Das Herz der Greakar. Christian Dornreich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Dornreich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847648734
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schritt an dem Alten vorbei und blickte auf den Altar. Den beiden Todesklingen, die ihn begleiteten, ergriffen den Geistseher an seinen faltigen, vom Alter ausgemergelten Armen. Morcans Augen fanden, was sie suchten, als sein Blick auf die kleine Schatulle fiel. Das Ziel dieser Unternehmung. Beinah zärtlich strichen seine Finger über das verzierte Holz, während ein verächtliches Lächeln um seine Lippen spielte.

      »Ich habe dich gesehen!« Die Stimme des Alten bebte. Doch als Morcan sich zu ihm umwandte, hielt der Blick des Geistsehers, dem des Schattenelfen stand.

      »Ich habe dich gesehen«, wiederholte der Älteste wieder und wieder.

      Morcan nickte einer der Todesklingen zu und deutete dann mit dem Kinn auf die Schatulle. Der Elf erwiderte das Nicken knapp und ließ den Arm des Alten los, dann griff er nach der Schatulle. Gemessenen Schrittes ging Morcan auf den Alten zu. Er zog sein Schwert, das, anders als die geschwärzten Klingen der Schattengestalten, mit einem fahlen Glimmen leuchtete. Morcan drückte die Spitze seiner Klinge leicht gegen die papierne Haut des Alten an dessen Halsausschnitt. Eine Spur aus feinen Bluttropfen folgte der Schwertspitze, als Morcan diese über die faltige Haut des Geistsehers zog. Das Glimmen der Klinge wurde stärker und ein leises Flüstern unzähliger, ferner Stimmen schien die Luft zu erfüllen. Das verächtliche Lächeln Morcans gefror und die Gesichtszüge des Todbringers verdunkelten sich. Offensichtlich wollte ihm nicht gefallen, was er gefunden hatte.

      »Ich habe dich gesehen«, sagte der Alte erneut, wieder und wieder.

      Morcan führte das Schwert zurück in die Scheide. Dann blickte er dem Alten in die Augen.

      »Ich habe dich gesehen«, wiederholte der Alte seine Worte und keuchte.

      Mit einem lauten Knall schlug Morcan dem Alten ins Gesicht.

      »Spar dir deinen Atem, alter Mann!«, presste Morcan zwischen seinen Zähnen hervor.

      Die Plane des Zeltes wurde erneut zurückgeschlagen.

      »Todbringer?« Eine weitere Todesklinge hatte das Zelt betreten. »Todbringer Morcan? Sollten wir nicht allmählich hier verschwinden? Wie lauten eure Befehle, Herr?«

      Morcan wandte sich halb zu dem anderen Elfen um. »Wir gehen. Zündet dieses Zelt an!«

      Der Angesprochene deutete knapp eine Verbeugung an, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zelt. Morcan wandte sich an die andere Todesklinge, die immer noch den dürren Arm des Alten hielt.

      »Lass ihn bluten. Es soll ... ein wenig dauern.« Ein vor Kälte klirrendes Lächeln, das seine Augen nicht berührte, glitt über die bleichen Züge des Schattenelfen. Dann wandte Morcan sich ab, um das Zelt des Alten zu verlassen.

      »Ich habe dich gesehen!«, rief der Geistseher der Greakar dem Todbringer nach.

      Morcan hörte noch, wie die Todesklinge einen Dolch zog. Der Alte gurgelte und röchelte. Dann glitt sein Körper zu Boden.

      Der Widerschein der Flammen ließ den Himmel über dem Lager der Greakar in einem gespenstischen Licht leuchten. Das Zelt des Ältesten brannte lichterloh. Schreie, Chaos und wüste Verwünschungen zerrissen das nächtliche Tuch der Stille, das über dem Lager der Greakar gelegen hatte.

      Mit unbewegter Miene betrachteten die Todesklingen die Früchte ihrer Arbeit. Morcan nickte ihnen zu und stieg auf sein Reittier. Die Klingen kannten ihre Befehle. Das Spiel hatte gerade erst begonnen.

      *

      Eins

      Gehetztes Getrappel von Pferdehufen erfüllte die Luft, als das Licht der Morgendämmerung trübe durch den Nebel über dem wilden Land brach. Das, der kalten Luft zum Trotz, schweißglänzende Tier schäumte unter seinem Reiter. Dennoch trieb Rohar es unnachgiebig weiter an. Er hatte keine andere Wahl. Seit Stunden waren der Truppführer der Greakar und seine Krieger nun bereits auf der Jagd. Selbst bei diesem halsbrecherischen Tempo konnte er die feine Spur der feigen Diebe klar erkennen. Die Sinne der Greakar waren gut. Sie mussten es sein, um den Überlebenskampf in der Wildnis zu überstehen. Dennoch war es den Dieben gelungen - im Schutz der Dunkelheit - in das Lager der Greakar einzudringen. Sie hatten den Ältesten der Geistseher getötet und das Heiligste gestohlen. Verdammtes Pack! Er würde sie einholen. Er würde sie kriegen. Und das Heiligste – ein Artefakt der Geistseher - zurückholen. Er musste. Er hatte keine andere Wahl. Irgendwie hatte er die niemals.

