Andy schien wenig begeistert.
»Also, eine Katze darfst du gerne haben. Aber keinen Hund.«
»Wieso denn nicht?«
»Es ist doch den ganzen Tag niemand zu Hause, um sich um den Hund zu kümmern. Das wäre Tierquälerei. Eine Katze ist da viel unabhängiger.«
»Ja, stimmt ... viele Katzen haben sie auch im Tierheim … aber du willst unbedingt, dass ich konvertiere ... ich weiß nicht ...«
»Du hast doch jetzt Freundinnen gefunden. Seit Anja weggezogen ist, war da niemand mehr. Du hast dich oft beschwert, dass du in deiner Klasse angefeindet wirst.«
»Das werden die meisten deutschen Kinder. Wir sind ja nur drei in unserer Klasse. Hendrik, Marie und ich.«
»Ja, weil ihr Ungläubige seid! Man darf sich mit Ungläubigen nicht anfreunden. Auch das steht im Koran.«
»Wieso sind die meisten auf einmal nett zu mir? Die Jungs, die mich sonst immer Schlampe genannt und geschubst haben, haben mich heute auch vollkommen in Ruhe gelassen!«
»Metin muss seinen Freunden und Geschwistern von dir erzählt haben. Dieser Bezirk gehört nun einmal uns, Metin und unserer Gruppe. Metins Familie wird dafür respektiert und ist hoch angesehen, weil sie dem Koran so folgt, wie es sein sollte. Siehst du, wenn du konvertierst und auch zu unserer Gruppe gehörst, dann kannst du endlich ohne Bauchschmerzen zur Schule gehen.« Er strich Steffi über den Kopf.
»Ich weiß nicht ...«
»Lies weiter im Koran. Wenn du Fragen hast, kannst du zu mir kommen. Nur besser nicht, wenn ich gerade bete.«
»Wieso ist denn das Gebet umsonst, wenn eine Frau reinkommt?«
»So ist es eben überliefert. Wenn eine Frau, ein Esel oder ein schwarzer Hund vorbeigeht, dann muss man wieder von vorne anfangen.«
»Das ist doch Blöds... oh«, brach Steffi ab, als sie das Gesicht ihres Bruders sah. Schnell stand sie auf und ging zur Tür.
»Ach, Andy?«
»Ja?«
»Wieso ein schwarzer Hund? Was ist mit einem weißen?«
»Nur bei schwarzen Hunden. Der Prophet sagte, dass ein schwarzer Hund ein Satan ist.« Andy blickte seiner Schwester in die Augen. Er sah, dass sie wütend wurde und wusste, dass er sie nun endgültig an die Ungläubigen verloren hatte. Sein Herz sank.
»Anja hatte einen schwarzen Labrador! Das war der liebste Hund der Welt! Weißt du nicht mehr? Der war zu jedem freundlich und hat nie jemandem etwas zuleide getan! Jetzt hat sie einen schwarzweißen Jack-Russel! Was ist mit dem? Der rennt schwanzwedelnd auf jeden zu. Ist das jetzt ein halber Satan oder was?«
»Steffi ...«
»Du kannst deinen Koran wiederhaben.« Steffi verließ das Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
Tagebuch
Aus Andreas Ganzigers Tagebuch
Es ist schwer, einzusehen, dass unser Leben hier im Westen eine große Lüge ist.
Für uns ist es selbstverständlich, dass Frauen Kinder von mehreren Männern haben, ohne verheiratet zu sein. Dass sie alleine leben und die Kinder oft sich selbst überlassen. Oder ihre Männer betrügen.
Meine eigene Mutter ist kein bisschen besser. Über Religion hat sie uns auch nie etwas beigebracht. Sie hätte doch ihre Nase mal in den Koran stecken können. Wieso hat sie uns nie die Gelegenheit gegeben, selbst zu herauszufinden, was richtig oder falsch ist? Selbst die Bibel hat sie uns nie lesen lassen. Auch wenn sie verfälscht ist und das Kommen unseres Propheten daraus entfernt wurde, hätten wir wenigstens etwas über Moral gelernt.
Aber wie hätte jemand wie sie uns etwas über Moral lehren können.
