein Bordell hier in der Gegend? Du wirst mir in deinem Alter doch noch kein Bordell kennen? Das würde mich jetzt aber wundern, würde mich das.“

      „Äh, nein, das ist so ein Land, ist das…so eins.“

      „Ach so, ein Land ist das. Ja, da bin ich aber froh, bin ich da. Und wo liegt es denn, dieses äh, ‚Babylonien‘?“

      „Ja, äh, weit weg. Im Ausland, sozusagen.“

      „Aha, weit weg im Ausland also. Sozusagen. Soso.“

      Pfarrer Brändle räusperte sich kurz die Kehle frei.

      „Weisst du was, Bürgi? Tu mir doch einen Gefallen und schreib bis am nächsten Mittwoch einen vier…nein, besser fünfseitigen Aufsatz über diese babylonischen Huren. Du scheinst dich mit diesem Thema ja bestens auszukennen. Und wer weiss, unter Umständen würdest du im Neuen Testament in der Offenbarung des Johannes auch noch den einen oder anderen Hinweis finden, der dir weiterhilft. Vielleicht solltest du dich da mal schlau machen und dort die Geschichte nachlesen. Unsere Bibliothekarin würde dir sicher eine Kopie leihen, wo du dich doch so sehr für dieses Thema interessierst. Nun, was meinst du, Bürgi, würdest du mir diesen Gefallen tun?“

      Bürgi schluckte trocken.

      „Äh, ich weiss nicht, Herr Pfarrer Brändle, mir wäre---“

      „Bis am Mittwoch dann“, fiel ihm Pfarrer Brändle ins Wort und legte ihm seine Pranke auf die Schulter. „Und nicht vergessen. Fünf Seiten.“ Und mit einem Blick zu uns, wie wir unsere Nasen an der Glastür plattdrückten, um nur ja nichts zu verpassen: „Ah, wie ich sehe, warten deine Kameraden schon auf dich. Du solltest dich vielleicht sputen.“

      „Äh, ja, Herr Pfarrer“, gab Bürgi leise von sich und machte sich dann mit hängendem Kopf davon.

      Dieser Vorfall sollte viel zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Pfarrer Brändle und Bürgi beitragen, welches nun von gegenseitigem Respekt geprägt war. Gut, ganz ausgeglichen war das Verhältnis nicht, es war eher so 90 zu 10 zugunsten Pfarrer Brändle, trotzdem (oder vielleicht ja auch gerade deswegen) sind die beiden nie mehr aneinandergeraten. Und von diesen berühmten „babylonischen Huren“ haben wir Bürgi auch nie mehr reden hören.

      Umgekehrt wäre ich mir da nicht so sicher, gäbe es sie denn, diese „babylonischen Huren“ aus „Babylonien“, denn zumindest die Geschichte mit der Dusche hat sich damals weit herumgesprochen und es wäre gut denkbar, dass sie selbst in Babylo…

      Was, Sie kennen die Geschichte mit der Dusche noch nicht?

      Dann lassen Sie mich Ihnen auf die Sprünge helfen.

      Der schiefe Turm von Bürgi

      Bürgi war, wie es so schön heisst, „gut bestückt“.

      Wenn er sich in der Dusche seines Handtuchs entledigte, herrschte stets andächtiges Schweigen. Man starrte gebannt auf dieses armdicke Gewächs, welches da zwischen Bürgis Beinen hin- und her schlenkerte und schluckte trocken. Der Bann wurde in der Regel erst von Bürgi wieder gebrochen, wenn er seinen Nebenmann um Duschgel anbettelte. Bei ihm ging die halbe Flasche ja schliesslich schon für seinen Reptilienpimmel drauf. Bei uns Bübchen hingegen genügte bereits schon wenig Seifenschaum, um zu verhüllen, was der Enthüllung ohnehin nicht wert war.

      Die Kunde von Bürgis grosszügiger Ausstattung im Untergeschoss hatte sich selbstverständlich wie ein Lauffeuer verbreitet, seit er das erste Mal nach der Turnstunde blankgezogen hatte. Und so erstaunt es nicht, dass sich über dessen Entstehung zahllose Legenden rankten.

      Am wahrscheinlichsten schien uns Rolfs Theorie, Mama Bürgi hätte ursprünglich Zwillinge zur Welt bringen sollen. Dann sei aber irgendwas schiefgegangen und vom einen Zwilling sei nur noch ein monströser Auswuchs zwischen den Beinen des anderen Zwillings übriggeblieben. Im Spital habe man dann auf die Schnelle keine Motorsäge auftreiben können, um das Ding auf die richtige Länge zu stutzen und das hätte man nun davon. Spätestens bei seiner ersten Flugreise werde der arme Teufel für das Ding einen eigenen Sitz reservieren müssen.

      Thuri hingegen vermutete als Ursache für den abnormen Wuchs eine Mutation.

      Es sei nicht auszuschliessen, so mutmasste er, dass Bürgi bei seinen Ferien auf einem Bauernhof im „Aargauischen“ einer erhöhten Atomstrahlung ausgesetzt gewesen sei. Dort unten gäbe es, wie ihm sein Vater erzählt habe, so ein Atomstrahlwerk oder wie das heisse und alles sei verseucht. In der Aare wimmle es nur so von Atomabfällen und man habe schon meterlange Forellen mit drei Köpfen und Frösche mit vier Augen aus dem Wasser gefischt. Sein Vater habe ihm da Sachen erzählt…

      Dann gab es natürlich auch Neider, die in Bürgis fortgeschrittener, körperlicher Entwicklung, er war mit 13 Jahren schon über 1 Meter 70 gross, einen Druckfehler auf der Geburtsurkunde vermuteten. Einer davon, der mit Bürgi um das gleiche Mädchen buhlte, war sogar so gemein, herumzuerzählen, Bürgi hinge ein Teil seines Dickdarms vorne heraus, was seine Chancen beim anderen Geschlecht ins Bodenlose sinken liess.

      Nun war die Länge von Bürgis Geschlechtsteil nicht etwas, was man offen mit ihm diskutieren wollte. Speziell mit 13 Jahren nicht und nackt unter Mannschaftsdusche, wo man sich mit einem unauffälligen Blick zwischen die Beine seines Nebenmanns schnell von den eigenen Unzulänglichkeiten überzeugen konnte, noch viel weniger. Nicht, dass wir verklemmt gewesen wären, schliesslich duschten wir nach der Turnstunde immer nackt, aber trotzdem sollte es einige Wochen dauern, bis endlich jemand aussprach, was wir bis dahin nur zu denken