into the dark. Heike Datzko. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heike Datzko
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847644422
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sah das schon getrocknete Blut auf seinem kaputten Knie. Er versuchte aufzutreten und zuckte unweigerlich zusammen, es brannte höllisch. Doch er würde gehen können. Als er auf der Schattenseite gewesen war, hatte er nichts gefühlt. Dort kannte er keine Schmerzen, keine Angst, kein Mitleid. Er zog die Nase hoch und wischte sich die frischen Tränen aus den Augen. Dann trug er langsam humpelnd sein Fahrrad nach Hause.

      Voller Sorge kam ihm seine Mutter entgegen gelaufen und er ließ sich erleichtert von ihr trösten. Tränen rannen über sein Gesicht. Tränen des Schmerzes und der Scham, aber auch der Erleichterung. Denn er hatte jetzt eine Möglichkeit gefunden, seiner Schattenseite das zu geben, wonach sie ab und zu verlangte. Es würde keiner mitbekommen, wenn ab und zu mal ein Baum weniger im Wald stand. Dachte er. Natürlich fuhr seine Mutter sofort mit ihm zum Arzt und dieser verband das verletzte Knie. Es war zum Glück nichts gebrochen. Alles nur eine harmlose Prellung und ein paar Schürfwunden.

      So schaffte es Jerric seine Schattenseite ein weiteres Jahr zu verbergen. Doch es wunderte den Förster etwas warum er auf einmal vermehrt mutwillig zerstörte Jungbäume in seinem Forst vorfand. Als erstes dachte er an einen Schädling und so forschte er im Internet nach. Fand dort aber keine Antwort. Es gab keine Tierart, die so etwas veranstalten würde. Also sorgte er dafür, dass ein Bericht mit entsprechendem Foto in der Zeitung erschien. Jerric zuckte zusammen, als er plötzlich die Bilder seiner Taten auf dem Titelblatt der lokalen Zeitung sah. Zum Glück waren seine Eltern und seine Schwester zu dem Zeitpunkt noch nicht aufgestanden und so konnte er die Zeitung verschwinden lassen.

      Später las er den Bericht und schwor sich zum wiederholten Mal nie wieder diese Worte zu benutzen. Nie wieder wollte er auf seine Schattenseite wechseln. Nie wieder. 5 Wochen später tat er es dennoch. Einer seiner Klassenkameraden hatte ihn bis auf das äußerste geärgert. Immer wieder waren im Unterricht kleine Wurfgeschosse in Form von Papierkügelchen in seinem Nacken gelandet. Bei dem gefühlt hundertsten Wurfgeschoss murmelte Jerric leise und befreiend „into the dark“ und drehte ich ganz langsam um. Er fühlte, wie er auf die Schattenseite wechselte, seine Haltung sich straffte und seine Augen starr und kalt wurden. Alle Gefühle waren weg. Nur noch Zorn und Hass war vorhanden. Und er war groß und unbesiegbar.

      Sein Klassenkamerad musste mit einer gebrochen Nase, Rippenprellungen und einem blauen Auge ins Krankenhaus gebracht werden. Sein Lehrer hatte ihn nur mit Hilfe eines Kollegen bändigen können. Jerric selber konnte sich nicht wieder aus dem Schatten holen, er wehrte sich, nutze alle ihm zur Verfügung stehende Kraft. Und das schien eine Menge zu sein. Erst als ihm der Notarzt eine Beruhigungsspritze gab, kam er zurück. War wieder der liebe und zurückhaltende Jerric. Er konnte doch keiner Fliege etwas zu Leide tun. Außer, wenn er auf der Schattenseite war.

      Jerric wurde auch ins Krankenhause gebracht, die Fahrt dahin nahm er nur schemenhaft war. Er war festgeschnallt und konnte sich nicht bewegen. Seine Muskeln schmerzten, aber er fühlte sich trotzdem gut. Er wusste nicht warum, aber er fühlte sich leicht wie eine Feder. Adrenalin schoss noch immer durch seine Blutbahnen und deutlich hatte er noch die Bilder von seinem am blutenden Boden liegenden Klassenkameraden vor Augen. Es hatte sich so gut und befreiend angefühlt. Doch jetzt schämte er sich für sein Verhalten und wollte alles rückgängig machen. Er schwor sich auf dieser Fahrt erneut, nie wieder auf die Schattenseite zu treten. Nie wieder.

      Es folgte eine schlimme Zeit für Jerric. Er wurde von Arzt zu Arzt geschleppt, musste dutzende Untersuchungen über sich ergehen lassen, mimte den braven Jungen und mied seine Schattenseite. Die Ärzte fanden nichts und Jerrics Mutter vielen die mutwillig zerstörten Kuscheltiere wieder ein. Waren das die ersten Anzeichen gewesen? Wie hatte ihr Sohn so ausrasten können? Lag es an ihrer Erziehung? Aber er war doch so ein lieber Junge. Von da an musste Jerric wöchentlich zum Psychiater gehen. Immer mittwochs verbrachte er eine Stunde bei ihm und sie redeten oder spielten. Es brachte nichts, denn Jerric würde niemanden von seiner dunklen Seite erzählen. Es war sein Geheimnis.

