Auch im Privatleben möchten Frauen, dass anerkannt wird, was sie für den Partner und die Familie tun, aber viele Familien setzen sich kommentarlos an den Tisch. Wenn es ihnen schmeckt, erkennt man das nur daran, dass sie das Essen gierig in sich hineinschlingen. Selten gibt es ein Lob oder einen Dank. Auch alle anderen Dienstleistungen werden als selbstverständlich hingenommen. So wie auch die Frauen meistens mit schöner Selbstverständlichkeit alle Arbeiten im Haushalt übernehmen, die die anderen Familienmitglieder gerne liegen lassen. Leider ist es auch in unserer ach so emanzipierten Gesellschaft immer noch so, dass die Frau im Haus die Schlampe ist, wenn die Wohnung aussieht wie ein Schlachtfeld. Nur bei alleinstehenden Männern gibt es keinen Sündenbock für Versäumnisse im Haushalt.
Kerstin und Karsten haben normalerweise schon eine einigermaßen gerechte Verteilung der Hausarbeit. Allerdings sind auch in ihrem Haushalt einige Arbeiten eher rollentypisch verteilt: Karsten ist für die meisten Dinge im Außenbereich zuständig (Gartenarbeit – außer Unkraut zupfen -, Autopflege und Holz hacken liegen ihm eben besser als Wäsche waschen, bügeln, Fenster putzen), Kerstin innen, obwohl sie auch lieber Rasen mäht als Staub zu saugen. Im Haushalt hilft Karsten nur bei den alltäglichen Kleinigkeiten wie Geschirrspüler ein- und ausräumen oder bei handwerklichen Tätigkeiten, eben Männerarbeit. Gelegentlich kocht er auch mal, aber nur wenn er Lust dazu hat. Der anschließende Zustand der Küche führt dann meistens zu längeren Diskussionen. Wenn Besuch kommt, macht natürlich Kerstin gründlich sauber. Wenn sie versucht Karsten zur Mithilfe zu animieren, mault er so lange herum, bis sie es lieber selbst erledigt.
Bei dieser klassischen Aufgabenteilung geht auch die Anerkennung meistens zu Karstens Gunsten aus. „Wie schön und gepflegt euer Garten immer ist. Dein Karsten ist wirklich ein Schatz!“, hört Kerstin regelmäßig von ihrer Mutter. An Sätze wie „Wie schön sauber es bei euch ist und die Wäsche immer so schön gewaschen. Das macht die Kerstin aber toll!“, kann sie sich nicht erinnern. Zugegeben, solche Kommentare würde sie vermutlich als Hohn empfinden, aber trotzdem ist es nicht gerecht, dass nur Karsten Lob erhält, obwohl sie ungefähr die gleiche Zeit in das gemeinsame Heim investiert. Es setzt Kerstins Leistung irgendwie herab und das ärgert sie. Ihr ist klar, dass Karsten sich nicht bewusst ist, dass er sich seine Lieblingsarbeiten aus dem Aufgabenpool herausgepickt hat und der Rest ihr zufällt. Trotzdem ist sie manchmal deswegen ein wenig wütend, nicht nur auf Karsten, sondern auch auf sich selbst. Sie hätte sich schließlich nicht so unterordnen müssen. Warum taten Frauen das, obwohl es sie offensichtlich unzufrieden machte? Zogen sie eine Befriedigung aus ihrer Märtyrer-Rolle? War es anerzogen?
Kerstin kennt jedenfalls kein einziges Paar, bei dem es anders herum ist oder wenigstens ein stetiger Wechsel bei den ungeliebten Aufgaben stattfindet, obwohl sich so mühelos eine Form der Gerechtigkeit herstellen ließe. Auch bei Anja und Rainer ist es so. Dort ist es auch selbstverständlich, dass Rainer ausgehen kann, wenn ihm danach ist. Anja dagegen muss immer dafür sorgen, dass sich entweder Rainer oder ein Babysitter um die Kinder kümmert. Wenn Rainer ausgeht oder beruflich unterwegs ist, braucht er nicht zu fragen, ob Anja diese Aufgabe übernimmt. Es ist normal, dass sie da ist oder sie sich um entsprechende Betreuung kümmert. Wie es bei Sabine und Thomas geregelt ist, weiß Kerstin nicht. Wahrscheinlich genauso wie bei Karsten und ihr, nur dass Sabine und Thomas noch in dem frühen Stadium einer Beziehung sind, wo Frauen den „Nestbau“ gerne übernehmen, damit ihr Liebster sich wohl fühlt. Genau, Nestbau! Das ist wahrscheinlich die Antwort auf diese Frage. Auch im Tierreich fällt die Aufgabe des Nestbaus und der Brutpflege meistens in die Zuständigkeit der Weibchen. Also eine genetische Ursache? Dann sollten Frauen aber doch zufrieden mit dieser Rolle sein!?
Puh, was für anstrengende, nutzlose Gedanken! Kerstin muss ein bisschen über sich selber lachen, dass sie so viel Energie darauf verwendet. Sie wird die Welt bestimmt nicht ändern. Und genetische Programme schon gar nicht. Mit dieser Erkenntnis wendet sie sich wieder ihrer Bügelwäsche zu – wie passend!
