»Sehr viel hatte Mr. Obercool jedenfalls nicht zur Konversation beizutragen«, kommentierte Rosa spöttisch.
»Nein, das hatte er wirklich nicht. War nicht gerade einer meiner besten Auftritte. Sorry, wird nie wieder vorkommen. Ehrenwort!« Tom spielte den Zerknirschten, doch dann funkelte es in seinen Augen. »Aber zu SEINER Entschuldigung muss ich noch sagen, dass ER von der Situation total geflasht war. Ich meine, im Auto allein mit einer cool … ähm … beeindruckenden Lady, die eine Menge zu sagen hat.«
»Rede ich zuviel?«, fragte Rosa leicht verunsichert.
»Nein, um Gottes willen, so habe ich das nicht gemeint«, protestierte Tom. »Ich wollte damit sagen, dass Sie immerhin ganze Romane mit dem füllen, was Sie zu sagen haben. Das ist irgendwie respekteinflößend.«
Dass er ganz offenherzig seine Bewunderung zeigte, fand Rosa ausgesprochen sympathisch. Trotzdem! War sie denn so ehrfurchtgebietend? Manchmal kam sie sich neben ihm so alt vor. Aber war sie das denn nicht auch? Sie musste ehrlich zu sich selber sein!
»Wissen Sie«, fuhr Tom fort, »ich bin eigentlich ein durch und durch fröhlicher Mensch. Ich hatte eine wundervolle Kindheit. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nichts wirklich Trauriges erlebt, keine tragischen Todesfälle in der Familie oder im engen Freundeskreis, keine Liebestragödien. Nichts. Seelischen Schmerz mimisch auszudrücken habe ich mehr oder weniger am Theater gelernt. So wie vieles andere auch. Von der Pike auf. Aber eines bin ich ganz bestimmt nicht: COOL. Im Gegenteil. Andauernd habe ich das Gefühl, dass die ganze Welt an meinen Lippen hängt und von mir zu erwarten scheint, dass ich irgendetwas Wichtiges, irgendetwas Weltbewegendes von mir gebe. Und dabei werde ich von einer ständigen Panik verfolgt, irgendeinen Blödsinn zu reden und mich zum Affen zu machen.« Er lachte über sich selber. Dann machte er plötzlich ein gequältes Gesicht. »Und außerdem bin ich im Umgang mit Frauen, die mich … hmmm … faszinieren, anfangs immer etwas, sagen wir, ungelenk.«
Rosa musste insgeheim lächeln. Wer hätte das von einem Mann gedacht, den sie für einen Frauenhelden par excellence gehalten hatte! Außerdem war seine Ehrlichkeit einfach entwaffnend. Tom hatte etwas Unschuldiges, Unverdorbenes, das sie einerseits überraschte, andererseits tief berührte.
»Wissen Sie, Tom, Sie scheinen mir ganz genau zu wissen, was Sie wollen und wo Sie hingehören. Sie scheinen in sich selber zu wohnen und sich dort sehr wohl zu fühlen. Ich meine, im Großen und Ganzen. Bis auf diese rätselhaften Panikattacken.« Rosa lachte. Dann wurde sie wieder ganz ernst. »Bitte tun Sie das nicht!«
»Was soll ich nicht tun?«, fragte er erstaunt.
»Spielen Sie keine Rolle, wenn wir zusammen sind. Seien Sie einfach Sie selbst. Sie haben einen so liebenswerten Charakter. Es ist nicht nötig, sich zu verstellen.«
Tom schaute sie aus seinen aufrichtigen Augen forschend an und erwiderte dann: »Ich verspreche, immer ehrlich zu Ihnen zu sein, denn Sie sind … ich meine … Ihre Meinung … ist mir sehr wichtig.«
»Das ist mehr, als ich erwartet habe«, antwortete Rosa leise. Mit Ehrlichkeit konnte sie etwas anfangen. Egal, welche Wahrheit ihr eines Tages offenbart wurde.
Dann lenkte sie das Gespräch ganz bewußt in eine andere Richtung. »Sie werden ja bald in der Abtei von Beauport drehen. Unter anderem die Szene, wo Claire Victor, nun sagen wir mal, zu nahe tritt. Ich bin ziemlich neugierig, wie Sie und Charlotte diese Szene spielen werden«, sagte Rosa betont unschuldig.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Tom gespannt.
»Nun, Claire macht Victor doch sexuelle Avancen. Sie provoziert ihn, während er gerade mit sich selber ins Reine kommen will. Und dann geraten sie in Streit und Victor packt sie und schüttelt sie ziemlich unsanft, um sie zur Vernunft zu bringen. Ich meine, Sie können das Mädchen doch gar nicht hart anfassen. Ich will damit sagen, dass Charlotte auf mich so einen zerbrechlichen Eindruck macht.« Rosa lauerte geradezu auf Toms Antwort.
