Die Gabe des Erben der Zeit. Georg Steinweh. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Steinweh
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847693000
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Die Wirtin riss Fred unsanft aus seinen Beobachtungen – die sie als Unschlüssigkeit deutete - und trocknete das nächste Glas.

      „Sie haben so eine wunderschöne Terrasse, da würd ich gerne sitzen.“ Mit erfolgsgewohnter Klarheit trug er seinen Wunsch vor. Auf dem Weg zur Glastür bremste ihn die Wirtin.

      „Geh hörn´s, wir habn noch gar net g´wischt draußn, und keine Deck´n sind gebügelt.“

      Schmal und abgearbeitet war die Alte, aber ihre Worte versperrten Freds Weg wie eine Mauer. Er zögerte kurz, Widerspruch war er nicht gewöhnt, kramte aber schnell zusammen, was er für diesen Fall für nötig hielt.

      „Ich bin net aus der Gegend, wollt halt die Aussicht und die gute Luft genießen. Etz tun´s mer halt den G´fallen.“ Als nächstes würde der Gast womöglich ein Bierglas greifen und um sein Leben polieren. So weit wollte es die Wirtin nicht kommen lassen.

      Mit einem stimmlosen „In Gott´s Namen“ entließ sie ihn.

      Die Stühle waren nicht angekettet.

       Das gibt´s auch nur noch auf der Höri.

      Fred war schnell eingenommen von dieser Oase - er spürte nicht mal, wie entspannt er tatsächlich schon war, wie die Gedanken durcheinander sprangen, von einem unwichtigen Thema zum nächsten. Es war ihm leicht gefallen, die Sprache der Wirtin aufzugreifen, obwohl er sehr bewusst damit umgegangen war. Hätte auch schiefgehen können.

      Hier war die Welt noch in Ordnung - abgesehen von, vielleicht auch wegen ein paar Menschlichkeiten.

      Ungeduldig wartete er auf die Bedienung und beobachtete die ziehenden Wolken. Bis ihn eine Engelsstimme auf die Erde zurückholte.

      „Grüß Gott! Möchten Sie schon was zum Trinken?“ Es war die Bedienung, kein Engel. Mit einem unaufdringlichen Lächeln legte sie die offene Speisekarte auf den Holztisch.

      „Äh, ja, doch.“ Und als ob die Speisekarte helfen könnte, sich zu sortieren, schaute er hin und her und wieder hoch zu ihr. „Ein Radler bitte.“

      „Gerne.“ Damit ließ sie ihn allein.

       Unterschiedlicher kann Personal ja nun wirklich nicht zusammengestellt sein.

      Sein geschultes Auge konnte er nicht in Urlaub schicken. Und schon war die Unruhe zurück. Ein flottes Wesen, das ihn da bediente. Und Engel, Engel waren ab sofort dunkelhaarig, mit Locken, die sich kräuseln wie die Bodenseewellen bei Sturmwarnung. Ein guter Tag zum Balzen.

      Mara hatte ihn erkannt. Nachdenklich mischte sie das Radler. Was wollte er hier? Nach all den Jahren. Sie hatte ihn vergessen, irgendwann, endlich. Nach langer Zeit und vielen versteckten Tränen.

      Auf dem Bootssteg waren es Freudentränen. Fred konnte echt komisch sein. Fast wäre sie ins Wasser gefallen, aber er wollte und wollte nicht aufhören. Sie war extrem kitzlig, das wusste er doch und sie wusste nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. Er war wieder zu ihr zurückgekommen. War es das zweite Mal, oder das dritte Mal? War sie ihm zu jung mit ihren 16? Immerhin war er zwei Jahre älter. Angeblich hatte er grade was mit einer verheirateten Frau aus dem Nachbarort, genau wusste das natürlich niemand, aber das Maul haben sich einige aus ihrer Clique trotzdem darüber zerrissen. Sollen sie doch. Sie wollte es gar nicht so genau wissen. Heut Nacht war er bei ihr.

      Sie saßen am Bootssteg beim Haus seines Vaters, erfanden die Welt neu und spuckten um die Wette Kirschkerne in den See. Der Mond hatte ein Einsehen, beleuchtete den romantischen Flecken und die Kreise, die die Kirschkerne hinterließen. Es war seelenruhig, das Schilf raschelte vertraut, Fred wühlte in ihren Haaren, langsam kippten sie auf den Steg und küssten sich. So konnte es ewig weiter gehen.

      Plötzlich hörte er auf und suchte aus dem Korb ein besonders schönes Kirschpaar. Frech hielt er es vor ihren Mund, ließ sie aber nicht zuschnappen, sondern hängte es an ihr Ohr. Sie lachten, genossen die Situation, kicherten wie kleine Kinder, boxten sich sachte, als wollten sie sich gegenseitig vom Steg stoßen. Fred näherte sich knurrend wie ein Raubtier und knabberte das Kirschpaar vom Ohr, was Mara mit kleinen „Hilfe, Hilfe“ -Schreien begleitete.

