Die Nachbarn hatten sich längst an dieses Schreiritual gewöhnt, registrierten es müde, mitleidig achselzuckend. Das Hassritual endete in versöhnlicher Vereinigung mit der Klobürste. Marita Dobermann konnte jetzt wenige Stunden im Bett neben Besenbinder schlafen. Und fotografisch genau erinnert sie sich an den Morgen: Besenbinder schläft. Marita Dobermann springt aus dem Bett, brüht sich im mitgebrachten Kännchen auf der Kochplatte einen Espresso. Es ist sehr früh, sehr still. Da kein Vieh zu versorgen ist, vermutet sie, dass die Pächter noch schlafen.
Im Chateau jedoch öffnet sich ein Mansardenfenster und der Chevalier verfolgt das Tun der Hassenswerten mit seinem Feldstecher. Er beobachtet die rothaarige junge Frau im Bademantel, die mit dampfendem Morgentrank in einer Hand zu dem massiven mit Eisenspitzen gespickten Osttor geht, wohl um die morgendliche Freiheit hinter Eisentor und Steinmauern zu besichtigen. Mit einem Arm kann sie das schwere Tor kaum aufdrücken und späht durch den Spalt auf ein abgeerntetes Maisfeld: Eine wimmelnde Rattenarmee – eine schockierend unübersehbare Masse – alles scheint irgendwie chaotisch und doch wohlorganisiert – transportiert die von Erntemaschinen in reichem Maße vergessenen Maiskolben vom Feld in die Vorratslager des Winters.
Mit Hilfe des Fernstechers ist der Adelige in der Lage, den Abscheu in den Gesichtszügen der schönen, jungen Frau detailgenau zu studieren. Er weidet sich am Anblick der Verstörung – um wie nach einer gelungenen Inszenierung begeistert Beifall zu klatschen. Dann kräht der Alte die erste Zeile der Marseillaise, trompetet ein heiseres Lachen und kreischt: „Ich bin der hochwohlgeborene Chevalier de Plenoche. Der Wohlfahrtsausschuss will meinen Kopf auf der Guillotine sehen!“ Kichernd schließt er das Fenster. Marita Dobermann schaut entgeistert über das niedrige Dach des Pächterhäuschens hinweg zu dem polternden Alten im Mansardenfenster des Chateaus. Aber es ist zu weit entfernt. Sie kann die durch das Fernglas starrende Person dort oben im Schlossfenster nicht präzise erkennen, hört Wortfetzen, Klatschen, ein böses Lachen. In der akustischen Gemengelage meint sie den Beginn der Marseillaise zu identifizieren. Marita Dobermann stolpert, verteilt den restlichen Espresso über ihren Frotteemantel. Sie schleicht sich leise in das Landarbeiterhäuschen. Besenbinder schläft immer noch tief und fest, sein rasselndes Schnarchen hat sich in abstoßendes Zirpen verwandelt. Marita Dobermann entdeckt im Wandschrank ein Paket mit uraltem französischem Waschpulver. Sie greift sich die Plastikwanne, füllt das verblichene, beinahe steinharte Waschpulver herein. Da es kein fließendes Wasser im Haus gibt, trägt sie den Kunststoffbottich hinaus auf den Hof und lässt ihn aus dem dortigen Kran halb voll Wasser laufen. Währenddessen schaut sie zum Schloss, ob sich der Verrückte dort wieder zeigen würde. Aber es bleibt ruhig und die Mansardenfenster sind geschlossen. Der Plastikbottich ist jetzt schwer, und so zieht sie diesen mühevoll in den riesig leeren, ehemaligen Kuhstall – vorsichtig, dass die Lauge nicht überschwappt. Sie entkleidet sich. Sie setzt sich in das Laugenwasser. Der Bottich ist klein. Ihre Beine baumeln über den Rand. Die Füße erreichen fast den Kuhstallboden. Sie spreizt ihre Beine, sodass möglichst viel der eiskalten Seifenlauge in sie eindringen kann. Sie schließt die Augen, beißt die Zähne zusammen, spürt, wie diese bitterkalte wunderbare Drachenbluttaufe ihre Poren versiegelt, jegliches widerlich Eingedrungene beizt. Und wenn diese dumme Sache auch schon vor etlichen Stunden passiert war: dies hier würde alles ungeschehen machen. Alles auf Anfang! Ihr törichter Wunsch war ihr Gewissheit! Tatsächlich kleben Flocken des uralten Pulvers, im eiseskalten Wasser nicht gänzlich aufgelöst, wie borkig graue Lindenblätter auf ihrer Haut.
Doch auch in diesen Minuten tiefster Intimität in der weiten Tierhalle ist Marita Dobermann nicht alleine.
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