Winnetou Band 1. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Bookwire
Серия: Winnetou
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742772329
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verpflichtet zu sein. Daß unsere Arbeit unter diesen

       Verhältnissen litt, versteht sich ganz von selbst.

       Die übrige Gesellschaft ließ nicht weniger zu wünschen übrig. Wir hatten bei unserer Ankunft auf der

       Sektion zwölf auf uns wartende "Westmänner" angetroffen. Ich als Neuling hegte in der ersten Zeit ganz

       bedeutenden Respekt vor ihnen, erkannte aber nur zu bald, daß ich es mit Leuten von sehr niederem

       moralischem Range zu tun hatte.

       Sie sollten uns beschützen und bei unsern Arbeiten Hilfe leisten. Glücklicherweise kam volle drei Monate

       lang nichts vor, was mir Veranlassung gegeben hätte, mich in diesen sehr zweifelhaften Schutz zu

       begeben, und was ihre Hilfeleistungen betraf, so konnte ich mit vollem Rechte behaupten, daß hier die

       zwölf größten Faulenzer der Vereinigten Staaten sich ein Stelldichein gegeben hatten.

       Wie traurig mußte es unter solchen Umständen mit der Disziplin beschaffen sein!

       Bancroft war dem Namen und dem Auftrage nach der Kommandierende, und er gebärdete sich auch ganz

       so, es zu sein, doch kein Mensch gehorchte ihm. Wenn er einen Befehl erteilte, so lachte man ihn aus;

       dann fluchte er, wie ich selten einen Menschen habe fluchen hören, und ging zum Brandyfasse, um sich

       für diese Anstrengung zu belohnen. Riggs, Marcy und Wheeler handelten nicht viel anders. Da hätte nun

       wohl ich allen Grund gehabt, mich der Zügel zu bemächtigen, und ich tat dies auch, doch so, daß man es

       nicht bemerkte. So ein junger und unerfahrener Mensch konnte von solchen Leuten unmöglich für voll

       angesehen werden. Wäre ich so unklug gewesen, einmal im gebieterischen Tone zu sprechen, so hätte der

       Erfolg ganz gewiß in einem schallenden Gelächter bestanden. Nein, ich mußte leise und vorsichtig

       verfahren, ungefähr so wie eine kluge Frau, welche ihren widerhaarigen Mann zu lenken und zu leiten

       weiß, ohne daß er eine Ahnung davon hat. Ich wurde von diesen halbwilden, schwer zu zügelnden

       Westmännern täglich wohl zehnmal ein Greenhorn genannt, und doch richteten sie sich unbewußt nach

       mir, indem ich sie bei der Meinung ließ, daß sie ihrem eigenen Willen folgten.

       Hierbei hatte ich einen vorzüglichen Beistand an Sam Hawkens und seinen beiden Gefährten Dick Stone

       und Will Parker. Diese drei Männer waren durch und durch ehrlich und dabei, was ich dem kleinen Sam

       bei unserm ersten Zusammentreffen in St. Louis nicht hatte ansehen können, erfahrene, kluge und kühne

       Westläufer, deren Namen weithin einen guten Klang besaßen. Sie hielten sich meist zu mir und zogen

       sich von den Andern zurück, doch so, daß diese sich nicht etwa beleidigt fühlen konnten. Besonders

       verstand es Sam Hawkens trotz seiner komischen Eigentümlichkeiten, dem, was er wollte, bei der

       widerspenstigen Gesellschaft Achtung zu verschaffen, und so oft er in seiner halb strengen und halb

       drolligen Tonart etwas durchsetzte, so geschah dies stets, um mir zur Erringung dessen, was ich wollte,

       behilflich zu sein.

