„Ja ist das eine Schei ...!“ fluchte Mary und wischte sich den Dreck aus dem Gesicht.
‚Das geht ja gut los’ dachte sie, mir schwant gar nichts Gutes.’
Vorsichtig traten sie in die beeindruckende, steinalte Empfangshalle. Überall hingen Spinnweben herum und der sandige Staub türmte sich zentimeterhoch auf allen Möbeln, Lampen und Teppichen. Goles lief mit offen stehendem Mund sabbernd in die Mitte der Halle und konnte von Mary gerade noch rechtzeitig aufgehalten werden, bevor er in ein riesiges Loch im sonst gut erhaltenen Dielenboden gefallen wäre. Hier hatten sich wohl jahrhunderte lang ganze Generationen von Termiten und Holzwürmern kräftig den Bauch vollgeschlagen.
Mary sah in das dunkle Loch und ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter. ‚Das sieht aus wie eine Gruft’ dachte sie ‚sehr einladend!’
Am Ende der Lobby führte eine mächtige Treppe im Halbrund nach oben in die erste Etage. Im Inneren der Rundung war ein wunderschöner, alter Aufzug aus Schmiedeeisen und Mahagoniholz eingebaut, der aber auf Grund des fehlenden Stromes nicht zu benützen war. Mary traute diesem Gitterding sowieso nicht und ging die Treppe hinauf, peinlichst genau darauf achtend, wo sie hintrat. Der ganze Prunk vergangener Epochen versetzte sie in ihre Fantasiewelt und ließ in ihrem Köpfchen eine Geschichte nach der anderen entstehen.
Humphrey war überglücklich den ganzen Tag mit Mary verbringen zu dürfen und trottete unaufhörlich schwafelnd, wie ein kleines Hündchen hinter ihr her. Er legte eine sehr feminine Art an den Tag, die sie so ganz und gar nicht einordnen konnte.
Im letzten Zimmer, das sie sich anschauten, passierte dann das Unvermeidliche, vor dem Mary schon die ganze über Angst hatte. Humphrey stand vor einem großen Barockspiegel und beging den folgenschweren Fehler, ihn von der Wand nur ein kleines Stück nach vorne zu ziehen.
Sie traute ihren Augen nicht, als sie sah wie sich die Befestigungshaken von der feuchten Wand lösten und das schwere Monstrum mit lautem Getöse auf den Boden klatschte. Sie wollte Humphrey noch daran hindern, sprang zu ihm hin und schrie ihn an, was leider nichts nutzte, da er ununterbrochen quasselte wie ein Buch und auf nichts hörte.
Mit lautem Bersten des morschen Holzes, gepaart mit ohrenbetäubendem Knirschen uralten Lehmes schlug der Spiegel durch den Fußboden. Dicht gefolgt von einem laut schreienden und herumfuchtelnden Humphrey und einer überraschten aber sehr gefassten Mary, bahnte er sich seinen Weg zielsicher durch das Erdgeschoss in den Keller. Alle schlugen sehr unsanft in einer gigantischen Staubwolke auf dem knochenharten Naturboden des Kellergeschosses auf, wobei sich der Spiegel laut scheppernd in tausende kleiner Splitter auflöste.
Regungslos, die Körperteile irgendwie seltsam angeordnet, lagen Mary und Humphrey eine Weile in ihrem Verlies herum, begraben unter einer dicken Schicht aus Staub, Sand, Holz und weiß der Teufel was.
Mary kam langsam zu sich und hustete sich erst einmal die Seele aus dem Leib.
‚Nicht schon wieder! Hört das denn nie auf? Be ist doch gar nicht hier. Nur ich und diese Weichflöte ...’
Sie richtete sich auf, schaute umher, konnte aber nichts erkennen, da es stockfinster war. Tastend griff sie nach ihrer Tasche, die glücklicherweise noch quer über ihren Brustkorb geschnallt war und kramte die Taschenlampe heraus.
Jaa ... man mag nun denken, typisch Frau. Jede hat doch eine Taschenlampe, Allwetterstreichhölzer, Verbandsmaterial und ein kleines Taschenmesser in ihrer Handtasche. Oder etwa nicht? Seit ihren Erlebnissen in Finnland waren diese Utensilien untrennbar mit Marys Tasche vereint!