»Hmmm, man würde mich wahrscheinlich dafür hassen, wenn ich Charlie etwas antun würde«, antwortete er seufzend. Wieder verdrehte er die Augen. Dann sagte er mit verstellter, tiefer Stimme, während er mit den Armen eine Schüttelbewegung nachahmte: »Du Hexe, du Dämon, geh weg, oder ich hau dir eine!« Dann hob sich seine Stimme in ungeahnte Höhen: »Nein, nein, bitte nicht! Ich bin nur ein armes, kleines, verdorbenes Mädchen.«
Rosa musste lachen, aber sie verstand, dass sich Tom jetzt über sie lustig machte. Er versicherte: »Glauben Sie mir, Charlie ist hart im Nehmen. Sie kann eine ganze Menge wegstecken. Sie ist jetzt schon, mit Anfang zwanzig, ein Vollprofi. Absolut diszipliniert, wie Sie sicher beobachtet haben. Aber Sie haben Recht, ich könnte Charlie nicht wirklich zusetzen. Ich kenne sie schon eine halbe Ewigkeit, schon seit ihren Anfängen in diesem Business.«
Und dann sagte Tom das, was Rosa inständig gehofft hatte zu hören: »Ich glaube, sie war damals zwölf Jahre alt, ein niedliches Mädchen, und ich spielte die Rolle ihres richtigen Bruders. Die Dreharbeiten mit ihr, das war einfach eine tolle Zeit. Wir haben viel Blödsinn miteinander angestellt, aber auch lange, ernsthafte Gespräche geführt. Seitdem sind wir wie wirkliche Geschwister. Und glauben Sie mir, es ist sehr, sehr seltsam, wenn wir uns für diesen Film küssen müssen.« Tom schaute ein wenig irritiert vor sich hin. Dann lächelte er wieder: »Charlie hat übrigens einen ganz tollen Freund. Er heißt Bob und ist einer meiner besten Kumpel. Noch aus meiner Londoner Zeit. Ich habe ihn schon mal erwähnt. Bob Marden, den Musiker. Leider kann er nicht hier sein. Hat im Moment andere Verpflichtungen. Aber dafür kümmere ich mich um Charlie. Das habe ich ihm versprochen.«
Die alberne Eifersucht verpuffte und Rosa erklärte betont großzügig: »Sie beide werden das schon irgendwie hinkriegen. Schließlich sind Sie Profis.«
»In der Tat. Das sollte man annehmen«, erwiderte Tom mit einem prüfenden Blick in ihr Gesicht und einem leichten Schmunzeln.
Hörte sie da einen Anflug von Belustigung in seiner Stimme? Er musste sie schon für eine komische Alte halten!
»Eins würde mich aber jetzt wirklich mal interessieren, Rosa. Als Sie erfuhren, dass VICTOR UND CLAIRE verfilmt werden soll, hatten Sie da einen Wunschkandidaten für die Rolle des Victor?« Sein prüfender Blick forderte sie heraus.
»Ehrlich gesagt waren meine Kandidaten für den rebellischen Victor leider alle schon tot.«
»Als da wären?«, beharrte Tom auf einer Antwort.
»In der Reihenfolge meiner Präferenzen? Marlon Brando, Marlon Brando und noch mal Marlon Brando.« Rosa musste sich das Lachen verkneifen.
»Wow! Großartiges Vorbild! Schätze, da habe ich ja richtig Glück gehabt, die Rolle zu bekommen«, stellte er trocken fest.
»Kann man wohl so sagen«, erwiderte Rosa verschmitzt.
»Wer ist denn so ganz allgemein Ihr Lieblingsschauspieler?«, bohrte Tom weiter. »Ich meine von den noch lebenden Darstellern?«, fügte er mit vollendeter Unschuldsmiene hinzu.
Rosa blinzelte spitzbübisch und sagte wie aus der Pistole geschossen »Jean-Yves Berteloot.«
»Netter Kerl, aber falsche Antwort! Noch jemand? Und bitte jetzt die englischsprachigen!« Es klang mürrisch.
Rosa versuchte es noch mal: »Hugh Laurie?«
»Ah, Doctor House! Cooler Typ! Und ein Landsmann von mir. Aber auch falsch.« Er machte einen strengen Gesichtsausdruck und schüttelte vehement den Kopf. »Also gut, wer sonst noch? Sagen Sie es lieber gleich! Sie brauchen mich nicht zu schonen.«
Rosa besann sich auf sämtliche Schauspieler, die sie gerne mochte. »Also gut. Robert Redford. Clint Eastwood. Tom Hanks. Tom Cruise. Mais non, der eher nicht! Und natürlich Johnny Depp…«
»Stopp, stopp, stopp! Das ertrage ich nicht länger.« Tom machte eine abwehrende Bewegung