»Und wie ist es dir dann gelungen, über eine Woche ohne Wasser und Speise auszukommen?«, wollte Razvan wissen.
»Du selbst behauptest doch, ich sei eine Hexe. Vielleicht kann ich meine Lebensfunktionen auf das Geringste zurücksetzen.«
»Du meinst, wie ein indischer Yogi? Wohl kaum. Und wie konntest du dich aus dem Sarg befreien, nur mit den Händen? Ich denke eher, du hast dem Teufel den Arsch geküsst oder ihm deine Seele verkauft. Meinst du, ich habe nicht gemerkt, wie du dich des Nachts oft davongeschlichen hast?«
»Indem ich den Totengräber dazu brachte, die Grube wieder auszuheben und den Deckel zu öffnen, zum Beispiel«, ließ sich Dakaria nicht beirren.
»Und zum Dank liegt er jetzt statt deiner da unten, ja?« Razvans Augen sprühten Blitze vor Zorn. »Hast du ihn umgebracht?«
»Es gibt schwarze und weiße Hexen, lieber tata. Ich bin eine weiße. Ein kleiner Liebeszauber genügte, um ihn gefügig zu machen.«
»Dann geh doch zu ihm. Vielleicht lässt er dich bei ihm wohnen. Hier kannst du jedenfalls nicht bleiben. Ruh dich noch etwas auf dem Strohsack aus, aber bevor es hell wird, machst du dich auf den Weg!«
»Razvan, bitte, lass sie noch ein paar Tage hier, bis die Leute aus dem Schloss kommen. Wir machen sie hübsch zurecht und übergeben sie dann«, flehte Mioara.
»Wenn du es nicht anders willst. Aber sollte nur einer von uns krank werden … Ich habe keine Hemmungen, einen Pfahl anzuspitzen …«
Die Burg Poenari – Cetatea Poenari oder Cetatea Poienari lag in achthundertfünfundfünfzig Metern Höhe am Südhang des Fagaras-Massivs. Als Erbauer galt Fürst Rudolf Bessaraba der Schwarze – Radu Negru Vodă, der legendäre Gründer der Walachei. Im 14. Jahrhundert noch die wichtigste Festung der Bessarabiden, wechselten in den Folgejahrzehnten Name und Bewohner mehrmals, bis die Burg verlassen wurde und allmählich verfiel.
Der wohl berühmteste Besitzer war im 15. Jahrhundert Vlad III. Drăculea, der Bram Stoker als Vorlage der Romanfigur Dracula dienen sollte. Es ist stark zu bezweifeln, dass Vlad Drăculea ein Vampir war, doch er war schon zu seiner Zeit berühmt berüchtigt für seine Grausamkeit. So ließ er angeblich Gesandten die Hüte am Kopf festnageln, Tausende pfählen und Zigeuner gegen ihren Willen in den Kriegs ziehen, indem er sie wählen ließ, ob sie gegen die Türken kämpfen oder ihre Kinder verspeisen wollten. Er soll das Blut seiner Opfer getrunken und die Armen verbrannt haben, um auf diese Weise die Armut zu „beseitigen“.
Eine alte rumänische Geschichte beschreibt, dass Vlad einst eine goldene Schale auf dem Marktplatz von Târgovişte platziert hatte. Diese Schale durfte von jedem zum Stillen des Durstes benutzt werden, musste aber auf dem Marktplatz verbleiben. Am nächsten Tag soll er zurückgekehrt sein, um diese wieder aufzulesen. Niemand hatte es gewagt, die Schale zu berühren, die Furcht vor lebensbedrohender Bestrafung war zu groß.
Diese vergleichsweise harmlose Geschichte stand im Gegensatz zu deutschen Erzählungen. Demnach richtete sich Vlads Zorn auch auf Verstöße gegen die weibliche Sittsamkeit. Unverheiratete Mädchen, die ihre Jungfräulichkeit verloren; Ehebruch begehende Ehefrauen, sowie unkeusche Witwen wurden allesamt Ziel von Vlads Grausamkeiten. Frauen mit derartigen Verfehlungen wurden oft die Geschlechtsorgane entfernt oder die Brüste abgeschnitten. Auch wurden sie mit glühenden Pfählen durch die Vagina gepfählt, bis der Pfahl zum Munde der Opfer heraustrat. Vlad bestand ebenso auf Ehrlichkeit und den Fleiß seiner Untertanen. Kaufleute, die ihre Kunden betrogen, fanden sich schnell neben gemeinen Dieben am Pfahl wieder. Vlad sah die Armen, Kranken und Bettler als Diebe. Eine Geschichte erzählt von seiner Einladung an Kranke und Arme zu einem Festmahl, währenddessen das beherbergende Gebäude geschlossen und angezündet wurde.
Die strategische Bedeutung der Burg Poenari erkennend, ließ er sie durch Zwangsarbeiter instand setzen und verstärken. Der Chronik nach mussten die Bojaren so hart arbeiten, dass ihre Kleider in Fetzen an ihnen hingen, wenn sie nicht gar vor Erschöpfung starben.
