„Großartig“, dachte ich, „das ist ein lustiges Ende. Heute hat mir meine Gute Nacht Geschichte wieder einmal sehr gut gefallen.“ Sophie und Anna waren weniger enthusiastisch und das Ende hatten sie ohnedies nicht mehr gehört. Beide waren bereits eingeschlafen.
„Hallo, spricht dort die Sandmännchen-Beschwerdestelle…?“
Ich hatte eben die Kinder zu Bett gebracht und ihnen wie jeden Abend eine Geschichte erzählt. Jetzt machte ich es mir - froh, wieder einen arbeitsreichen Tag hinter mich gebracht zu haben und auch die allabendliche Kinder-zu-Bett-bring-Prozedur einigermaßen problemlos und schnell bewältigt zu haben - auf der Couch bequem, lagerte meine Füße hoch und lehnte mich zufrieden zurück.
Jetzt begann für mich der Abend und ich konnte genüsslich und in Ruhe darüber nachdenken, wie ich ihn verleben wollte. Sollte ich im TV-Programmheft Nachschau halten, ob es heute einen lohnenden Film geben würde, oder sollte ich es mir es mir einfach mit einem Buch und etwas zu essen auf der Couch bequem machen. Ich könnte aber auch meine geliebte Ehefrau Sissy fragen, ob sie mit mir eine Partie Monopoly spielt? Sie müssen wissen, meine Kinder sind lausige Monopoly-Spieler, ich hingegen liebe dieses Spiel über alles. Vielleicht sollte ich wirklich versuchen Sissy zu überreden. Ich könnte sie vielleicht sogar dazu überreden, heute ausnahmsweise früher zu Bett zu gehen, um uns noch mit einem anderen Gesellschaftsspiel zu unterhalten. Es musste ja nicht unbedingt ein Brettspiel sein, ich war sicher, uns würde da schon etwas einfallen…..oder sollte ich doch lieber fernsehen…?
Da öffnete sich die Türe und all meinen Sorgen und Überlegungen bezüglich der Abendgestaltung, waren jäh ein Ende gesetzt. „Papa“, sagte Sophie, „ich kann nicht schlafen!“ Sie sah wirklich bemitleidenswert aus, wie sie da stand, in ihrem Pyjama und ihren in einer schauspielerischen Meisterleistung zusammen gekniffenen Augen, die sagen wollten: „Ich habe es eh probiert, wirklich…!“
Ich nahm also den letzten Rest meiner väterlichen Geduld zusammen und fragte - während ich Sophie im Hinblick ihrer schauspielerischen Leistung um nichts nachstand - in einem durchaus liebevollen und geduldigen Ton: „Warum kann denn mein Hasilein nicht schlafen?“
„… ich weiß nicht“ entgegnete Sophie scheinheilig, „das Sandmännchen will einfach nicht kommen….“
„Ach so, das Sandmännchen will nicht kommen!“, sagte ich. Ich war ehrlich gerührt. „Naja, da müssen wir uns sofort beschweren. Ich werde gleich die Sandmännchen-Beschwerdestelle anrufen! Setz‘ Dich doch so lange auf die Couch, ja?“ Ich gab Sophie einen sanften Kuss auf die Stirn, ging zum Telefon und wählte eine Nummer.
„Besetzt,“ sagte ich, „typisch, immer, wenn man sich beschweren will, ist es besetzt!“ dabei blickte ich hinüber zu Sophie. Ich war neugierig, wie sie reagieren würde. Sophie wirkte gleichgültig. Meine Tochter schien mir nicht zu glauben! Das weckte nun natürlich meinen Ehrgeiz noch mehr.
„Ich werde es gleich noch einmal versuchen“, sagte ich bestimmt und wählte abermals. Und diesmal hatte ich tatsächlich mehr Glück!
„Hallo, Sandmännchen-Beschwerdestelle? Na endlich, guten Abend! Hier spricht Kurt Fleischner, Sie wissen schon, der Vater von Sophie. Ich möchte mich beschweren. Sophie ist rechtzeitig wie immer zu Bett gegangen, aber das Sandmännchen ist immer noch nicht gekommen.“
Sophies Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Die Gleichgültigkeit in ihren Zügen war wachsendem Interesse gewichen.
„Hallo, Fräulein, was sagen Sie? Ich verstehe Sie so schwer. Wie? Glatteis? Verkehrsunfall, winterliche Fahrbedingungen? Es wird ihm doch nichts passiert sein? Nein! Na, Gottseidank! Sophie, das Sandmännchen hat einen Unfall mit dem Auto gehabt, aber es ist ihm nichts passiert. Es wird sich heute nur etwas verspäten… Was sagen Sie Fräulein, Sie müssen das Sandmännchen erst anfunken? Aha, ja, wir haben etwas Geduld. Aber Fräulein, das Sandmännchen soll dann als erstes gleich zu Sophie kommen, ja? Verstehen Sie, Sophie ist nämlich erst 4 Jahre alt. Sie benötigt ihren Schlaf! Ja, gut. Danke, Fräulein und schöne Grüße an das Sandmännchen. Auf Wiedersehen!“.
