"Ich hoffe, du wirst dich sehr wohlfühlen in deinem neuen Heim," sagte die alte Dame.
Laura bedankte sich höflich. Sie überlegte, ob sie sie mit Frau Riva ansprechen sollte, beschloß dann aber, zunächst einmal jegliche Anrede zu vermeiden.
Der Hausherrin war ein großer schwarzer Hund gefolgt, der nun schwanzwedelnd und schnuppernd um Laura herumstrich. Das half ihr, ihre leichte Befangenheit zu überspielen. "Wer bist denn du?" fragte sie und hielt dem Tier ihre Hand hin, um ihm Gelegenheit zu geben, zu schnuppern. Vorsichtig versuchte sie, ihn zu streicheln, und er schien nichts dagegen zu haben.
"Das ist Moritz," antwortete Jenny hinter ihr. "Wenn du dich mit ihm gut stehst, kann dir in diesem Hause nichts Böses widerfahren."
Mathilda warf ihr, trotz eines verhaltenen Lächelns, einen tadelnden Blick zu. "Niemandem wird in diesem Hause Böses widerfahren." sagte sie. Sie legte Laura flüchtig die Hand auf den Arm. "Komm, mein Kind. Gehen wir in meinen Salon und reden miteinander, damit wir uns ein wenig kennenlernen."
"Gern", antwortete die Angeredete und folgte ihr, wobei ihr nicht entging, daß Jenny hinter dem Rücken der Schwiegermutter die Augen gen Himmel hob und zwinkerte.
Mathilda blieb noch einmal stehen und schaute sich nach Jenny um. "Ihr werdet doch auch zum Essen kommen? Ich habe Theresa angewiesen, im Speisesaal für alle zu decken."
"Aber ja, wenn das so ist. Das lassen wir uns natürlich nicht entgehen," meinte Jenny, und an Laura gewandt fügte sie hinzu: "Dann sehen wir uns ja beim Mittagessen im Speisesaal. Vielleicht können wir später bei uns noch einen Kaffee trinken, wir wohnen im Westflügel. Ich denke, daß auch wir uns ein bißchen kennenlernen sollten."
Laura hatte die leichte Spannung zwischen den beiden Frauen bemerkt. Sie mußte also auf der Hut sein, um weder die eine noch die andere gegen sich einzunehmen, dachte sie sich. Sie wünschte, Matthias wäre an ihrer Seite gewesen, das hätte es für sie etwas leichter gemacht.
"Danke", sagte sie und erwiderte Jennys Lächeln.
Die große Eingangshalle ließ Laura einen Moment lang den Atem anhalten. Der Fußboden im Eingangsbereich war in einem kreisförmigen Ornament aus hellem und dunklem Marmor verlegt. Rechts und links davon führten zwei hohe Kassettentüren in die Seitenflügel, und über die breite Marmortreppe in der Mitte, die von zwei dicken Säulen flankiert wurde, erreichte man eine Ballustrade, die in die Räume der oberen Etage führten. Laura war tief beeindruckt. Sie verstand nun, warum sie von Anfang an gespürt hatte, daß Matthias etwas ganz Besonderes war. Sein makelloses Äußeres, sein selbsbewußtes Auftreten, sein charmantes, zuvorkommendes Wesen, das alles paßte hierher in dieses Haus, in diese Familie. Und sie war stolz darauf, nun auch bald dazuzugehören. Gleichzeitig fragte sie sich, wie es die kleine lebhafte Jenny, die etwas aus der Reihe zu tanzen schien, geschafft haben mochte, hier aufgenommen zu werden.
Der Salon der Schwiegermutter in spe wirkte weder altmodisch noch modern. Alte wertvolle Möbel waren kombiniert mit zweckmäßigen Stücken, kostbare Gegenstände hatten ebenso ihren Platz gefunden wie Alltägliches oder einfach nur Schönes.
Nachdem Mathilda in einem Sessel Platz genommen hatte, wies sie auf die Couch. "Setz dich, mein Kind", sagte sie. "Du wirst hungrig und durstig sein nach der langen Reise."
