Die Regeln der Gewalt. Peter Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847654728
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Papieren stand. Sie achteten jetzt sehr auf saubere Papiere. Eine Frau gleichen Namens hatte vor einiger Zeit die Bundesrepublik verlassen, das machte es leicht, ihren Namen zu benutzen. Saubere Papiere, sauberes Geld, saubere Wagen. Der Fahndungscomputer in Wiesbaden war ein Meister in der Rekonstruktion von Spuren.

      «Waren Sie nachmittags am Fenster?», erkundigte er sich.

      «Nachmittags? Sicher, wer sonst? Hab Sie schon sehnsüchtig erwartet. Sie – oder einen Ihrer Freunde.»

      «Welche Freunde?»

      «Dies ist ein ausgezeichneter Standplatz für Sie», sagte Küppers, als habe er nicht verstanden. «Autobahnanschluss. Apartments. Niemand kümmert sich um den anderen. Hier sind Sie sicher.»

      «Sicher, wieso?» Werders rechte Hand glitt auf den Oberschenkel und blieb dort liegen.

      «Von mir haben Sie nichts zu befürchten.»

      «Nun scheren Sie sich aber raus», sagte Werders ärgerlich. «Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden.»

      «Den Teufel werd ich tun. Wissen Sie – dass ich Ihnen auf die Schliche gekommen bin, war eigentlich purer Zufall. Die Schwester meiner Frau wohnt in Mannheim, Steinstraße 43.

      Und ein Fräulein Ulla Norden, ihre Nachbarin, ist vor wenigen Monaten zu einem Freund nach Südafrika gezogen.

      Der Kerl ist Ingenieur oder so was. Und dann natürlich Ihre Mietvorauszahlungen, bar, ohne Konto. Dadurch kam ich auf die Idee, mir einmal eines der Fahndungsplakate genauer anzusehen, die hier überall in der Stadt herumhängen.

      Sie sind Werders, nicht wahr?

      Das Foto ist allerdings schlecht. Also keine Angst –», er riss eine neue Dose auf und nahm einen tiefen Schluck – «und wie gesagt: von mir haben Sie nichts zu befürchten.

      Bin diesem Staat gegenüber eher kritisch eingestellt, genauso wie Sie. Soll meinethalben verrecken an seiner Knauserigkeit.»

      Er schlug sich mit der flachen Hand auf die Brust. «Lungenschaden. Hab früher in ‘ner Autolackiererei gearbeitet, bei der städtischen Müllabfuhr, aber es wurde nicht als Berufskrankheit anerkannt. Kein Pfennig zusätzliche Rente. Deshalb mach ich diesen miesen Job.

      Das Ganze wird Sie natürlich ‘ne Kleinigkeit kosten. Ich könnte warten, bis Sie und Ihre Freundin Angelika Zeitler zusammen in der Wohnung sind. Das brächte mir zweimal fünfzigtausend Kopfgeld.

      Aber ich will hier keinen Ärger. Sie können wohnen bleiben. Sagen wir – hundertzwanzigtausend bar auf die Hand, und ich weiß nicht mal mehr die Farbe Ihrer Haare.»

      Er wandte sich zu Werders um. «He, hat‘s Ihnen etwa die Sprache verschlagen? Geld dürfte doch kein Problem sein, nach den letzten beiden Bankrauben in Köln …» Er drehte sich zum Bildschirm.

      «Sie haben‘s aus der Zeitung?»

      «Fernsehen.»

      «Wer weiß sonst noch davon?»

      «Niemand.»

      «Und Ihre Frau ist also verreist?», fragte Werders, während er langsam aufstand, den Arm in der Umhängetasche. Seine Hand umspannte den geriffelten Waffengriff. «Ich werde in die Küche gehen und das Geld holen», sagte er. «Hundertzwanzigtausend. Das macht uns wirklich nicht ärmer.»

      «Sag ich doch …»

      Werders trat mit zwei Schritten an den Rücken des Fernsehsessels. Er hielt den Browning-FN so hinter das Ohr des Hausmeisters, dass die Kugel schräg in den Schädel eindringen würde – und drückte sofort ab. Der Knall war ohrenbetäubend. Wie er gehofft hatte, blieb das Geschoss stecken.

      Küppers sackte nach vorn. Werders zog ihn am Kragen gegen die Lehne zurück.

      Er betrachtete das Einschussloch neben seinem Ohr, eine saubere Wunde. Die umgebende Haut war bläulich aufgestülpt wie der Wulst einer hervortretenden Ader.

