„Die TREMOLINO kriegen sie nie zu fassen“, sagte ich frohlockend.
Dominic sah mich nicht an. Er bemerkte zerstreut, aber zutreffend, das schwere Wetter käme unseren Verfolgern zugute. Ihr Schiff wäre dreimal so groß wie unseres. Wir müssten den Abstand bis zur Dunkelheit halten, was uns leicht möglich wäre, und dann den Kurs nach See hinaus ändern und die Lage betrachten. Aber seine Gedanken schienen in der Dunkelheit eines ungelösten Rätsels zu tappen, und bald schwieg er wieder. Wir liefen mit unseren entgegengesetzt ausgebaumten schrägen Rahen gleichmäßig vor dem Winde her. Kap San Sebastian lag rechts voraus, es schien vor uns in den Regenböen zurückzuweichen und zwischen den Schauern jedes Mal deutlicher wieder herauszukommen, um unserem Ansturm zu begegnen.
Ich für mein Teil war keineswegs gewiss, dass dieser „gabelou“ (wie unsere Leute den Guardacosta schimpflich nannten) unbedingt hinter uns her wäre. Verschiedene nautische Schwierigkeiten sprachen so sehr dagegen, dass ich die zuversichtliche Meinung ausdrückte, er wechsele in aller Harmlosigkeit nur einfach seinen Standort. Daraufhin ließ Dominic sich herbei, den Kopf zu wenden.
„Ich sage Ihnen, er ist auf Verfolgung“, versicherte er mürrisch nach einem kurzen Blick achteraus.
Ich zweifelte seine Meinung niemals an. Aber zu dieser Zeit war ich mit allem Eifer eines Neulings und dem Stolz eines gelehrigen Schülers ein großer nautischer Kasuist.
„Ich kann nur nicht verstehen“, beharrte ich spitzfindig, „wie in aller Welt er es bei diesem Wind fertiggebracht hat, gerade da zu sein, wo er war, als wir ihn zuerst ausmachten. Es ist klar, dass er in der Nacht keine zwölf Meilen gegen uns aufgeholt hat – das kann er nicht. Und da sind noch andere Unmöglichkeiten...“
Dominic hatte reglos wie ein unbelebter schwarzer Kegel dagesessen, den man auf das Achterdeck neben den Ruderkopf gestellt hatte und auf dessen Spitze eine kleine Troddel flatterte. Eine Zeitlang verharrte er in der Unbeweglichkeit seines Nachdenkens. Dann beugte er sich mit einem kurzen Auflachen vor und teilte mir die bittere Frucht seines Nachdenkens mit. Ihm war nun alles klar. Der Guardacosta war da, wo wir ihn zuerst sahen, nicht etwa, weil er uns eingeholt hatte, sondern weil wir in der Nacht an ihm vorbeigelaufen waren, als er, höchstwahrscheinlich beigedreht, schon genau auf unserem Kurs wartete.
„Schon – verstehen Sie?“ murmelte Dominic grimmig. „Schon! Wir sind gute acht Stunden eher als erwartet ausgelaufen, sonst würde er zur rechten Zeit hinter dem Kap auf Lauer gelegen und – „er schnappte dicht vor meinem Gesicht mit den Zähnen wie ein Wolf zu, „und uns so – geschnappt haben.“
Jetzt stellte sich mir das Ganze deutlich genug dar. Die Zollleute auf diesem Fahrzeug da hatten Augen im Kopf und alle Sinne beisammen. Wir waren in der Dunkelheit an ihnen vorbeigelaufen, während sie langsam auf ihren Hinterhalt zutrieben und uns noch weit achteraus dachten. Als sie jedoch bei Tageslicht voraus eine Balancelle unter vollen Segeln sichteten, setzten sie Vollzeug zur Jagd. Aber wenn das so war, dann – Dominic ergriff meinen Arm.
„Ja, ja! Sie sind mit einer genauen Nachricht ausgelaufen – verstehen Sie das? – mit genauer Nachricht ... Wir sind verkauft worden – betrogen. Warum? Wie? Wofür? Wir haben die Leute an Land immer so gut bezahlt ... Nein! Aber mir zerspringt bald der Schädel.“
Er schien zu ersticken, zerrte am Halsverschluss seines Umhangs, sprang mit aufgerissenem Munde auf, als wollte er Flüche und Verdächtigungen herausheulen, beherrschte sich aber sofort, raffte den Mantel enger und setzte sich so ruhig wie nur je wieder auf das Deck.
„Ja, es muss das Werk eines Lumpen an Land sein“, sagte ich.