"Ich habe im Krug einen Kaffee getrunken und eine Kleinigkeit gegessen, bevor mich Jenny und Michael abgeholt haben", antwortete Laura. Sie fürchtete, auch Mathilda könnte sie fragen, ob sie ein hübsches Zimmer gehabt und gut geschlafen habe, doch die alte Dame fragte nicht. Sie mochte davon ausgehen, daß eine Kammer in einem Gasthaus einem Vergleich mit den Räumen des Herrenhauses ohnedies nicht standhalten konnte. "Leider haben wir uns nicht schon viel früher getroffen." Sie versuchte nicht, ihr Interesse an der Braut ihres Sohnes zu verbergen, musterte sie ganz offen und mit wachem, prüfenden Blick. Laura verstand das. Wie mochte einer Mutter zumute sein, wenn sie plötzlich mit einer Schwiegertochter konfrontiert wurde, die sie nie zuvor gesehen hatte, und von der sie nicht allzu viel wußte? Wie groß war vielleicht auch ihre Angst, den Sohn nun endgültig an diese andere Frau zu verlieren?
Sie nickte. "Es war zeitlich einfach nicht möglich. Aber Matthias hat mir viel von seiner Familie und von seinem Zuhause erzählt."
"Uns hat er auch sehr viel von dir erzählt, und wir haben uns ganz auf sein Urteil verlassen." Sie lächelte. "Zu recht, wie man nun sieht."
Laura lächelte artig zurück. Sie fühlte sich ein wenig befangen in der Gesellschaft der alten Dame, hoffte aber, daß sich das im Laufe der Zeit geben würde.
Eine junge Frau kam mit einem Tablett herein und servierte Tee und leichtes Gebäck.
"Oder hättest du lieber eine Limonade gehabt? Oder ein Wasser?", fragte Mathilda ihren Gast, während sie eine Tasse zu ihr hinüberschob.
"Nein danke, das ist schon in Ordnung."
"Das ist übrigens Theresa", stellte Mathilda die junge Frau vor. "Sie ist der gute Geist in unserem Hause. Wenn du irgendeinen Wunsch hast, wenn etwas fehlt, oder wenn du etwas geändert haben möchtest, dann sage es ihr, sie wird sich darum kümmern." Sie schaute die junge Frau lächelnd an. "Nicht wahr, Theresa?" Und wieder an Laura gewandt fuhr sie fort: "Per Handy ist sie jederzeit zu erreichen. Ihre Nummer findest du auf der Liste im Gästezimmer."
Theresa verzog den Mund ein wenig, als bemühe sie sich, zu lächeln. Sie war weder häßlich, noch besonders hübsch. Aufgrund ihres nichtssagenden Gesichtsausdrucks und einer Art Uniform, die sie trug, - ein hellblaues Kleid mit einer weißen Schürze, - war ihr Alter schlecht zu schätzen, und es war schwer, sie einem speziellen Mädchentypus zuzuordnen. Ihr dunkles Haar trug sie altmodisch zu einem Zopf geflochten, den sie um den Kopf gelegt hatte.
Als sie gegangen war, begann Mathilda Riva ihrer zukünftigen Schwiegertochter Fragen zu stellen, und Laura bemühte sich, sie zu beantworten, soweit es ihr möglich war. Und soweit sie es für angemessen hielt.
"Matthias hat uns erzählt, daß du deine Eltern sehr früh verloren hast."
"Ich war vierzehn damals. Sie sind bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen."
"Das muß eine sehr schlimme Zeit für dich gewesen sein. Hattest du jemanden, der sich um dich gekümmert hat?"
"Ja, meine Großmutter. Doch zwei Jahre später starb auch sie, und ich war ganz auf mich gestellt."
"Gab es denn keine Tanten oder andere Verwandte, die deine Erziehung hätten in die Hand nehmen können?"
Laura lächelte flüchtig. "Nein. Zumindest keine, denen ich mich anvertraut hätte."
"Heißt das, du hast ganz allein gewohnt und hast dich auch allein versorgt? Das ist viel verlangt von einem jungen Mädchen diesen Alters."
"Ich hab mich mit einer Freundin zusammengetan, ihr war es ähnlich gegangen, wie mir. Wir haben uns eine kleine Wohnung geteilt, dadurch fühlte sich keine von uns allein. Im Prinzip ging aber jede von uns ihren eigenen Weg und war für sich selbst verantwortlich."
Mathilda schwieg einen Augenblick lang, sie schien sich den Haushalt der beiden unmündigen Mädchen vorzustellen.
"Ich ging noch zur Schule", fuhr Laura fort, "aber ich hatte von Anfang an ein festes Ziel vor Augen: Ich wollte ein gutes Abitur machen und danach Sprachen studieren. Dafür hab