Sophie wirkte tatsächlich erstaunt. Ihre großen, braunen Augen blickten mich fragend an.
„Ja“, sagte ich, setzte mich zu ihr und nahm sie in den Arm, „weißt du, Sophie, so etwas kann schon vorkommen. Habe ich dir zum Beispiel schon die Geschichte erzählt, als der amerikanische Weihnachtsmann an einem
24. Dezember abends einen Verkehrsunfall hatte? Er war mitten in Manhattan Ecke 45 Straße 3rd Avenue mit einem Taxi zusammengestoßen. Rudolph, eines seiner Rentiere hatte sich dabei den Hinterlauf verletzt und so konnte Santa Claus die Geschenke erst am 26. Dezember austragen, die amerikanischen Kinder waren - wie du dir sicher vorstellen kannst - sehr enttäuscht! Soll ich dir erzählen, wie sich das genau zugetragen hat?"
„Ach, nein", sagte Sophie etwas gelangweilt, "Ich bin müde und gehe schlafen!"
„Ja, willst du denn gar nicht aufs Sandmännchen warten?" meine ich.
„Schau Papa, ich kann doch meine Augen kaum mehr offen halten. Sag bitte dem Sandmännchen wenn es kommt, dass ich müde war und dass ich schon eingeschlafen bin, ja? Und ich wünsche ihm eine baldige Besserung..." meinte Sophie noch gähnend, „und es soll aufpassen auf dem Nach-Hause-Weg! Gute Nacht!" Und dann trampelte sie hinaus in ihr Zimmer.
Ich war etwas enttäuscht. War meine Geschichte vom Weihnachtsmann wirklich so fad gewesen? Ich schlich ihr nach ins Zimmer um nachzusehen, was sie trieb und konnte es kaum glauben: Sie war ins Bett gefallen und auf der Stelle eingeschlafen. Auch Sophies Schwester Anna schlief schon längst selig in ihrem Bettchen.
Nun, ich ging auch zu Bett. Was konnte man denn schon mit einem solchen Abend anfangen, an dem man nicht einmal seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen konnte: Dem Gute Nacht-Geschichten-erzählen…?
Mamas Gute Nacht-Geschichte
"Nein!", sage ich, "heute erzähle ich keine Gute Nacht-Geschichte! Erstens bin ich müde, zweitens erzähle ich euch jeden Abend eine Gute Nacht-Geschichte, und drittens fällt mir nichts mehr ein. Heute ist einmal Mama dran...!"
„Mama?“, fragten die Kinder entgeistert. „Kann Mama denn auch Gute Nacht Geschichten erzählen?"
„Ja, natürlich", sage ich und blicke hinüber zu meiner wundervollen Frau Sissy, „Mama ist sogar die zweitbeste Geschichtenerzählerin auf der ganzen Welt, gleich nach eurem Papa, ... äh, glaube ich wenigstens..."
„Schon gut", meint Sissy, „heute bringe ich die Kinder ins Bett." Und wirklich: Sophie in ihrem Rosa-Pünktchen-Pyjama und Anna in ihrem Grünem-Streifen-Nachthemd trappelten Mama nach ins Kinderzimmer.
Na so etwas! Das hätte ich nicht gedacht. Mama kann tatsächlich Gute Nacht-Geschichten erzählen? Auf einmal war ich überhaupt nicht mehr müde. Ach, wie gerne wäre ich jetzt ein Mäuschen gewesen, wie gerne hätte ich jetzt eine Unsichtbarkeitspille geschluckt und wäre - ohne, dass die Kinder und Sissy es gemerkt hätten - ins Zimmer geschlichen und hätte zugehört.
Ja und was, - fiel mir plötzlich ein - wenn Sissy wirklich schöne Gute Nacht-Geschichten erzählen konnte, schönere als ich? Vielleicht war sie gar nicht die zweitbeste Gute Nacht-Geschichten-Erzählerin der Welt, sondern die beste? Jetzt hielt ich es nicht mehr aus. Ich schlich ganz leise hinüber ins Kinderzimmer.
„Pst!", hörte ich meine Tochter Anna sagen, „weck die Mama nicht auf!" Und wirklich: Sissy lag in Sophies Bett, daneben saß Sophie und grinste mich an. „Weißt Du, Papa", sagte Anna, „Mama ist wirklich die zweitbeste Gute Nacht-Geschichten-Erzählerin der Welt. Ihre Geschichten sind sogar so toll, dass sie,