      Rohar wandte sich zur Seite - und fand Tjagars Blick auf sich ruhen.

      »Wir kriegen sie!« Tief dröhnte die Bassstimme des - selbst für einen Greakar - großen Mannes durch die Morgenluft. Als hätte Tjagar Rohars Gedanken gelesen. Wahrscheinlich konnte er auch nur die Verbissenheit im Gesicht seines Truppführers sehen. So lange waren sie bereits Seite an Seite in Schlachten und Kämpfe geritten. Grimmig bleckte Rohar die Zähne und trieb sein Pferd härter an.

      Wir kriegen sie… Verdammtes Pack!

      Rohar wischte sich mit der Hand eine nasse Strähne aus dem Gesicht und schnaubte. Der Atem des Truppführers hing wie Dampf in der Luft. Angestrengt starrte er den Vorhang aus Regen und Nebel an.

      »Verdammtes Mistwetter! Ich kann meine Hand kaum vor den Augen sehen.«

      Mit dem ersten Licht des Morgens war der Regen gekommen. Der Trupp war stetig langsamer geworden. Zum einen war es nun schwieriger, die Spuren der Diebe nicht zu verlieren. Zum anderen hatte das Wetter den Untergrund in schweren, schwarzen Schlamm verwandelt. Ständig bestand die Gefahr, dass die Pferde ausglitten. Die einzige Genugtuung für Rohar war, dass es den Gegnern seines Trupps ähnlich ergehen musste. Auch die Diebe konnten nicht schneller vorwärtskommen, als das Wetter erlaubte. Zumindest hoffte er das. Und tatsächlich - immer noch konnte er die Spuren der Feinde im Morast erkennen.

      Rohar wandte sich an seine Untertruppführerin Xalany.

      »Nachricht von den Spähern?« Er musste brüllen, um Wind und Regen zu übertönen.

      »Nein. Gar nichts.« Xalany sah sich um. »Vielleicht sollten wir irgendwo Unterschlupf suchen. Bei dem Scheißwetter laufen wir möglicherweise in eine Falle. Und die Pferde brauchen auch eine Pause.«

      Rohar warf Xalany einen harten Blick zu. »Wir dürfen die Spur nicht verlieren!«

      »Wenn die Pferde unter uns zusammenbrechen, werden wir aber die Spur verlieren!«, setzte Xalany nach.

      Rohar entfuhr ein Brummen. Wir haben keine Zeit. Die Pisser haben Vorsprung. »Verdammt! Lagern wir dort!« Er zeigte auf einen kaum erkennbaren Felsvorsprung auf der linken Seite. »Doppelte Wachen und ich will verdammt noch mal wissen, wo die Späher sind!«

      Der Felsvorsprung entpuppte sich als kleine Höhle, sodass die Krieger auch die erschöpften Pferde dort unterbringen konnten. Die jüngeren Kämpfer, die weiter unten in der Hackordnung standen, beschäftigten sich damit, die Tiere notdürftig trocken zu reiben und zu versorgen. Einen Ausfall der Reittiere durften die Greakar nicht riskieren.

      Rohar lief gegen eine Wand aus feuchter Luft, die ihn unwillkürlich husten ließ. Er blinzelte mehrfach und versuchte, sich an die Dunkelheit in der Höhle zu gewöhnen, um etwas erkennen zu können. Seine Stimme hallte dumpf nach.

      »Zündet eine Fackel an und schaut da hinten nach!« Rohar wies mit dem Daumen in den hinteren Teil der Höhle, der im Dunkel lag. »Nicht, dass da ein Bär pennt, oder so.«

      Rohar ließ sich mit einem leisen Seufzer auf den Stein sinken. Der Greakar fühlte den rauen Fels in seinem Rücken und ließ den Blick über seine Leute wandern. Vierundzwanzig Kämpfer. Eine gemischte Truppe aus Männern und Frauen - wie üblich bei den Greakar. Weniger das Geschlecht war wichtig, als vielmehr das kriegerische Können.

      Rohars Trupp war eine kleine, aber bekannte Einheit. Oder vielmehr eine berüchtigte. Rohar war über die Grenzen seines Trupps und seiner Sippe beim Volk der Greakar bekannt. Ein großartiger Kämpfer, ein Raubein als Truppführer. Er wäre ein hervorragender Kriegsherr geworden.