Die Gabe des Erben der Zeit. Georg Steinweh. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Steinweh
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847693000
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lümmelte sich in den Sessel neben dem Bücherregal. Seine Hände umfassten den bauchigen Becher, in aller Ruhe genoss er die Wärme.

      An diesem Morgen war er in einer völlig unaufgeregten Stimmung. Es geschah nicht oft, beim Blick auf ein Möbelstück des Vaters kein beklemmendes Gefühl in der Magengegend zu spüren, keine störenden Erinnerungen aus der Vergangenheit verdrängen zu müssen. Vorsichtig nippte er am Kaffee, tastete einmal mehr die eng gestellten Buchrücken im Regal ab.

      ‚Wandern am See’, ‚Fischzucht und Tourismus im Wandel der Zeit’, ‚Astronomie im Alltag’, ‚Zeichen der Astrologie’. Kein System in dieser Bücherei. Neben einem Bildband über Hexenküchen Albert Einsteins ‚Über die Spezielle und die Allgemeine Relativitätstheorie’, ein Faksimile. Wie es aussah, eine fast schon wieder wertvolle Ausgabe. Daneben ein Almanach über Zeitmaschinen in Film und Literatur - Fred konnte sich nur wundern. Weder alphabetisch noch inhaltlich erkannte er einen Sinn. Im Band über Chemielabore und ihre Versuchsaufbauten ein Foto am andern, daneben bei Hegels „Phänomenologie des Geistes“ gar keine Bilder. Auch kein System.

       Was hat er nur damit angestellt?

      Den Einstein, die Hexenküchen, den Hegel griff er sich. Wenn er nicht mehr wusste, was er zu tun hatte, spürte er, was er tun sollte. Der See rief.

      Den Rest Mohnkuchen vom Freitag in Folie, die Thermoskanne voll Milchkaffee. Mit dieser Minimalausstattung ging er zum Bootsschuppen. Gerümpel über Gerümpel, Fischereigerätschaften, Reste vom Außenborder, Gartenwerkzeuge. Ein absolutes Durcheinander. Und: die über alles gezogenen Spinnweben.

       Also ich seh mich hier nicht aufräumen?

      Gut verkeilt stand sein Korb mit Nahrung und Literatur, die ihn für drei Tage auf dem See halten könnte, im Boot. Fred öffnete routiniert den Benzinhahn und wollte gerade den Außenborder starten.

      „Nimm mich mit.“ Es war keine Frage.

      Fred drehte sich überrascht um. „Mara!“ Etwas hilflos stand sie da, vor ihm, über ihm, auf dem morschen Steg. Zu lange zögerte er, um seine Frage als spontan durchgehen zu lassen. „Wohin?"

      „Egal.“ Damit war sie auch schon eingestiegen, setzte sich ihm gegenüber, als wäre es ihr vertrauter Platz. Fred umklammerte den Gasgriff, laut röhrte der Motor über den See voraus, schaffte Abstand zum Haus. So hatte er sich den Ausflug nicht vorgestellt.

      „Ich hab mir doch tatsächlich eingebildet, du wolltest mir eine Nachricht schreiben. Dabei galt das Brieflein gar nicht mir.“ Mara versuchte gar nicht erst, ihre Neugier zu verbergen, wollte es aber auf gar keinen Fall nach Eifersucht aussehen lassen. Sie stützte sich entspannt auf das Sitzbrett, lehnte sich gegen den Fahrtwind, der auf ihrem Rücken dünne Gischtfetzen hinterließ und ihre Haare ungestüm nach vorne schlug.

      Keine Möglichkeit für Fred, in Maras Gesichtsausdruck irgendeine Stimmung zu erkennen.

      Der Wind war auf ihrer Seite. Die langen Locken züngelten Richtung Fred, als wollten sie ihm eine Antwort rauskitzeln.

      „Nein, für dich war´s nicht.“ Nach Spielchen war ihm nicht zumute, es ging Mara nun wirklich nicht an, was ihn umtrieb, wovon er seine Entscheidung abhängig machen würde, hierzubleiben oder zu verkaufen.

      „Ich hab Lara zur Schule gebracht und dachte, schau doch mal, was der alte Fred so treibt. Vielleicht fehlt ihm was.“ Längst hatte sie seinen Korb nebst Inhalt entdeckt und ergänzte mit einem kleinen spöttischen Unterton, den er ja nicht überhören durfte: „Wie ich sehe, bist du für eine lange, gefahrvolle See-Expedition gerüstet.“

      Endlich. Fred grinste. Diese Mara.