      Der kleine Mann hielt seine linke Hand in der Tasche des grauen Kittels, als suche er dort nach irgendetwas. Nicht einmal die Andeutung einer Blutspur war an seinem Kragen zu sehen.

      Nur sein Mund sah etwas entstellt aus – wie der einer Ratte, die der Schlagbügel der Falle getroffen hatte. Und in seinem hochgezogenen Mundwinkel schimmerte ein Goldzahn.

      Danach ging er zur Tür, öffnete sie einen Spalt weit und horchte in den Gang hinaus.

      Alles ruhig …

      Nicht ungewöhnlich, wenn sich keiner um den anderen kümmerte. Die Leute in diesen Wohnsilos hörten nur noch ihre eigenen Stimmen. Es war die Unmenschlichkeit des Systems, die sie so weit gebracht hatte.

      3

      Sie fuhren langsam die Straße entlang, und als Richard vor der roten Ampel hielt, sah sie zum Fenster neben dem Balkon hinauf. Der Blumenkorb – das vereinbarte Zeichen – hing links am Rahmen.

      «Okay», sagte sie. Ihre Stimme klang hart und trocken, wie immer, wenn sie nervös war. Es gab diese Augenblicke, die erfahrungsgemäß kritisch waren: zum Beispiel Einfahrten in Tiefgaragen. Oder Treppen zu U-Bahn-Schächten. Sommer war in der Stadt, das wusste sie. Sie mussten auf eine Spur gestoßen sein.

      Arm arbeitete auf Hochtouren, um sie zu erledigen …

      Diese Burschen machten sich geradezu einen Sport daraus. Es hieß, dass sie freiwillig auf die Bezahlung von Überstunden verzichteten. Und sie gingen an jedes beliebige Telefon, tippten ihren Code ein, wenn sie Informationen vom Zentralcomputer in Wiesbaden abrufen wollten, neueste Daten, um sie jederzeit in Beziehung zu setzen zu dem, was sie gerade erfahren hatten.

      Zu winzigen, beinahe unbedeutenden Fakten, die nur im Zusammenhang einen Sinn ergaben, der dann aber sogar in prozentualer Wahrscheinlichkeit ausgedruckt wurde.

      Angelika steckte ihre Hand in die Umhängetasche, als sie zwischen den Betonsäulen der Tiefgarage ausstieg. Parkende Wagen, durch deren spiegelnde Scheiben man nichts erkennen konnte, jagten ihr immer einen Schauer über den Rücken.

      Richard war da viel unbekümmerter. Er vertraute auf seine schnelle Hand. Anders als sie selbst und Werders glaubte er, dass man Paul Walter ohne Vorbehalte in den engeren Kreis aufnehmen könne.

      Sie hielt Walter für einen Spitzel des BKA. Er war im September auf einer Wahlveranstaltung der Grünen zu ihnen gestoßen, ein junger Mann mit flachem Negergesicht und wulstigen Lippen, obwohl seine Haut so weiß war, als habe er sein halbes Leben in einem verdunkelten Büro zugebracht.

      Er trug fast immer Marengo-Sakkos, für einen Burschen seines Alters ziemlich ungewöhnlich. Falls es ein Spitzel war, würde er erst zuschlagen, wenn er genügend Namen, Standorte und Pläne gesammelt hatte. Deshalb ließen sie ihn lieber in Heidelberg zurück.

      Die Wohnung hier in Frankfurt war eines ihrer sichersten Quartiere. Natürlich gab es keine Beweise. Sie verließ sich lediglich auf ihren Instinkt. Etwas in der Art, wie er sie manchmal anblickte, machte sie stutzig. Es war kein Verbrecherblick. Sie war nicht sonderlich hübsch – erst recht jetzt nicht, mit ihren künstlichen Sommersprossen neben der Nase und dem hochgebundenen, rötlichen Haar. Sie wirkte damit wie eine «junge alte» Matrone.

      Dass sie hier in Frankfurt, im Hurenviertel, zur Welt gekommen war – sozusagen ein Betriebsunfall ihrer Mutter, dem sie nur deshalb ihr Leben verdankte, weil sie sich vor einer Abtreibung gefürchtet hatte –, beschäftigte ihn weitaus mehr.

      «Kinder von Huren sind oft besonders empfindlich für soziale Ungerechtigkeiten», hatte er erklärt. «Manchmal neigen sie sogar zur Gewalttätigkeit. Das beweisen die Kriminalstatistiken.»

      «Sie lesen Kriminalstatistiken?»

      Darauf war er sehr verlegen geworden.

      «Entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.» Plötzlich musste ihm bewusst geworden sein, wie ungehörig es war, in dieser Art über ihre Herkunft zu sprechen.

      Richard