Johns Hammer, der während der Geschichte geruht hatte, begann wieder, auf dem Amboss zu klingen. „Eine gute Geschichte, aber nicht genug für einen Preisnachlass“, sagte er.
Der Reisende räusperte sich. „An Geschichten soll es nicht fehlen“, sagte er. „Man erlebt viel auf einer Reise. Habt Ihr von der Hexe vom Bedgebury Forest gehört?“
„Wie sollten wir?“
„Dann will ich sie Euch erzählen.“
John winkte ab. „Nur ein anderes der zahlreichen Frauenschicksale, die auf dem Scheiterhaufen enden. Verschont mich damit.“
Der Fremde hielt Mary den schon wieder leeren Becher hin, um ihn sich ein viertes Mal auffüllen zu lassen. „Es ist nicht, wie Ihr denkt, Schmied“, sagte er.
„Was ist an Eurer Geschichte anders?“ fragte Mary während sie eingoss und legte damit zum ersten Mal ihre Ablehnung dem Fremden gegenüber beiseite. Die Neugierde für eine Geschichte, die von der Norm abwich, war stärker.
Der Fremde betrachtete sich den gut gefüllten Becher, nahm einen Schluck und sagte: „So hört. Wie hier, so hat auch im Süden der Nieselregen seit Monaten das Land im Griff. Das wäre nicht das Schlimmste, aber hin und wieder segnen heftige Regengüsse die Erde, so dass die Flüsse über die Ufer treten. Es ist furchtbar, und wenn nicht was geschieht, wird bald eine grausige Hungersnot das Land heimsuchen. Die Frucht fault auf den Feldern, die Blüten der Bäume werden nicht befruchtet und bleiben taub, das Heu in den Scheunen der Bauern geht langsam zur Neige, und auf die Weiden kann man das Vieh nicht treiben, weil es wie in einem Sumpf versinken würde. Man wird die Tiere notschlachten müssen. All diese Misere hat einen Ursprung, und das Übel hat einen Namen. Der Name ist Eleonore McKintire.“
Der Schmied ließ den Hammer sinken. „Ist sie eine Hexe?“ fragte er.
„Ja.“
John drosch wütend den Hammer auf den Amboss. „Glaubt Ihr daran?“
„Zweifelsohne“, antwortete der Reisende erschrocken. „Sie hat es ja selbst zugegeben.“
„Unter Folter hat noch jede ihren Pakt mit dem Satan gebeichtet“, sagte John laut.
„Warum seid Ihr so aufgebracht?“ fragte der Fremde verunsichert. „Die Frau ist von ihrem eigenen Mann angezeigt worden. Noch in der gleichen Stunde wurde man ihrer habhaft. Man brachte sie in die Sakristei der Kirche von Kilndown, wo sie sogleich den Pakt mit dem Satan eingestand. Sie hat nicht mal eine Zange zu sehen bekommen. Ist das nicht Beweis genug für ihre Schuld?“ Der Fremde leerte den Becher in einem Zug und schaute hinein, als ob er irgendwo noch einen Rest ausmachen wollte, aber allein es blieb beim Wollen.
Mary goss ungefragt nach. „Was hat sie denn gestanden? Etwa Geschlechtsverkehr mit dem Teufel?“
Der Fremde bekreuzigte sich, bevor er den Becher nahm und dessen Inhalt einmal mehr hastig hinunterkippte. Er schüttelte sich. „Sie soll auf dem Weg zur Kirche den Häschern entglitten und freiwillig in die Sakristei hineingeschwebt sein. Als die Häscher in die Sakristei stürmten, fanden sie Eleonore lachend auf einer Bank sitzen. Sie soll den Rock gehoben haben, und zwischen ihren nackten Schenkeln waren drei Sechsen auszumachen.“
„Das ist doch alles Humbug“, sagte John. „Wer hat Euch solch schauderhafte Mär erzählt?“
Der Besucher hob die Hände. „Hört: Eleonore lachte laut und spottete über die Kirche. Sie schalt Hochwürden einen armen Narren, der unfähig sei, das Land vor der Sintflut zu retten. Ob Gott sein Flehen um besseres Wetter nicht höre, wollte sie wissen. Sie selbst jedoch habe die Macht, den Regen versiegen zu lassen, wenn sie nur wolle. Es würde keine Hungersnot geben, wenn man sie entließe. Sollte man allerdings Hand an ihren Körper legen, dann würde Luzifer sehr böse werden, denn sie, Eleonore, sei seine Braut alleine, und der Satan dulde nicht, dass ein anderer Mann sie anfasse. Egal, ob zum Beischlaf oder zum Verhör. Selbst Abel McKintire, ihr Mann, würde es nicht wagen. Sie sagte, wenn man sie verbrenne, dann würde der Regen nie mehr enden.“
John spuckte aus. „Das dumme Geschwätz eines armen Narren.“
„Oh nein. Selbst der Pfarrer von Kilndown, einem kleinen Ort am Bedgebury Forest, glaubte ihr. Er wollte diese Frau nicht in seinem Orte wissen und sie schon gar nicht dem Henker überlassen. Er wollte einfach nicht die Schuld auf sich nehmen müssen, wenn England in den Fluten versank. Nun liegt Kilndown eingebettet zwischen drei Flüssen, und die Lage dort ist bedrohlicher als sonst wo. Wahrscheinlich hätte man sie hier längst dem Feuer übergeben. In Kilndown jedoch ließ man sie frei. Am nächsten Tag fand man Abel, ihren Gatten, erhängt an einem Baum, und seither ist die Hexe verschwunden. Das ist nun zwei Wochen her.“
„Und es regnet immer noch“, sagte John. „Sie hat ihn nicht gestoppt. Werden wir jetzt alle ersaufen?“
„Sie wird es wohl nicht soweit kommen lassen“, sagte der Fremde.