      „Mara.“

      Das klang nach aufgeben, zumindest nach Waffenstillstand. Obwohl er sich nicht erinnern konnte, mit ihr im Clinch zu liegen. „Du, ich weiß grad überhaupt nicht, wo mir der Kopf steht. Aber vielleicht willst ihn mir ja verdrehen?“ Fred nahm das Gas weg, das Boot schob gemächlich Richtung Seemitte. Ruhig schnitt der Bug die Wellen. Er brauchte Ruhe, allein oder mit Mara, auf keinen Fall den nervigen Lärm des Außenborders. Fast hätte es Mara die Stimme versagt. Fast. Sie ignorierte die aufsteigende Röte, bändigte aber sicherheitshalber nicht die Strähnen vor ihrem Gesicht und antwortete so gelassen wie möglich.

      „Ich wollt dir nur sagen, ich hab nachdacht. Über unsre Begegnung, weißt du. Ich hab dir ja ganz schön viel erzählt. Kannst dir wirklich was drauf einbilden.“

      „Und jetzt? Jetzt bereust du´s, daß du mir gegenüber so ungezügelt warst.“

      Fred hatte gute Laune. Und außerdem war ihm egal, wie Mara seine Stimmung finden würde. Sie wollte unbedingt ins Boot. Er wollte allein sein. Aber er blieb ruhig.

      Lag es an Mara? Am See? Wenn er gewusst hätte, daß und warum er seit vielen Nächten schlafwandelte und er deshalb tagsüber unausgeschlafen und mürrisch war, wäre ihm spätestens jetzt klar geworden: letzte Nacht war er nicht durchs Haus gezogen, sondern hatte seelenruhig geschlafen.

      Im Gegensatz zu Fred hatte Mara offensichtlich ein Ziel. Und davon wich sie nicht ab.

      „Mir hat´s so gut getan, wenigstens mal ein bisschen was loszuwerden, weißt, einem Menschen gegenüberzusitzen, dem ich einfach mal vertrauen kann. Mir war einfach danach. Aber in dir muss es doch auch ganz schön brodeln. Wenn nur die Hälfte stimmt, von dem, was man so hört.“

       Das ist nicht die Mara, die ich mal kannte.

      Kannte er sie wirklich? Hatte er irgendein Mädchen erkannt, damals, oder hatte er Mara einfach mitgenommen, wie so viele? Aber womit sie gerade köderte, lockte ihn doch.

      „So. Was hört man denn?“

      Fred musterte Mara aufmerksam und entdeckte keinen Vorwurf in ihrer Stimme.

      Womit sie das Boot versenken könnte.

      Fred lächelte.

      Warum fühl ich mich in ihrer Nähe so geborgen? Langsam glitt sein Lächeln nach innen.

      War es ihre Gegenwart, die ihn seine Vergangenheit ertragen, die Zukunft gelassener betrachten ließ? Sie schaute ihn einfach an.

      Und wartete.

      „Ich muss mich heute entscheiden.“

      Fred fixierte den Steuerarm und ließ das Boot im Standgas dahintuckern. Mara schob eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht, als wolle sie Fred nun endlich den Blick auf sich freigeben. „Bleibe ich hier oder gebe ich dieses Unwesen auf.“

      Sie lächelte über diese kleine Freudsche Fehlleistung. „Unwesen?“

      Fred wischte den Fehler mit einer fahrigen Handbewegung aus dem Raum zwischen ihnen. „Das Haus. Diese Muttererde, wie mein Vater dauernd sagte. Wurde nicht müde, immer und immer drauf rumzureiten. Da, wo ich seiner Meinung nach hingehöre. Und jetzt weiß ich nicht, ob ich mir das Alles antun soll!“ Seine Hände klatschten auf die Schenkel, sein Ärger war auf dem Weg.

      „Du kannst dir nicht vorstellen... dieses, dieses Haus nervt mich! Jede Nacht, jeden Morgen... ich wach auf... bin völlig gerädert... heut mal ausnahmsweise nicht. Irgendwas schikaniert mich oder kämpft gegen mich, wenn ich schlafe... hab Alpträume, an die ich mich nicht erinnern kann.“ Erschöpft ließ Fred die Schultern hängen.

      Nachdenklich ließ Mara Freds Worte im Wind verklingen, sie war zu klug, um eine flüchtige Meinung wie ‚Was ich an deiner Stelle tun würde...’ nachzuschieben.

      Für ein paar Sekunden, ein paar Wellenschläge schien es, als dächten sie gemeinsam über einen Ausweg nach.

      „Entschuldige, wenn ich so direkt frage, aber... aber kannst du dir vorstellen... bist du eher dagegen, zu bleiben, weil dein Vater dich so energisch halten will?“ Für Mara lag die Frage auf der Hand.

      Fred vertraute. Er bekannte. Erzählte. In notwendiger Kürze von seiner