Der nächste Tag (also „morgen“) roch nach Blumen und frischer, warmer Luft, die ein perfektes Wochenende einleiten wollte. Es war Freitag und Sammy, nun immer pünktlich zum Schulbeginn anwesend, traf sich vor dem Gebäude mit ihren Freunden Mark und Mindy. Nachdem sich alle zur Begrüßung umarmt hatten, plauderten sie noch etwas über den peinlichen Sven mit seinem Topfschnitt, den neuen Liebesfilm, der von den Werbungen als Werk des wiedergeborenen William Shakespeare hoch gepriesen wurde und die freie Zeit, die es mit tausend und einer Attraktion zu füllen galt. Mindy ermahnte Sammy schließlich – auch nicht zum ersten Mal – endlich ein Gespräch mit dem Jungen zu führen, dem sie so verfallen war. Und als Matt höchstpersönlich an ihnen vorbeilief und Mindy ihrer Freundin sehr unsanft in die Rippen stieß, brüllte Sammy buchstäblich heraus: „HALLO, MATT!“, so dass es die ganze Schule hören konnte.
Fettnäpfchen!
Doch damit geschah endlich etwas.
Der Angeschrieene drehte sich leicht erschrocken um und betrachtete Sammy mit großen Augen – zumindest nahm sie das an, weil sie sein zweites Auge ja nicht sehen konnte, dass unter seinem schwarzen Haar verborgen war. Als er jedoch erkannte, dass er wohl keinen kreischenden Indianerstamm, welches ihn an den nächsten Marterpfahl binden wollte, auf sich zu rennen sah, sondern nur das kleine Mädchen mit puterrotem Gesicht, lächelte er freundlich: „Hallo! Wie geht´s?“
Sie musste sich sehr beherrschen, um nicht zu sehr zu stottern: „G-ganz gut! U-und dir?“
Matt schritt wieder zurück, auf die drei Freunde zu und blieb direkt vor der aufgeregten Kleinen stehen, die er um einen Kopf überragte: „Mir auch.“
Dann stand er da, sie saß und sie beide sahen sich an und wussten nichts mehr zu sagen.
„Woher kommst du eigentlich, Matt?“, fragte Sammy.
„Meenix“, antwortete er und erinnerte sie nicht daran, dass er dies an seinem ersten Tag schon gesagt hatte.
„War es schön dort?“
„Wie man´s nimmt“, lachte er: „Wenn man die tödliche Ruhe und Langeweile mag, dann sicher. Ich meine, es war schon ein schöner Ort, aber nicht viel los!“
Ob er bemerkte, dass Sammy ihn nur noch anstarrte und gar nicht mehr zuhörte, oder ob es ihm ganz plötzlich bewusst geworden war, jedenfalls fiel ihm auf: „Nun, wir müssen zum Unterricht, sonst kriegen wir Ärger mit dem werten Mr. Steller!“ Bei den letzten beiden Worten zog er eine leichte Grimasse, die Sammy schmunzeln ließ. Wie süß er doch war!
Als ob sie eine letzte Treppenstufe verpasst hätte, trottete sie neben ihren Freunden hinter Matt her, der leider nicht gewartet hatte, bis die drei sich von ihrem Platz bequemten.
„So ein Streber“, griente Mark: „Werter Mr. Steller, also wirklich!“
Dafür knuffte Mindy ihn an der Schulter: „Neidhammel!“
Sammy war überglücklich. Der erste Schritt war getan und wunderbarerweise lief es noch genauso gut weiter. Als ein wieder einmal völlig trostloser Schultag vorübergegangen war, kam Matt doch tatsächlich zu ihr herüber und fragte sie, ob sie ihm nicht die Stadt Merian zeigen wollte. Vor Verlegenheit brachte Sammy keinen Ton über die Lippen und stammelte („Äh-äh-äh“) nur vor sich hin, doch Mindy nahm sich ein Herz und antwortete für sie: „Ja, das macht sie gerne!“
Matt freute sich: „Schön, wann treffen wir uns?“ Als Antwort bekam er nur „Äh-äh-äh!“, woraufhin er etwas amüsiert hinzufügte, dass es wohl besser wäre, wenn Mark und Mindy auch mitkämen, um Sammys ihm unbekannte Sprache zu übersetzen.
Draußen vor der Schule stupste Mark seine beste Freundin an: „Reiß dich doch mal zusammen! Dein Gestammel wird auch bei ihm irgendwann den Reiz verlieren!“
„Reiz?“, fragte Mindy und lachte.