      Der Psychiater versuchte es mit Meditation und Hypnose, jedoch ohne Erfolg, denn Jerric weigerte sich dagegen. Natürlich so, dass er Psychiater nichts mitbekam. Dachte er. Natürlich merkte der Psychiater, dass Jerric ihm etwas verheimlichte, aber er kam an den Jungen einfach nicht ran. Auch er konnte das Ausrasten von Jerric nicht nachvollziehen. Er hatte ihn als äußerst freundlichen und liebenswerten Jungen kennengelernt. Wieso war er also derart ausgerastet? Er hatte keine Erklärung dafür und auch die mehrfachen Gespräche mit den Eltern von Jerric brachten ihn nicht weiter.

      Er hatte den Verdacht einer gespaltenen Persönlichkeit, doch er konnte es nicht beweisen. Er ließ eine Computertomografie von Jerrics Kopf machen und brachte Jerric dabei fast dazu, den Rand zum Schatten zu überschreiten. Er fühlte sich beengt in der Röhre, die Geräusche zermürbten ihn und er sah keinen Sinn in dieser nervigen Untersuchung. Gerade als er kurz davor war, die magischen Worte herauszubrüllen, hörten die Geräusche auf und er wurde aus der Röhre herausgezogen. Der Arzt sah für einen kurzen Augenblick in unglaublich kalte und hasserfüllte Augen, dann war der Moment vorüber und Jerric hatte sich wieder gefangen. „Alles vorbei, dann wollen wir uns mal die Bilder ansehen“ meinte er und schüttelte leicht verwirrt seinen Kopf. Sollte er das melden? Nein, das war womöglich nichts gewesen. Nur ein Junge, der Angst gehabt hatte.

      Die Bilder brachten keinen Aufschluss, jedenfalls sagte man das Jerric. Seinen Eltern erzählte man etwas anderes. Etwas stimmte nicht, da gab es dunkle Bereiche, die eigentlich nicht dunkel sein durften. Was es genau war, konnten die Ärzte nicht sagen. Es war auch nur mehr ein Schatten auf den letzten Bildern gewesen. Eventuell hat der Apparat auch einen Fehler gemacht, er war schon recht alt. Kein Grund also zur Besorgnis. Jerrics Vater schien erleichtert, seinem Sohn ging es gut. Das sah man ja schließlich auch. Da wird man doch aus einer harmlosen Jugendschlägerei keinen so großen Aufriss machen.

      Seine Mutter war sich jetzt sicher, dass mit Jerric etwas nicht stimmte. Sie wollte ihm helfen, sah aber keine Möglichkeit. Er wich jedes Mal aus, wenn sie mit ihm darüber sprechen wollte. Immer wieder fielen ihr die zerrissenen Kuscheltiere ein und die Geschichte von Jerric wurde immer unglaubwürdiger. Hatte sie nicht mal von einer Freundin erzählt bekommen, dass sich der Förster über mutwillig zerstörte Jungbäume aufgeregt hatte. Sogar einen Zeitungsbericht soll es darüber gegeben haben. Irgendwie muss sie den wohl überlesen haben. War das nicht der Tag gewesen, an dem die Tageszeitung nicht bei ihnen verteilt worden war?

      Die nächsten Tage nach der Untersuchung beobachtete sie ihren Sohn ganz genau. Sah aber zu ihrer Beruhigung keine Auffälligkeiten. Sie hatten ihn nach dem Vorfall auf eine andere Schule versetzen müssen und natürlich hatte sich auch dort schnell rumgesprochen, was vorgefallen war. Somit hatte Jerric dort keine neuen Freunde gefunden. Allerdings wurde er dort nicht mehr so stark gehänselt wie auf der anderen Schule. Die anderen Jugendlichen hatten eher Angst vor ihm und wollten deswegen nichts mit ihm zu tun haben. Es störte Jerric nicht, denn er war eh lieber für sich alleine. Die Beobachtung durch seine Mutter ließ nach ein paar Wochen nach und Jerric fühlte sich wieder freier. Doch seine Schattenseite zerrte an ihm und verlangte nach Beachtung. Es hatte sich so gut angefühlt. Er hatte sich das erste Mal richtig wohl gefühlt. Er wusste, dass es richtig war. Es war sein Weg, obwohl sein Verstand ihm predigte, dass es der falsche war.

      Er verbrachte weiterhin viel Zeit im Wald, doch er zerstörte keine jungen Bäume mehr, die Zeit war vorbei. Es war aufgefallen, man hatte Fragen gestellt und irgendwie merkte er, wie seine Mutter Schlüsse zog und sich zu viel Sorgen machte. Er musste also noch vorsichtiger werden. Nur an seinem Lieblingsplatz traute er sich die Worte zu flüstern. Nur hier war er sich sicher, dass er keinen Schaden anrichten würde. Es war ein Hochsitz im Wald mit Blick auf ein großes Feld und eine angrenzende Wiese. Bis auf den Weg rechts neben dem Hochsitz war der Bereich von dicken Bäumen und Dickicht umsäumt. Es gab viele Versteckmöglichkeiten, doch der Hochsitz war sein Lieblingsplatz. Er fuhr hier fast jeden Tag nach der Schule hin und kletterte rauf. Meistens hatte er einen Apfel oder eine Banane dabei und genoss die Ruhe oder sah dem Bauer beim Bearbeiten des Feldes zu.

      Nur wenn er allein war flüsterte er die Worte „into the dark“ und gelangte auf seine Schattenseite. Wenn er kontrolliert hinüber trat hatte er seine Wut und den Hass halbwegs unter Kontrolle. Dann konnte er sich an den Erinnerungen seiner letzten Taten laben. Wenn er Stunden später wieder vom Hochsitz herunterstieg und mit seinem Fahrrad nach