„Natürlich! Ich bin Privatdetektiv!“
„Bleiben Sie wo Sie sind und halten Sie die Arme in die Höhe. Und keine falsche Bewegung! Wir warnen Sie!“, sagt eine Baritonstimme, die dem Korpulenteren zuzuordnen ist.
Ich schließe genervt die Augen und mache, was sie von mir verlangen.
Der Größere - der seinem Körperumfang nach zu urteilen annähernd das Doppelte seines Kollegen auf die Waage bringt - bleibt mit schussbereiter Waffe im Türrahmen stehen, während der Kleinere von hinten an mich herantritt. Als erstes nimmt er mir das Handy aus der Hand, danach tastet er mit geübten Griffen meinen Körper ab. Einen Moment später hält er meine Waffe in der Hand. „Eine Beretta!“, stellt er fachkundig fest, dann schnuppert er an ihrem Lauf. „Scheint sauber zu sein! Chef, kommt sie zu den Beweismitteln?“
„Unnötig! Er kann sie behalten.“
Der Kleinere steckt die Waffe zurück in den Hosenbund meiner Jeans, danach fummelt er weiter an mir herum. Schließlich hält er das Buch in der Hand, das Eugen Brandt mir geschenkt hat. Überrascht starrt er auf den abgewetzten, grauen Einband. „Was ganz Verrücktes, Chef!“ Er schwenkt Brandts Geschenk wie eine Trophäe durch die Luft. „Russisch in einer Woche“. Wer das hinbekommt, der muss schon was draufhaben.
„Stellt sich auf die russische Klientel ein, unser Herr Privatdetektiv aus dem feinen Baden-Baden! In dem schönen Städchen soll es jetzt schon mehr Russen als Deutsche geben“, erwiderte sein Chef grinsend.
„Da winken fette Aufträge!“, bestätigt der Kleinere. Anschließend lachen beide hämisch. Als sie genug davon haben, bekomme ich mein Buch zurück.
Nachdem der Kleinere mit mir fertig ist, wendet er sich dem Toten zu. „Loch im Hinterkopf, sieht nach neun Millimeter Waffe aus. Auf Grund erster Hautflecken und seiner Körpertemperatur sollte der Tatzeitpunkt vor mindestens einer Stunde gewesen sein! Und noch eine Auffälligkeit: Er wurde übel zugerichtet. Doch offenbar nach seinem Tod!“
„Kollege Bachmann, Spurensicherung, Gerichtsmedizin, Bestatter, halt das volle Programm!“
Der nickt beflissen und verlässt die Küche.
Der Kriminalhauptkommissar kommt auf mich zu. Seine Waffe hat er inzwischen weggesteckt. „Machen wir uns erst einmal bekannt.“ Er zeigt in Richtung seines Kollegen. „Das ist Kommissar Bachmann! Ich bin Kriminalhauptkommissar Hauswald. Und Sie sind Privatdetektiv?“
Ich nicke. „Peter Marowski! Ich betreibe eine Detektei in Baden-Baden!“
„So, ein Privatdetektiv aus Baden-Baden, der Peter Marowski heißt.“ Der ironische Tonfall, den er anschlägt, ist nur schwer zu überhören. Doch ich bin es gewohnt, von Gesetzeshütern unfreundlich behandelt zu werden, um es milde auszudrücken. Ich glaube, es liegt daran, dass Sie in uns Konkurrenten sehen, die sich ungefragt in ihrem Revier tummeln. Hauswald zeigt auf einen von sechs stabilen Küchenstühlen. „Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen. Im Sitzen geht es besser!“
Bevor ich Platz nehme, frage ich schnell: „Ich war bei Ihrem Eintreffen gerade im Begriff sie anzurufen. Dazu ist es aber nicht gekommen. Jemand anderes muss sie informiert haben!“
„Eine ältere Dame aus der Nachbarschaft. Allerdings sprach sie von zwei Toten. Einen kannte sie, nämlich ihren Nachbarn Eugen Brandt. Den anderen will sie noch nie gesehen haben. Nun finden wir nur einen. Ich nehme an, Sie sind unser zweiter!“
„Scheint so! Als ich hier herkam, ist er jedenfalls schon tot gewesen.“
„Warum sind Sie überhaupt hier?“
„Sie wissen, ich bin zur Geheimhaltung verpflichtet.“
„Herr Marowski, es geht um Mord! Vergessen Sie Ihre Geheimhaltungspflicht!“
„Die gilt selbst dann, wenn mein Mandant tot ist!“, belehre ich ihn. Doch dann sehe ich, wie sich die Mine meines Gesprächspartners gefährlich verfinstert und ich frage mich instinktiv: Warum soll ich auf Konfrontationskurs gehen. Es ist entschieden besser für mich, ich tue so, als gebe ich mich kooperativ. „Also gut! Da mein Mandant tot ist, will ich eine Ausnahme machen.“ Ich huste gekünstelt. „ Herr Brandt zweifelte an der Treue seiner Frau. Er wollte Klarheit! Ich sollte ihm die Frage beantworten: Macht sie es, oder macht sie es nicht? Ich bin gekommen, um mit ihm letzte Details zu besprechen!“