„Was ist daran schon wieder so komisch?“, fragte Mark völlig entgeistert.
Sammy und Mindy sahen sich an und begannen laut loszuprusten. Mark verdrehte mal wieder seine Augen und seufzte schwer. Manchmal hatte er den Eindruck, an ihm wäre ein trauriger Clown verloren gegangen.
Die drei Freunde traten ihren Heimweg an. Mit Matt würden sie sich um 16 Uhr am Great Meat, einem Café, treffen. Mark verabschiedete sich von seinen beiden Freundinnen, als sie vor einem in die Jahre gekommenen Haus mit einem jedoch hübsch gepflegten Garten standen.
Sie gingen ein Stück weiter – als plötzlich ein weiß schimmernder Wolf vor ihnen aus dem Gebüsch rannte und vor ihnen stehen blieb.
„Samantha Beth und Mindy Becarter?“, fragte er mit geisterhafter Stimme.
Sammy war erschrocken, als dieses Gebilde vor ihnen aufgetaucht war. Mindy jedoch hatte keinesfalls ihre Fasson verloren und antwortete: „Das sind wir!“
„Heute um 14 Uhr findet ein Treffen des geheimen Hexenordens der weißen Mächte statt! Ihr seid verpflichtet, euch zu diesem Termin einzufinden!“
Sammy stöhnte laut auf: „Oh nein, was wird dann mit Matt?“ Doch die Gestalt hörte ihre Bemerkung scheinbar nicht und löste sich in Luft aus.
„Mann, immer zum blödesten Zeitpunkt! Warum können die sich nicht mal darum scheren, was man persönlich gerade vorhat!“
Mindy sah ihre Freundin mitleidig an: „Ich weiß, Kleines. Dann verschieben wir das mit Matt eben auf morgen oder so!“
„Ich will mich aber heute mit ihm treffen“, trotzte Sammy.
„Ich will, ich will…“, meckerte Mindy. Dann schließlich beide: „Nein, meine Suppe ess´ ich nicht“, und lachten schließlich wieder.
Jaja, jung und unbekümmert. Was gäbe ich doch dafür, wieder so sein zu dürfen!
„Mensch, das ist doch bescheuert“, murrte Sammy, nachdem sie sich von dem Lachanfall erholt hatte: „Ich meine, wann krieg ich denn noch mal so eine Chance?“
Mindy versuchte sie zu trösten: „Ich denke, wenn Matt nicht völlig auf den Kopf gefallen ist, dann wird er es verstehen und…“
„Warte mal“, rief Sammy plötzlich: „Wie soll ich ihm bescheid geben? Ich weiß nicht wo er wohnt und eine Telefonnummer hab ich auch nicht von ihm!“
„Da mach dir mal keine Sorgen! Mark hat doch Zeit! Er braucht um vier einfach nur vor dem Café stehen, auf deinen Liebling warten und ihm alles sagen“, sagte Mindy.
„Erstens: Mark wird davon nicht begeistert sein! Und zweitens: Nenn ihn nicht >meinen Liebling!<“
Eine halbe Stunde später, um 13:30 Uhr, hatte Sammy ihrer Mutter mitgeteilt, dass sie heute bis auf ungewisse Zeit fortgehen würde – immerhin war es ja Freitag - und Mark angerufen, um ihn um ihren Gefallen zu bitten. Weder er noch Anne wussten, dass Sammy eine Hexe, besser gesagt eine weiße Hexe war und so musste sie sich immer wieder neue Ausreden einfallen lassen, wenn ein Ordenstreffen bevorstand. Wenn man auch sagen konnte, dass die magischen Wesen sehr unterschiedlich waren, einte sie alle zusammen, dass sie eine geheime Existenz bewahrten.
Sammy war noch nicht oft bei den Treffen der weißen Hexen gewesen. Sie war das jüngste Mitglied und hatte noch nicht viel gelernt, außer den Namen manch heilender Kräuter, ihre Anwendungen und ein paar Devensivzauber gegen Dämonen. Die Zeit anzuhalten hatte sie nicht zu lernen brauchen: das konnte sie schon, seit sie sich zu erinnern vermochte. Dies war, wie Mageira, ihre oberste Hexe, stets verkündete, eine Gabe Gottes.
Natürlich war die Aufregung groß, denn eine plötzliche, verpflichtende Einladung zu einem Ordenstreffen gab es ja nicht alle Tage und Sammy fragte sich, was an diesem Tag denn so alles passieren würde.