Kapitel 5
Anjas Gedanken wandern zurück zu der Zeit als sie Rainer kennengelernt hatte. Damals konnten sie die Finger nicht voneinander lassen und nutzten auch unter den unmöglichsten Voraussetzungen jede Gelegenheit, um sich nahe zu sein.
Sie hatten sich kurz vor dem Abi in einem Projekt für Ökologische Gewässer zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, obwohl sie schon seit vielen Jahren dasselbe Gymnasium besuchten. Später konnte keiner von ihnen mehr sagen, warum sie sich nicht eher füreinander interessiert hatten. Das spielte aber auch nicht wirklich eine Rolle. Vielleicht lag es einfach nur daran, dass sie nun gemeinsam an einem Projekt arbeiteten, bei dem sie sehr viel Zeit damit verbrachten, in kleinen Gruppen Aufgaben zu erledigen. Schon nach kurzer Zeit hegte Anja den Verdacht, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Es konnte kein Zufall sein, dass Rainer so häufig in der gleichen Gruppe arbeiten musste wie sie. Allerdings sollte noch eine ziemlich lange Zeit vergehen, bis sie herausfand, wie Rainer das eingefädelt hatte. Das verriet er ihr aus Angst, dass sie wütend darüber sein könnte, erst, als sie bereits längere Zeit ein Paar waren. Als er ihr erzählte, dass er die Mitschülerinnen zum Tausch der Arbeitsgruppe gebracht hatte, indem er ihnen androhte, die ekligsten Tiere, die er während des Projektes fand, püriert unter ihre Pausenbrote zu schmuggeln, fand Anja das jedoch rührend. Den männlichen Gruppenmitgliedern versprach er schlicht und einfach, sich bei Gelegenheit mit einem Gefallen zu revanchieren. Die Herren waren einfacher zufriedenzustellen.
Ein Paar waren sie seit dem Tag, als sie für das ökologische Projekt eine Kläranlage besuchten. Der Geruch dort schlug Rainer gewaltig auf die Magennerven und er musste sich hinter einem etwas abseits stehenden Baum übergeben. Anja hatte als einzige bemerkt, wie er grün im Gesicht wurde und sich beiseite schlich. Unbemerkt war sie ihm gefolgt und hatte ihn anschließend mit Taschentüchern und Mineralwasser versorgt, damit es ihm wieder besser ging. Ihr einziger Kommentar war: „Du solltest eine ausgewogenere Ernährung anstreben! Was du da ausgespuckt hast, sieht nicht besonders gesund aus.“ Danach platzierte sie ihn unter einem anderen Baum im Schatten und ging wieder zurück zu ihrer Gruppe, damit wenigstens einer von ihnen informiert war. Niemand bemerkte Rainers Missgeschick und dafür war er ihr wirklich dankbar. Ab diesem Tag wich er nicht mehr von ihrer Seite.
Nach dem Abitur verbrachten sie einen herrlichen Sommer, in dem sie gemeinsam mit einem Interrail-Ticket quer durch Europa fuhren. Sie hatten nur wenig Geld, schliefen entweder in Jugendherbergen oder in Scheunen, die ihnen die meisten Bauern bereitwillig als Gegenleistung für ihre Hilfe auf dem Hof kostenlos überließen. So hatten sie ganz nebenbei noch eine Menge über Landwirtschaft gelernt.
Anja konnte sich noch gut daran erinnern, wie romantisch es war, als sie und Rainer das erste Mal in einer Scheune in der Provence miteinander schliefen. Damals kümmerten sie sich nicht darum, ob eventuell noch ein weiterer Übernachtungsgast eintreffen könnte oder dass das Heu pikte. Als sie von ihrer Reise zurückkehrten, war es selbstverständlich für sie, dass sie an der gleichen Universität Biologie studierten. Offiziell nahmen sie sich aus finanziellen und praktischen Gründen („das ist doch viel billiger als alleine zu wohnen und da man den Mitbewohner kennt, gibt es auch keine unangenehme Überraschung mit den WG-Mitbewohnern“) eine gemeinsame Studentenbude. Tatsächlich hatten sie damals gedacht, dass ihre Umwelt sich dadurch täuschen ließe. Es sollte noch niemand wissen, dass sie ein Paar waren. Irgendwie hatten sie befürchtet, dass ihre Eltern mit der Partnerwahl nicht einverstanden wären, weil Anjas Familie ziemlich reich war, während Rainer aus einer Arbeiterfamilie stammte. Sie waren sehr überrascht, als ihre Eltern ihnen später erzählten, dass sie von Anfang an Bescheid wussten.
Während ihrer Reise durch Europa, hatten sie sich so ziemlich an jedem Strand, an den sie kamen, eine einsame Düne oder ein Gebüsch gesucht, in dem sie ungestört ihre Liebe genießen konnten. Auch ihre Studenten-Wohnung hätte einige Geschichten über ihr Sexualleben zu erzählen gehabt, wenn sie hätte sprechen können. Dabei hatten sie sich auch keine Gedanken darüber gemacht, was ihre Nachbarn in dem hellhörigen Haus vielleicht mitbekamen. Sie lebten auf einer Insel der ungestörten Zweisamkeit und liebten sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Sie probierten alles aus, was ihnen einfiel. Heute wäre das unvorstellbar für sie. Warum eigentlich?
Wann