Der lang gestreckte Bau von vierundvierzig Metern Länge und nur elf Metern Breite wies bis zu drei Meter dicke und über fünfzehn Meter hohe Mauern auf. Zu den älteren an der Nordseite aus Flussstein kamen an der Südseite Ziegelsteinaufbauten auf Flusssteinfundamenten hinzu, die direkt in die steil ins Tal abfallende Felsformation übergingen. Ihre geschützte Lage machte sie fast uneinnehmbar. Die Türme hatten einen Zinnenkranz mit Verteidigungsplattform und Spitzhelmen, die Mauern Wehrgänge. Fünf Wehrtürme, je zwei runde an Süd- und Nordseite sowie ein massiver, mit Stützpfeilern verstärkter prismatischer Wohnturm, der noch aus dem 13. Jahrhundert und gleichzeitig als Bergfried und Torturm den einzigen Zugang an der westlichen Mauerseite bewachte, komplettierten die Wehranlage. Der Wohnturm bildete den Burgkern. Die luxuriöse Einrichtung wies Sechskantziegel und glasierte Kacheln auf. Das Kellergeschoss im Felsen war Verlies und Aufbewahrungsort des Landesschatzes, das Erdgeschoss diente der Wachmannschaft, die oberen vier Stockwerke beherbergten Wohnräume für Burggraf und Burgvogt. Im Innenhof stand die Burgzisterne.
Nach der Flucht von Vlad III. blieb die Burg bis 1529 Stützpunkt der walachischen und transsilvanischen Fürsten. Burggraf Neagu verließ 1552 Burg Poenari, die danach zum zweiten Mal aufgegeben werden sollte. Burggraf Dragomir Vacar, der Mitte des 17. Jahrhunderts dort mit Frau Luena und Gefolge einzog, störte sich nicht an dem Umstand, dass die Burg mehr und mehr verfiel. Denn er hielt sich ohnehin die meiste Zeit in einem der Türme auf, um dort seine alchimistischen Studien zu betreiben. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, es Paracelsus gleichzutun, indem er die Alchemie als Grundlage zur Herstellung möglichst reiner Heilmittel für die Medizin nutzen wollte.
Paracelsus unternahm den Versuch, einen genauen Zusammenhang zwischen einem Medikament und der Krankheit, die damit behandelt wurde, herzustellen. Dazu formulierte er seine Lehre vom Mikrokosmos Mensch und dem Makrokosmos Umwelt. Beides bestehe aus den gleichen Substanzen und deshalb entstünde die Krankheit, wenn das „äußere“ Mineral seinen Zwilling im Körper entzünde und so die Krankheit zum Ausbruch bringe, war er überzeugt. Die Behandlung bestand darin, aus dem verursachenden Mineral ein Heilmittel herzustellen und es dem Patienten zu verabreichen. Die Herstellung dieser reinen Heilmittel sollte vor allem durch „Sublimation“ und „Destillation“ von unreinen „Schlacken“ befreiter Wirkstoffe erfolgen.
Burggräfin Luena, eine herbe Schönheit mit bläulich schimmernden, schwarzen Haaren, belächelte die Machenschaften ihres Mannes. Doch gnädiger Weise ließ sie ihn seine Tinkturen und Salben an ihren Opfern ausprobieren. Denn es kam immer wieder vor, dass sie bei Bestrafungen über die Stränge schlug. Sie duldete nicht den geringsten Widerspruch und ahndete Fehler mit unbotmäßiger Härte.
Für sie waren Dienstboten Ungeziefer oder allenfalls Schlachtvieh ohne Lebensberechtigung. Diese Ansicht ging auf ihre Erziehung zurück. Denn bereits ihre Eltern hatten keine Gnade bei Untergebenen gekannt und waren nicht davor zurückgescheut, diese zu töten.
Der unaufhaltsam in ihr auflodernde Wahnsinn ließ sie sich immer qualvollere Methoden ausdenken. Dazu gehörten das Verbrennen mit glühenden Gegenständen oder die Mädchen in die eiserne Jungfrau zu stellen und langsam die Tür zu schließen. Mitunter zwang sie auch ihre Opfer das eigene, gebratene Fleisch zu essen.
Kein Wunder, dass bei diesen Methoden der Bedarf an Nachschub enorm anstieg, denn viele ihrer Opfer überlebten die Torturen nicht. Die Leichen, die sie anfangs unter den Betten mit ungelöschtem Kalk bedeckt hatte, ließ sie in späteren Zeiten einfach in den Abgrund werfen, wo sie den Wölfen als Fraß dienten.
Die grausame und zweifellos geistesgestörte Frau war sehr eitel und sorgte sich wie die Königin im Märchen Schneewittchen um ihre Schönheit und peinigte sich insgeheim mit der Angst vor dem Alter. Deshalb mussten ihre treueste Dienerinnen täglich nach Mitteln der ewigen Jungend suchen.
Da kam ihr der Zufall zu Hilfe: Eine Zofe stellte sich ungeschickt beim Frisieren an und zog etwas zu kräftig an Luenas Haaren.
»Au, kann sie nicht aufpassen, das Bauerntrampel?« »Verzeiht, Herrin. Es soll nicht wieder vorkommen.«
»Ich werde sie lehren …«
Außer