John hatte den Eindruck, dass er seinen eigenen Worten nicht glaubte.
Mary schenkte wortlos nach und machte damit das halbe Dutzend voll.
Plötzlich wirkte der Gast ungeduldig. Er erhob sich, wanderte in der Schmiede umher und fragte: „Wann beschlagt Ihr mein Pferd, Schmied? Und was wird's kosten?“
„Ich beginne sofort damit, wenn Ihr es eilig habt“, sagte John.
Der Fremde setzte sich wieder. „Ich möchte gerne hier übernachten“, sagte er. „Hat dieser Ort einen Inn?“
„Nein“, antwortete John. „Aber ich biete Euch die Schmiede an. Sie ist warm und trocken. Erzählt noch eine Geschichte, dann beschlage ich Euer Pferd. Für meine Arbeit und die Unterkunft zahlt Ihr fünfzehn Schillinge, wenn die dritte Geschichte so gut ist wie die erste. Aber tischt mir nicht wieder so eine Fabel auf wie die mit der Hexe. Einen solchen Schwachsinn kaufen mir die Dorfbewohner nicht ab. Bisher sind noch alle, ob Hexe oder nicht, getötet worden. Etwas anderes wollen die Leute nicht hören.“
„Ihr glaubt es also immer noch nicht? Nun gut. Aber Euer Angebot ist fair, Schmied. Ist das Ale und das Futter für mein Tier darin enthalten?“
John Duncan setzte sich und stützte seine Arme auf der speckigen Lederschürze ab. „Ihr habt ein halbes Dutzend Pints getrunken“, sagte er. „Jedes weitere kostet einen Schilling. Und nun, erzählt.“
Der Besucher bekam leuchtende Augen. „Habt Ihr vom Schwarzen Ritter gehört?“
„Nein. Was ist mit ihm?“
„Er ist das furchterregendste Geschöpf seit Gary Auchnacraig, dem Menschenfresser aus Schottland. Er soll ein Bär sein, sechs Fuß groß, der in seiner Rüstung 25 Steine wiegt. Niemand hat je sein Gesicht gesehen, und wer einmal seine grimmigen Augen durch das Visier ausmachen konnte, kann heute nicht mehr davon berichten, weil sein Korpus kopflos in Englands Erde ruht. Seinen Namen hat er von einem schwarzen Umhang aus feinstem Samt, und auf seinem Helm weht ein schwarzer Federbusch. Das Schwert ist aus gehärtetem indischem Stahl geschmiedet und sitzt locker in der Scheide. Er führt es mit einer solchen Kraft und Geschicklichkeit, dass kein Kämpfer ihm ebenbürtig wäre. Seine Armmuskeln können die Ärmel seines Kettenhemdes sprengen, wenn er sie anspannt, und ein Schlag seiner Faust kann ein Pferd töten. Man hat gesehen, wie er einen Ritter mit einem einzigen Hieb von Kopf bis zum Nabel spaltete.“
Mary füllte unaufgefordert den hölzernen Becher.
„Wie heißt dieses Ungetüm?“ fragte der Schmied.
„Man nennt ihn den Schwarzen Ritter, wie ich schon sagte. Seinen Namen kennt man nicht, aber seine Taten eilen ihm weit voraus. Wo immer dieses Wesen auftaucht, schließen Geschäfte ihre Türen und Bürger ihre Fenster. Tavernen verbarrikadieren sich, um den Mörder nicht einlassen zu müssen, denn man weiß nicht, wie dieser Mann betrunken zu genießen ist, wenn er schon nüchtern alles umhackt, was sich ihm in den Weg stellt.“
John Duncan zeigte Interesse an der Geschichte, denn ein Ungetüm wie dieses kam bei