      „Ich hab endlich ne Sitzbank gefunden. Kann ich morgen abholen. Originalrot. Kommst mit?“ Fred legte seinen Arm um Mara, sie spürte seine Kraft – und seine Leidenschaft für sein Moped. Er sprach ja nicht viel, aber darüber gern. Es war ein Glückskauf, 750 Mark musste er hinlegen für die KS 80. Der Typ wollte mehr rausschinden, „ist schließlich garantiert eine der Letzten“, meinte er.

      „Das war aber vor acht Jahren“, antwortete Fred. Damit war das Verhandlungsgespräch beendet. Dessen Mutter wollte ihn nicht weglassen, noch ein Stück Kuchen, noch eine Cola und wie nett er doch sei und überhaupt ist das Motorrad ja jetzt in guten Händen. Ja, das war sie, die Zündapp. Er hatte noch keinen Führerschein, dafür eine KS 80 Super. War aber noch nicht ganz das, was er wollte.

      Sein Traum - wenn er zurückdachte, war das zu der Zeit tatsächlich einer seiner wenigen Träume, den er hatte und stur verfolgte. Bis er erfüllt war. Er wollte eine KS 80 Sport. Davon wurden aber nur 500 Stück gebaut. Bis die Japaner den deutschen Mopedherstellern vollends die Luft abdrehten und auch die Marke Zündapp die Fabriktore schließen musste. Fred fand keine ‚Sport’, nicht zu dem Preis, den er hätte bezahlen können. Also beschloss er, einfach eine der weitaus gängigeren ‚Super’ umzubauen.

      Zwanzig Wochenenden beim Abschleppdienst steckten da drin, selbst verdientes Geld. Das wenige Taschengeld vom Vater reichte grad so für Zigaretten und einmal im Monat eine Flasche Bacardi. Die dazugehörige Cola ging nebenher. Bis zum Sommer hatte er die Maschine zweimal zerlegt, die von einigen Stürzen verschrammten Blechteile wieder ausgebeult und lackiert. Er musste sowieso alles neu lackieren. Die Bauteile der Modelle waren zwar gleich, aber Verkleidungen, Schutzbleche und Tank waren Blau, die Alugussfelgen Silber. Die weiß zu spritzen, ohne daß es nach Pfusch aussah machte ihn fast wahnsinnig. Noch schwieriger würde der Tank werden, das ahnte er. Zweifarbig rotschwarz, mit einem dünnen weißen Streifen dazwischen. Der Streifen musste auf der Höhe der Sitzbank ansetzen und schräg nach vorn bis zum Wasserkühler laufen. Er hatte es hinbekommen, sah richtig gut aus.

      Das waren Wochen, da hatte Fred keine Fingernägel mehr, sondern schwarze Krallen und Schmiere in den Fingerfalten, die es nicht lohnte, nur für die Schule ständig zu schrubben.

      „Sehen doch morgen eh wieder so aus“, war sein einziger Kommentar, wenn der Vater zufälligerweise auf sein Äußeres einging. Fred vermisste nicht einmal ein Lob seines Vaters, immerhin hatte er in monatelanger Arbeit einen Modellumbau geschaffen, der nun glänzend vor ihm stand. Er war dermaßen stolz auf sich.

      Über 200 Mark musste er noch für Sprühlack, einen schärferen Vergaser und die Sitzbank hinlegen. Der Vorbesitzer hatte sich glücklicherweise schon die originale Sebring-Auspuffanlage der ‚Sport’ an seine ‚Super’ gegönnt. Diese Investition konnte er sich also sparen.

      Eigenartigerweise gab er mit dem Sport-Auspuff bei den Mädchen mehr an als bei den Jungs. Als ob er bei ihnen mehr Sachverstand voraussetzte und glaubhaft machen konnte, mit der Anlage und den 10 PS 115 Sachen drauf zu haben. „Normal läuft die 80, aber was ist schon normal?“

      Träumend fuhren sie dem frühen Morgen entgegen. Die kalte Nacht hielt sie wach. Es gab so eine Stunde auf der Höri, da schienen sich die Geräusche aus dem Weg zu gehen. Kein bellender Hund, keine krächzenden Vögel, noch kein wichtigtuerischer Hahn. Der einzige Wind, der zu spüren war, war der Fahrtwind. Mara klebte an Freds Rücken, die Arme fest um ihn geschlungen. Mit Fred verstand sie sich sprachlos, ihr Körper war sein Körper, der das Moped in die Kurven drückte, bis die Fußrasten auf der Straße schleiften.

      Fred hatte ihr von einem Kumpel mit großer Klappe erzählt, ganz cooler Typ und so. Saß hinten drauf und hätte fast einen Unfall provoziert.

      „Der Typ hatte Angst, daß wir umkippen und hat sein Gewicht immer auf die andere Seite wie ich gelegt. Ich kam schier nicht durch die schnellen Kurven. So ein Idiot.“ Er musste lachen, als er dran dachte. „Der hat´s bis