Mary leuchtete den Boden ab und entdeckte ein paar Schritte neben ihr einen friedlich atmenden Berg aus Brettern und Dreck. Sie befreite sich von dem Schutt des alten Hauses und krabbelte zu Humphreys Gesicht, das sie zwischen all dem Unrat ausmachen konnte. Sie tätschelte es ein paar Mal, als das nichts half gab sie ihm eine schallende Ohrfeige.
„Wach endlich auf, Mann! Wir sind hier nicht auf einer deiner Kaffeefahrten“
Humphrey öffnete erschrocken die Augen und fing augenblicklich jämmerlich zu husten an.
„Oh Gott, oh Gott, bin ich tot? Was ist passiert?“
„Nein“, versuchte Mary ihn zu beruhigen, „wir sind alle beide am Leben.“
Er setzte sich stöhnend auf, tastete seinen ganzen Körper auf der Suche nach irgendwelchen Ungereimtheiten ab und griff in seine Innentasche der Jacke.
Mary staunte nicht schlecht, als er eine kleine Flöte daraus hervorzog. „Was wollen sie denn damit? Sonst haben sie keine Sorgen! Das gibt es doch nicht. Jetzt sagen sie nur noch, dass aus einem Korb ein Seil aufsteigt, an dem wir hochklettern können. Da fällt mir nichts mehr ein!“
Ungerührt der Ausführungen Marys strich Humphrey liebevoll über sein kleines Musikinstrument, setzte es an die Lippen, trällerte ein kurzes Lied, das sich wie irres Vogelgezwitscher anhörte und packte das Ding wieder zurück in seine Jackentasche.
„Und wo ist jetzt das Seil?“
„Ach meine Liebe, sowas funktioniert doch nur in ihren Geschichten. Aber ich bin heilfroh, dass sie hier sind. Sie holen uns doch jetzt im Nu hier heraus, oder?“
Mary schüttelte sich und versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. ‚Was war denn das für einer? Hält der mich für Superwoman?’
Sie bog ihren geschundenen Körper gerade, stellte sich langsam auf die Füße und lief vorsichtig mit der Taschenlampe durch den Raum. Über sich konnte sie die große Öffnung ausmachen, die ärgerlicherweise durch den herab fallenden Müll wieder komplett geschlossen war.
‚Was für ein Mist. Wie kommen wir hier nur heraus?’
Humpfrey hievte sich schwer atmend auf seine Knie und fing erneut an zu stöhnen. „Ooh heiliger Berg, mir tut alles weh. Mein armer Körper.“
„Ja, das kenne ich. Gewöhnen sie sich daran“, entgegnete Mary pfurztrocken, „sie wollten doch Abenteuer, jetzt sind sie hautnah dabei. Können sich was darauf einbilden. Ich nehme nämlich nicht jeden mit.“
Humphrey erhob sich schwerfällig, wollte hinter Mary hergehen und flog über einen quer liegenden Balken, krachte der Länge nach hin und verschwand in einer Staubwolke.
„Aua“, jammerte die Wolke, „was bin ich bloß für ein Schusselchen. Mary Liebste, können sie bitte herkommen? Ich habe mir weh getan und glaube, dass ich verblute.“
Marys Ohren klingelten jetzt schon. Dieses Gejammer ging ihr dermaßen auf den Senkel, dass sie kurz vor dem Ausrasten war und sich nur noch schwer im Zaum halten konnte.
„Mary! Hier bin ich, hier drüben, Sehen sie mich denn nicht? Geben sie sich doch mal ein bisschen Mühe.“
Mary biss sich auf die Lippen, dass sie jetzt ja nichts sagte, was sie vielleicht hinterher bereuen würde. ‚Natürlich sehe ich dich, du Trottel!’
Vorsichtig bahnte sie sich einen Weg zu ihm und kniete neben ihm nieder. „Alles klar bei Ihnen? Haben sie noch alle beisammen?“
Diese Bemerkung konnte sie sich dann doch nicht verkneifen.
„Ach Mary, sie sind so witzig.“
‚Der Kapiert auch überhaupt nichts! Was für eine Pfeife.’
„Ich blute bestimmt irgendwo. Ich fühle mich so schlapp.“
„Nein, sie bluten nicht. Aber da drüben sind ein paar Särge, da können sie in Ruhe von uns gehen.“
Humphrey sah Mary unverständlich an. „Wie haben sie denn das gemeint? Muss ich sterben?“
„Das sollte ein Witz sein! Sind sie so einfallslos oder tun sie nur so?“
Mary strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und merkte, dass sie Blut an ihren Fingern hatte. Aber das war ja nichts Neues!
„Mary,