Die Wächter. Elisabeth Eder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisabeth Eder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847647171
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Seit Generationen leben wir hier. Nur die Ältesten konnten sich noch an die Zeit der Könige erinnern, aber letzte Woche ist der letzte auf Phyan geborene gestorben. Wir laden Euch natürlich gerne ein.“ „Das ist ein Missverständnis!“, rief Lya, weil die Dinge sich gerade zu ändern begannen und ihr das überhaupt nicht passte. Sie und Königin! Sie war eine einfache Dienstmagd aus Fuchsenstein, mehr nicht. Allerdings boten sie ihr einen Unterschlupf an. Und wer weiß, vielleicht war der Leopard, der ihr die Kette überreicht hatte, ein Hirngespinst gewesen. Vielleicht bedeuteten die Träume etwas. Lya musterte die Männer. Sollte sie ihnen vertrauen? Doch wieso sollte sie nicht? Sie hielten sie für eine Königin und einer Königin würde man nichts antun. „Also gut“, sagte Lya. „Gehen wir in dieses Dorf und ich höre mir an, was Ihr zu sagen habt.“ Die Männer nickten und verwandelten sich in riesenhaften Greife. Lya zuckte überrascht zusammen und betrachtete die schlanken, gewaltigen Tiere. Einer der Greife flog vor, die anderen warteten. Der Greif, in den sich Sylon verwandelt hatte, war größer als die restlichen Tiere. Er ging in die Knie und sah sie erwartend an. Lya kletterte auf seinen Rücken und hielt sich zögerlich am goldenen Nackenfell des Wesens fest, als Sylon sich erhob und kräftig mit den Flügeln schlug. Er sprang in den Himmel und Lya klammerte sich panisch an das Fell. Der Boden wurde immer kleiner, während sich Sylon in den Himmel schraubte. Die restlichen Greife umringten sie und boten ihr einen Anblick majestätischer Tiere, die durch die Lüfte glitten. Die Landschaft raste unter ihnen vorbei. Sie betrachtete die dichten Wälder und die gewaltigen Zacken der Berge. Kalte Höhenluft peitschte ihr entgegen. Alles wirkte kleiner und dennoch hatte man einen großen Überblick. Sie flogen an Wäldern, Wiesen, gigantischen Felswänden, Flüssen und Tälern vorbei. Schließlich kamen sie in eine enge Schlucht. Die Greife glitten im scharfen Sturzflug hinab. Der Wind pfiff um Lyas Ohren. Sie streckte vorsichtig eine Hand aus und streifte mit ihren Fingerkuppen einen kleinen Ast, der tapfer auf den kalten Felsen wuchs und sogar einige grüne Blätter hervorgebracht hatte. In einem kleinen, länglichen Tal mit durchrauschendem Fluss, das sich hinter der langen Schlucht befand, standen viele kleine Häuschen, die aus Steinen aufgeschichtet und mit Strohdächern bedeckt waren. Dichter Rauch waberte darüber. Frauen, Männer und Kinder standen davor und starten hinauf. Mit dem ohrenbetäubenden Kreischen eines Adlers landete Sylon und Lya sprang auf den Erdboden, der mit Steinen gesprenkelt war. Totenstille hatte sich über die Menge gesenkt. Unsicher blickte sie sich um. Ein Kind lief vor und starrte sie mit großen, bewundernden Augen an. Die Menschen kamen langsam näher; ihnen war, als befänden sie sich in einen wunderbaren Traum. Und plötzlich fingen sie an zu Klatschen. Die Männer stießen ihre Fäuste in die Luft oder hoben ihre Kinder auf die Schultern, damit sie besser sehen konnten. Die Frauen klatschten und lächelten selig. Überall drangen Jubelrufe aus der Menge, einige Kinder johlten und schrien. Sylon schob sie vor und Lya fand sich zwischen freudenstrahlenden Gesichtern wider. Ihre Hände wurden geschüttelt, hie und da gab es eine herzliche Umarmung und ein paar alte Frauen weinten gerührt. Sylon selbst lächelte wie ein Kind, das sich über ein besonderes Geschenk freut und legte Lya eine Hand auf die Schulter, um die neue, verwirrte Königin zwischen den Jubelnden durch die Straßen zu ihrem Wohnhaus zu führen, während der Zug der Menschen sie feiernd begleitete.

       9 Erwachen

      Hitze brannte wie Feuer in Kais Wangen, in seinem Nacken, an seiner Stirn. Helles Licht blendete ihn.

       Wo war er?

       Er hatte den Jamky überquert, war bis zum letzten Ausläufer des großen Flusses geritten, hatte in einem Dorf Essen und einen Trinkschlauch gekauft und war in die heißen Steppenländer geritten. Danach konnte er sich an nichts mehr erinnern.

       Stöhnend öffnete er die Augen.

       Er lag in einem hellen Zelt. Eine Feuerstelle befand in der Mitte, darum lagen vier Schlafmatten aus Stroh. Waffen lehnten aufrecht in einer Ecke und einige Körbe voller Brot, Fleisch und Obst standen daneben.

