Heike Datzko
into the dark
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
„Into the dark“ Jerric liebte diese Worte, liebte ihren Klang und ihre Wirkung. „Into the dark“ Wenn er alleine war, sprach er sie immer laut aus. War er unter Menschen, flüsterte oder dachte er sie. Sobald er sie ausgesprochen oder gedacht hatte, veränderte sich seine Haltung. Er drückte sein Kreuz durch und seine Augen wirkten starr und kühl. Er veränderte sich, wurde zum Schatten seiner selbst. Steuern konnte er sich dann nicht mehr, sein zweites Ich hatte die Kontrolle komplett übernommen. Er – Jerric – sah zu wie seine Schattenseite seinen Körper beherrschte. Wie er ihn durch die dunklen Gassen einer Stadt laufen ließ oder ihn einfach nur in ein Taxi setzte. Er hatte sich daran gewöhnt, es war schon so seid er denken konnte.
Er erinnerte sich noch an das erste Mal, wo er die magischen Worte sagte. Er hatte sich gerade mit seinem besten Freund um eine Sandschaufel gestritten und auf einmal waren diese Worte da. Flogen auf ihn zu und trafen in mit einer Wucht, die ihn zurückschrecken ließ. Er hatte keine Ahnung was da gerade passierte. Angst ergriff ihn, denn auf einmal war die Kontrolle über seinen Körper weg. Er musste zusehen, wie sein Körper aufstand und mit einem wütenden Schrei die Standburg seines Freundes zerstörte. Jerric hatte panische Angst vor dem, was als nächstes kommen würde. Er ahnte schon, dass er gleich auf seinen Freund losgehen würde. Er würde ihn zu Brei schlagen, bis er die Sandschaufel wieder hatte. Er würde ihm wehtun und sich darüber freuen. „NEIN“ schrie Jerric aus und er war wieder er selbst. Mit Tränen in den Augen ließ er sich in den Sand fallen und starrte auf die zerstörte Sandburg. sein Freund saß verängstigt am Rand vom Sandkasten und weinte. Vor Angst. Angst vor ihm, Angst vor dem Hass in Jerrics Augen, den er eben dort hatte aufblitzen sehen.
Es war der letzte Tag an dem er mit diesem Freund gespielt hat, er sah ihn nie wieder. Wie gerne hätte er sich bei ihm entschuldigt, versucht zu erklären, dass er nicht er selber gewesen war. Doch er sah ihn nie wieder. Jerric gab seinem zweiten Ich schnell den Namen Schattenseite. Denn er erinnerte sich noch gut daran, dass sich die Welt um ihn herum verdunkelte, kurz bevor er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Die Worte „Into the dark“ verfolgten ihn noch in den Träumen der nächsten Nächte. Er übersetzte sie sich mit Hilfe des Englischbuches seiner großen Schwester. Sie gefielen ihm. „In der Dunkelheit“ auf Deutsch hatten sie keine Wirkung, aber auf Englisch. Sie klangen so cool und mächtig.
In den ersten Tagen nach dem Streit mit seinem ehemals besten Freund und der ersten Erfahrung mit seiner Schattenseite verkroch sie Jerric auf seinem Zimmer. Er war vorher noch nie gewalttätig gewesen, hatte noch nie das Verlangen gehabt, jemanden zu schlagen. In diesem komischen Zustand, wo er seinen Körper nicht kontrollieren konnte, war das Verlangen so nah gewesen. Er hatte es so stark gewollt. Jetzt schämte er sich dafür. Er wollte die zweite Seite von sich nicht wahrhaben und sie am liebsten wieder vergessen. Sie passte nicht zu ihm. Konnte er sie bezwingen? Er wollte es auf jeden Fall versuchen!