       Es hatte sich zwischen ihm und mir im Stillen ein Verhältnis herausgebildet, welches ich am besten mit

       dem Worte Suzeränität, Oberlehnsherrlichkeit, bezeichnen möchte. Er hatte mich unter seinen Schutz

       genommen, und zwar wie einen Menschen, den man gar nicht danach zu fragen braucht, ob er damit

       einverstanden ist. Ich war das Greenhorn und er der erfahrene Westmann, dessen Worte und Taten für

       mich unfehlbar zu sein hatten. Er gab mir, so oft sich Zeit und Gelegenheit bot, theoretischen und

       praktischen Unterricht in allem, was man im wilden Westen wissen und auch können muß, und wenn ich

       heut der Wahrheit nach sagen muß, daß ich später an Winnetous Seite die hohe Schule durchmachte, so

       muß ich billig eingestehen, daß Sam Hawkens mein Elementarlehrer gewesen ist. Er fertigte mir sogar

       höchst eigenhändig einen Lasso an und erlaubte mir, mich im Werfen dieser gefährlichen Waffe an seiner

       eignen kleinen Person und seinem Pferde zu üben. Als ich es dann so weit gebracht hatte, daß die

       Schlinge bei jedem Wurfe ihr Ziel unfehlbar faßte, freute er sich herzlich und rief aus:

       »Schön so, mein junger Sir; so ist's recht! Doch bildet Euch auf dieses Lob ja nicht etwas ein! Ein

       Schulmeister muß selbst den dümmsten Jungen zuweilen loben, wenn dieser nicht ganz und gar sitzen

       bleiben soll. Ich bin der Lehrer schon manches jungen Westmannes gewesen, und sie alle haben viel, viel

       leichter gelernt und mich viel rascher begriffen als Ihr, doch wenn Ihr Euch so weiter übt, so ist es

       vielleicht möglich, daß man Euch nach sechs oder acht Jahren nicht mehr ein Greenhorn zu nennen

       braucht. Bis dahin mögt Ihr Euch mit der alten Erfahrung trösten, daß ein Dummer es zuweilen ebenso

       weit oder wohl gar noch weiter bringt als ein Gescheiter, wenn ich mich nicht irre!«

       Er brachte dies scheinbar im größten Ernste vor, und ich nahm es mit demselben Ernste hin, wußte aber

       recht wohl, wie ganz anders er es meinte.

       Von diesen Unterweisungen waren mir besonders die praktischen willkommen, denn die Berufsarbeit

       nahm mich so in Anspruch, daß ich, wenn Sam Hawkens nicht gewesen wäre, mir wohl nicht die Zeit

       genommen hätte, mich in den Fertigkeiten zu üben, welche ein Prairiejäger besitzen muß. Übrigens

       hielten wir diese Übungen geheim; sie wurden stets in solcher Entfernung vom Lager vorgenommen, daß

       man uns nicht beobachten konnte. Sam wollte es so, und als ich ihn einmal nach dem Grunde fragte,

       antwortete er:

       »Geschieht Euch zuliebe, Sir. Ihr habt so wenig Geschick für solche Sachen, daß ich mich in Eure Seele

       hinein schämen müßte, wenn diese Kerls uns dabei sähen. So, nun wißt Ihr es, hihihihi. Nehmt es Euch zu

       Herzen!«

       Die Folge davon war, daß die ganze Gesellschaft mir in Beziehung auf Waffenführung und körperliche

       Geschicklichkeit nichts zutraute, was mich aber nicht im mindesten kränken konnte.

       Trotz aller vorhin erwähnten Hindernisse waren wir schließlich doch so weit gekommen, daß wir den

       Anschluß an die nächste Sektion nach Verlauf von vielleicht einer Woche erreichen konnten. Um dies

       dort zu melden, mußte ein Bote abgesandt werden. Bancroft erklärte, daß er diesen Ritt selbst machen und

       einen der Westmänner als Führer mitnehmen wolle. Diese Absendung einer Nachricht war nicht die erste,

       welche geschah, denn wir hatten sowohl mit der hinter als auch mit der vor uns liegenden Sektion in

       einem immerwährenden Botenverkehr stehen müssen. Infolge dessen wußte ich, daß der vor uns

       befehligende Ingenieur ein sehr tüchtiger Mann war.

       Es war an einem Sonntage früh, als Bancroft aufbrechen wollte. Er hielt es für nötig, vorher einen

       Abschiedstrunk zu tun, an welchem sich alle beteiligen sollten. Ich allein wurde nicht dazu eingeladen,

       und Hawkens, Stone und Parker folgten der an sie ergangenen Aufforderung nicht. Der Trunk