       Alles in ihm brannte. Er drehte sich um und fand eine kleine Tonschale neben sich, in der eine klare Flüssigkeit schwappte. Gierig griff er danach und schüttete das Wasser in sich hinein.

       „Du bist zu dir gekommen.“

       Kai fuhr zusammen. Ruckartig setzte er sich auf. Ein braunblonder Junge mit einer langen, schwarzen Tunika und Langbogen war hereingekommen. Ihm folgte ein Zweiter, der ihm bis auf eine Narbe am Kinn wie ein Spiegelbild glich.

       Sie legten ihre Köcher mit den Pfeilen und die Langbögen ab, dann schlüpften sie aus den Tuniken, unter der sie helle, ockerfarbene Hosen und gelbe Hemden trugen.

       Kai blickte sich nach seinen Waffen um. Sie lagen geordnet neben ihm, ebenso seine Stiefel, das Kettenhemd, die Schulterpanzer und der Rest der Soldatenausrüstung.

       „Wer seid ihr?“, fragte er schließlich.

       „Die Frage ist wohl eher, wer du bist. Ein geflohener Soldat?“, fragte der Zwilling mit der Narbe und lächelte. „Ein Dieb, der einem Soldaten die Kleider weggenommen hat?“

       „Ich – ich bin auf der Flucht“, sagte Kai rasch. „Mein Name ist Kai und ich will in die südlichen Dörfer. Ich komme von Jamka und … wie bin ich hierhergekommen?“

       „Du bist zusammengebrochen. Wir haben dich bei der Jagd gefunden. Wahrscheinlich hat dich die Sonne zu sehr erwischt, aber ohne dein Pferd hätten wir dich nie gefunden“, lachte der Narbenzwilling. „Ich bin übrigens Jain. Das ist Theo, mein Bruder.“

       Kai befühlte seine brennende Stirn und zog die Hand rasch zurück. „Danke.“

       „Keine Ursache. Allerdings müssen wir dich warnen. Vater ist -!“

       In dem Moment trat ein stämmiger, großer Mann mit blonden Locken herein. Er trug keine schwarze Tunika, sondern edles Gewand, das mit goldenen Löwen bestickt war. Sobald er Kai sah, zog er die Brauen zusammen und fragte: „Bist du ein treuer Diener Zoltans, Soldat?!“

       Er schüttelte den Kopf. „Ich bin ein Reisender auf der Flucht. Die Rüstung ist gestohlen. Ich war nie ein Anhänger Zoltans und habe nicht vor, einer zu werden.“

       Der Vater der Zwillinge nickte, noch immer misstrauisch.

       Eine hübsche Frau mit hellbraunem Haar trat ins Zelt. Sie trug ein einfaches Kleid und hatte eine Kette mit Holzperlen um ihren Hals gehängt. Ihr Blick wanderte zu den verunsicherten Zwillingen, zu ihrem misstrauischen Gatten und zu dem fiebrigen Jungen: „Halwadar, lass ihn sich ausruhen.“

       „Ich habe nichts mit dem König zu tun!“, sagte Kai noch einmal, weil er Angst hatte, seine Wohltäter könnten ihn gleich wieder hinauswerfen. Der Riese stand mit verschränkten Armen da und starrte zu dem Sitzenden hinab, der sich zunehmend nervöser fühlte.

       „Da bin ich mir sicher“, lächelte die Frau und warf dem Häuptling einen strengen Blick zu. „Leg dich wieder nieder und ruh‘ dich aus.“

       „Exoton hat uns vor diesen Leuten gewarnt. Es könnten Spione sein und vor Lügen machen sie keinen Halt!“, sagte Halwadar und Besorgnis lag in seiner Stimme.

       Kai horchte auf. „Exoton? Ich kenne ihn.“

       „Sprich weiter“, forderte ihn der Häuptling auf.

       Der Dieb beschloss, mit der ganzen Wahrheit herauszurücken – immerhin konnte Exoton in den nächsten Tagen bei seinen alten Freunden auftauchen. Und herausfinden, dass er nicht zum Elfenkönig gegangen war … Schlechtes Gewissen bildete sich in seiner Magengegend.

       „Er war mit ein paar anderen in der Stadt. Wir haben gemeinsam ein Buch aus der Bibliothek von Phyan gestohlen. Danach gab es allerdings Kämpfe und ich wurde von den Soldaten aus der Stadt vertrieben“, erklärte er.

       Halwadar musterte ihn: „Das heißt du bist der Anführer einer kleinen Diebesbande gewesen.“

       „Ich will nur zu den Fischerdörfern“ Kai senkte müde den Blick. Innerlich verfluchte er sich dafür, gleich alles preisgegeben zu haben. Das war sonst auch nicht seine Art.

       Halwadar schwieg lange, dann überwand er sich. Immerhin hatte Exoton mit dem Jungen zusammengearbeitet. „Du darfst bleiben, bis du wieder vollständig ausgeruht bist.“