Er zog den Kapuzenrand tief über die Augen, ehe er murmelte: „Ein Lump ... Ja ... Das ist klar.“
„Na schön“, sagte ich, „sie kriegen uns nicht, das ist auch klar.“
Wir gingen sehr dicht an das Kap heran, um einer gegenan laufenden Strömung auszuweichen. Auf der anderen Seite gerieten wir durch die Leewirkung des Landes für einen Augenblick in eine derartige Flaute, dass die beiden großen, hohen Segel der TREMOLINO beim donnernden Aufruhr der Seen, die gegen das achteraus liegende Land anbrandeten, träge an die Masten schlugen. Und als eine neue Bö sie wieder füllte, sahen wir mit Schrecken das neue Großsegel, unter dem wir bis zum Kurswechsel in der folgenden Nacht liegenbleiben wollten, zur Hälfte glatt aus den Lieken fliegen. Wir fierten die Rah sofort herunter und bargen es, aber es war kein Segel mehr, sondern nur noch ein Haufen nasser Tuchstreifen, der das Deck versperrte und das Schiff belastete. Dominic gab Befehl, den ganzen Kram über Bord zu werfen.
„Ich hätte auch die Rah über Bord werfen lassen“, sagte er, als wir wieder nach achtern gingen, „wenn dadurch keine Unruhe aufgekommen wäre. Lassen Sie sich nichts anmerken“, fuhr er mit leiserer Stimme fort, „aber ich muss Ihnen etwas Furchtbares erzählen. Hören Sie zu: Ich habe bemerkt, dass die Garnstiche am Liek des Segels eingeschnitten waren. Hören Sie? An vielen Stellen mit einem Messer zerschnitten. Und doch hat es die ganze Zeit gehalten. Nicht genug zerschnitten. Dieses Schlagen und Prallkommen vorhin hat ihm den Rest gegeben. Was liegt schon daran? Aber sehen Sie – hier auf diesem Deck ist Verrat am Werk. Bei den Hörnern des Teufels! ist hinter unserem Rücken am Werk. Drehen Sie sich nicht um, Signorino.“
Wir standen mit dem Gesicht zum Heck.
„Was sollen wir tun?“ fragte ich entsetzt. „Nichts. Schweigen! Seien Sie ein Mann, Signorino.“
„Was sonst?“ sagte ich.
Um ihm zu zeigen, dass ich ein Mann sein konnte, beschloss ich, keinen Ton zu sagen, solange Dominic selbst die Kraft hatte, seine Lippen geschlossen zu halten. Für manche Lagen schickt sich nur Schweigen. Überdies schien die Gewissheit des Verrats eine hoffnungslose Müdigkeit über meine Gedanken und Sinne zu breiten. Eine Stunde oder länger sahen wir zu, wie unser Verfolger aus den Böen heraus, die ihn manchmal vollkommen verschluckten, näher und näher heranstampfte. Aber selbst wenn wir das Schiff nicht sahen, fühlten wir es wie ein Messer an der Kehle. Es holte zusehends auf. Und die TREMOLINO schwebte in viel glatterem Wasser unter ihrem einen Segel leicht vor dem heftigen Winde dahin; in der jubelnden Freiheit ihrer Bewegungen lag eine ergreifende Sorglosigkeit. Eine weitere halbe Stunde verging. Ich hielt es nicht mehr aus.
„Sie werden unser armes Schiff fangen“, stammelte ich plötzlich, den Tränen nahe.
Dominic rührte sich so wenig, als wäre er aus Holz geschnitzt. Ein Gefühl grauenhafter Einsamkeit befiel meine unerfahrene Seele. Das Bild meiner Gefährten stieg vor mir auf. Die ganze Royalistengesellschaft war jetzt wohl in Monte Carlo. Und sie erschienen mir mit gezierten Stimmen und steifen Bewegungen klar und deutlich und sehr klein wie eine Prozession starrer Marionetten auf einer Puppenbühne. Ich schrak auf. Was war das? Aus dem Inneren der reglosen schwarzen Kapuze neben mir stieg ein geheimnisvolles, unbarmherziges Flüstern.
„Il faut la tuer.“
Ich hörte es genau.
„Was sagen Sie, Dominic?“ fragte ich, wobei sich nur meine Lippen bewegten.
Und das Flüstern im Innern der Kapuze wiederholte geheimnisvoll: „Sie muss sterben.“
Mein Herz begann heftig zu klopfen.
„Ja“, sagte ich mit ersterbender Stimme. „Aber wie?“
„Sie lieben sie sehr?“
„Ja.“
„Dann müssen Sie auch den Mut dazu aufbringen. Sie steuern, und ich sorge dafür, dass sie schnell stirbt und dass kein Splitter von ihr übrigbleibt.“
„Können Sie das?“ murmelte ich und war ganz gebannt von der schwarzen Kapuze, die sich so reglos über das Heck neigte, als stünde sie in unerlaubter Verbindung mit diesem alten Meer der Sänger,