Jahrelang blieb seine Schattenseite halbwegs kontrolliert, er merkte in einigen Situationen, dass sie versuchte durchzukommen, doch er hielt sie ihm Schach. Die Worte hatten an Stärke gewonnen, doch er dachte sie nie zu Ende. So überlebte er die eine oder andere brenzlige Situation wie die 6 in Mathe mit dem anschließenden Hausarrest oder andere Streitigkeiten. Er war in der Klasse ein Außenseiter, keiner mochte ihn besonders und ab und zu wurde er gehänselt. Manchmal wünschte er sich sogar, die Worte laut herauszuschreien und in den Schatten zu treten. So nannte er es immer. In den Schatten treten. Doch er beherrschte sich so gut es ging.
Doch immer wenn er alleine war, wenn er sicher war, dass er keinen Menschen gefährden würde, dann sprach er ehrfürchtig die Worte aus und wechselte auf seine Schattenseite. Äußerlich sah man ihm die Veränderung sofort an. Sein Rücken wurde gerader, er wirkte unbezwingbar und seine Augen wurden kalt. Sie zeigten kein Gefühl mehr. Und genau das war es auch, was er empfand. Nichts. Leere. Kälte. Dann kamen dazu noch Hass, Wut und Zorn. In diesem Zustand musste er immer etwas zerstören. Anfangs reichte es ihm aus, wenn er sein eben erst gebautes Haus aus Legosteinen wieder einriss oder mehrere Seiten Papier zerfetzte. Doch schon bald merkte er, dass er mehr brauchte. Etwas Größeres.
Doch er musste aufpassen, denn seine Mutter entdeckte schnell, dass mit ihrem sonst so lieben, freundlichen und höflichen Sohn etwas nicht stimmte. Über die vielen Papierschnipsel im Mülleimer wunderte sie sich erst noch, dachte aber an nichts Schlimmes. Dann entdeckte sie seine Stofftiere und war schockiert. Jedes seiner früher so geliebten Stofftiere war bis ins Unkenntliche zerstört. Regelrecht zerfetzt waren sie! Sie stellte ihren Sohn zur Rede und Jerric musste aufpassen, dass er nicht sofort auf seine Schattenseite wechselte und seiner geliebten Mutter etwas antat. Das war schwer. Schnell erfand er einen neuen Freund mit einem großen Hund und dass dieser die Stofftiere so zerbissen hatte. Seine Mutter sah ihn prüfend an und wollte sofort die Adresse wissen, seine Eltern mussten das ersetzen. Ach ja und dort hingehen dürfte er jetzt auch nicht mehr. Wie verantwortungslos doch die Eltern waren, die ihr Kind und seinen Freund mit einem so gefährlichen Hund spielen ließen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn er die beiden Jungs angefallen hätte. Jerric zuckte nur mit den Schultern und schwieg. Seine Mutter schüttelte den Kopf und gab ihm wortlos die Kiste mit den alten, kaputten Kuscheltieren zurück. „Du gehst mir da nicht wieder hin“ waren ihre letzten Worte und Jerric nickte brav. Er war ja schließlich ein lieber Junge. Bis auf gewissen Momente.
Nach diesem Ereignis verdrängte er seine Schattenseite wieder und schaffte es, ein fast normales Leben zu haben. Vergessen war die Schattenseite, vergessen seine Wut, der Hass und der Zorn. Bis er bei einer Tour mit seinem neuen Mountainbike über eine Wurzel fuhr und schmerzhaft auf dem Waldboden landete. „INTO THE DARK“ platzte es aus ihm heraus und er war auf der Schattenseite. Voll Wut gab er seinem Mountainbike einen Tritt und hörte das Plastik von dem Schutzblechen knacken. Das Vorderrad war eh schon vom Sturz verbogen. Dann drehte er sich um und fing an die Blätter von den Ästen eines Baumes abzurupfen. Der Schmerz von seinem kaputten Knie war weg, er spürte nur noch die Wut und den Hass. Es musste raus, er konnte seine Schattenseite nicht aufhalten.
Als der kleine Strauch keine Blätter mehr hatte, fing er an die einzelnen Äste abzurupfen und zu zerkleinern. Das tat so gut und es fühlte sich richtig an. Endlich wusste er, wie er seine Schattenseite befriedigen konnte. Wenigstens für einen gewissen Zeitraum, sollte der Drang nachlassen.
Nach