Als ich das erste Mal im Koran und den Hadithen gelesen habe, war ich entsetzt darüber, was ich schon alles falsch gemacht hatte im Leben. Ich trug Kleidung, die einem Gläubigen verboten ist. Meine Mutter hatte mir sogar Seidenhemden zu Weihnachten geschenkt. Männer dürfen keine Seide tragen!
Und immerzu dieses Schweinefleisch ... wieso ignorieren wir hier so hartnäckig den Koran und den Islam? Warum besteht unsere Gesellschaft darauf, Gott ständig zu beleidigen?
Das sind moderne Zeiten, sagte meine Mutter, Religion ist schön und gut, aber wir sind doch nicht mehr im Mittelalter.
Was hat es mit Mittelalter zu tun, wenn man sich an die Regeln unseres Schöpfers halten will? Da draußen fingern alle mit ihren Smartphones herum, machen was sie wollen und denken, Gott gibt es gar nicht. Oder wenn, dann versteht er das alles schon. Lug und Betrug sind zwar Sünden, aber Gott weiß, warum wir sündigen, und vergibt uns. Das versuchen uns die Massenmedien weiszumachen. Sie entfernen uns von Gottes Geboten und schläfern uns ein. Aber Gott ist real, seine Gebote sind real und das Höllenfeuer ist es auch ...
Susanne
Susanne, 31.10.
„Hey! Happy Halloween!“ Pino, in seinem Kostüm als Haifisch, riss schwungvoll die Tür auf. Sein breites Grinsen erstarb, als er Susannes Gesicht sah.
„Was ist los? Und wo ist Frankensteins Monster?“
„Der hat sich als echtes Monster entpuppt. Lass mich bitte rein. Mann, ich wünschte, ich könnte einen Schnaps trinken!“ Susanne schob Pino beiseite, denn der füllte in seinem Kostüm den ganzen Türrahmen aus. Sie zuckte heftig zusammen, als ein Skelett von der Decke herunterstürzte und direkt vor ihrem Gesicht hing.
„Sehr witzig! Wusstest du nicht, dass schwangere Frauen leicht in Ohnmacht fallen, wenn man sie erschreckt?“, schimpfte Susanne.
„Entschuldige. Habe ich im Fernsehen gesehen und fand die Idee ziemlich witzig. Was ist denn los mit dir?“ Ungeschickt tätschelte Pino Susannes Arm. Tränen stiegen ihr in die Augen.
„Wenn ich davon jetzt anfange, versaue ich euch die ganze Party.“
„Es ist sowieso noch keiner da. Nur Rudi, aber der probiert die Bowle in der Küche und treibt Svenja zur Verzweiflung. Was der da alles reinkippt … Wir werden noch vor zehn sturzbetrunken sein! Also, was ist? Habt ihr euch gestritten?“ Pino drängte Susanne ins Wohnzimmer, das düster verhängt und mit Skeletten, Spinnen und Fledermäusen dekoriert war.
„Du wirst es nicht glauben, aber dein bester Freund hat eine andere und will mich verlassen.“ Susanne sank auf die Couch. Es trötete. Pino lief puterrot an.
„Das Furzkissen war jetzt keine gute Idee, tut mir leid. Also … ich glaube, das musst du noch mal sagen, das kann ich nicht glauben! Oder … ach so, das ist ein Halloweenscherz! Puh! Fast wäre ich darauf reingefallen!“
„Das ist leider keiner, Pino.“ Susanne sah ihm direkt in die Augen, und Pino setzte sich erschüttert neben sie.
“Das kann doch nicht … ausgerechnet jetzt?“
„Toller Zeitpunkt, oder? Und wann sagt er mir das? Zehn Minuten, bevor wir losfahren wollten! Hätte er nicht wenigstens bis nach der Party warten können?“
„Das kann ja nicht wahr sein!“
„Pino … du bist sein bester Freund. Hat er dir irgendetwas gesagt davon?“
„Nein!“, wehrte Pino heftig ab. Susanne glaubte ihm.
„Komisch. Ich dachte, Männer reden über alles miteinander.“
„Ich dachte immer, Frauen tun das. Du kennst doch Mathias, der macht so vieles mit sich selbst aus …“
„Schon,