„Wie sind Sie eigentlich ins Haus gelangt, da er bei Ihrem Eintreffen doch bereits tot gewesen sein muss? Und ein anderer war nicht da.“
Ich nicke und setze zu längeren Ausführungen an. „Zunächst habe ich geklingelt. Als niemand reagierte, bemerkte ich, dass sowohl die Haustür als auch die Wohnungstür nur angelehnt waren. Ich ging davon aus, dass Herr Brandt schnell etwas erledigen hatte, das dann länger dauerte, als er vorgehabt hat. Ich entschloss mich, im Arbeitszimmer, wo er mich immer empfangen hat, auf ihn zu warten. Dort habe ich mir, um die Zeit zu überbrücken, sein Buch über die chinesischen Triaden vorgenommen. Übrigens, ein sehr gut recherchiertes Buch und ungemein zutreffend! In allem! Nun ja, irgendwann habe ich Geräusche gehört, die aus der Küche zu kommen schienen. Ich legte das Buch aus der Hand und ging nachschauen. Und da fand ich Brandt, tot auf den Küchenboden liegen. Als ich mich über ihn beugte, um zu prüfen, ob noch Leben in ihm steckt, erhielt ich einen Schlag auf den Hinterkopf. Ich war auf der Stelle bewusstlos. Daher habe ich vom Täter nichts gesehen. Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, ob es ein Mann oder eine Frau war. Alles andere wissen Sie.“
„Ist Ihnen etwas aufgefallen, als sie im Arbeitszimmer auf Herrn Brandt gewartet haben?“
Ich überlege ausgiebig. Schließlich schüttle ich entschieden den Kopf. „Nichts! Alles war wie immer!“
Der Kriminalhauptkommissar fährt fort: „Ich frage mich: Wie kam der Täter ins Haus? Schließlich ist es um die Mittagszeit passiert. Da bricht man nicht so einfach ein. Gerade hier. Wo man eng beieinander wohnt und es außerdem jede Menge neugieriger Augen gibt.“
Ich lächele verhalten. „Herr Kriminalhauptkommissar, für mich gibt es nur eine Erklärung: Brandt hat seinen Mörder selbst hereingelassen. Weil er ihn kannte und natürlich sah er in ihm niemand, der vorhatte, ihn umzubringen.“
„Sondern?“
“Zum Beispiel einen Informanten. Jeder investigative Journalist – und Herr Brandt gehörte zu den besten - lebt vorwiegend von seinen Informanten. Doch der Haken an der Sache ist, das sind oft ziemlich windige Burschen. Kriminell, obendrein rauschgiftsüchtig und schon alleine deshalb finanziell notorisch klamm. Für ein paar Euro, machen die eine Menge.“
Der Kriminalhauptkommissar nickt und macht sich Notizen. „Nun, bald liegen uns die ersten Ergebnisse der Spurensicherung vor, auch werden wir noch heute mit der Witwe reden, Nachbarn befragen! Ansonsten, Herr Marowski, Sie können gehen. Doch Morgen sind Sie um Punkt zehn Uhr bei uns im Präsidium, um weitere Fragen zu beantworten und das Protokoll zu unterschreiben!“
Erleichtert erhebe ich mich. „Bis Morgen!“, ich nicke Kriminalhauptkommissar Hauswald freundlich zu und verlasse rasch die Küche. Im Korridor höre ich die Stimme des einfachen Kommissars, sie kommt aus dem Arbeitszimmer. Aufgebracht schreit er ins Telefon: „Verdammt, kommen sie endlich! Ohne Spurensicherung geht es nicht!“ Ich halte bereits die Klinke der Wohnungstür in der Hand, als ich urplötzlich einen Stich spüre, der mir wie ein scharfes Messer durch den Körper fährt. Verdammt, mein Geldkoffer! Ich habe ihn bei all dem Trubel völlig vergessen. Hastig eile ich ins Arbeitszimmer, wo es mir gerade so gelingt einen Zusammenstoß mit Bachmann zu vermeiden. Ich kann mich erinnern, ich stellte meinen Koffer neben dem Sessel ab, der mehr Tageslicht als sein Kollege abbekommt. Doch dort steht er nicht mehr. Auch nicht neben dem zweiten Sessel oder sonst wo. Der Koffer mit den zwei Millionen ist verschwunden! Auch wenn ich es nicht wahrhaben will, es bleibt dabei: Der Koffer bleibt verschwunden. In meiner Speiseröhre sammelt sich eine gallenbittere Flüssigkeit, die unerbittlich hochsteigt. Nur mühsam bekomme ich sie in Richtung Magen zurückdrängt. „Wo ist mein Aktenkoffer?“, brülle ich urplötzlich wie ein verwundetes Tier.
Bachmann