Tom bemerkte eine flüchtige Bewegung aus dem Augenwinkel. Noch bevor der Polizist den BMW erreicht hatte, blitzte es einmal in der dunklen Gasse auf und er hörte einen Schuss krachen. Ein zweiter folgte und riss den Beamten von den Füssen. „Oh Gott. Was zur Hölle passiert denn jetzt?“ Nicht mehr imstande zu reagieren, verfolgten Toms Augen das Geschehen durch den Außenspiegel. Weitere Schüsse fielen. Diese wurden von einem zweiten Beamten abgefeuert, der seinem Kollegen zu Hilfe geeilt und ihn hinter den Dienstwagen gezogen hatte.
Dann geschah alles auf einmal. Erik preschte mit ausgestrecktem Arm aus der Gasse und feuerte eine Salve von Kugeln auf den Dienstwagen ab. Scheinwerfer, Blaulicht und der rechte Außenspiegel gingen zu Bruch. Der Lärm war ohrenbetäubend und Tom merkte nicht einmal, dass er seinen Kopf eingezogen und sich die Ohren mit beiden Händen zuhielt. „Das muss sofort aufhören. Bitte, lass sie nicht tot sein.“ Die hintere Seitentür wurde aufgerissen und Falk sprang hinein, gefolgt von Erik, der auf dem vorderen Sitz Platz nahm.
„Fahr los!“, brüllte er. „Mach schon, worauf wartest du?“
Mit zittrigen Händen drehte Tom den Zündschlüssel und ließ den Motor aufheulen. Energisch trat er aufs Gas und wuchtete den BMW zurück auf die Straße. Er überquerte die Kreuzung mit viel zu hoher Geschwindigkeit. Das Heck brach aus und nur mit Mühe schaffte es Tom, den Wagen in der Spur zu halten.
„Das war nicht nötig. Ich hatte die Sache im Griff.“ Er merkte nicht einmal, wie hysterisch er klang. „Scheiße, warum musstet ihr den Polizisten töten?“
„Haben wir nicht“, antwortete Falk knapp und schaute durch die Heckscheibe. Tom folgte seinem Blick in den Rückspiegel und sah, wie der Streifenwagen die Verfolgung aufgenommen und gefährlich weit aufgeholt hatte.
„Genau dafür habe ich dich engagiert. Jetzt kannst du zeigen, was du drauf hast.“
Lässig hing Erik in seinem Sitz und lud seine Waffe nach, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Sie hatten bereits etliche Kilometer hinter sich gelassen. Mittlerweile hatten sich zwei weitere Streifenwagen mit Sirenen dazugesellt und zu dritt folgten sie ihnen konstant. Sie durchquerten das Hönnetal und das Blaulicht der Streifenwagen spiegelte sich in den Felsen und ließ die Steinformationen gespenstisch aufleuchten. Bedingt durch die vielen engen Kurven war es unmöglich, Geschwindigkeit aufzunehmen.
„Da vorne links“, befahl Erik.
„Was zum Teufel ist los mit dir?“, fauchte Tom und lenkte den Wagen in eine scharfe Linkskurve. Wieder brach das Heck aus und wirbelte die Insassen mächtig durcheinander.
„Halt‘s Maul und fahr weiter. Da vorne rechts.“ Tom gehorchte und folgte jeder seiner Anweisungen, ohne überhaupt zu wissen, wohin diese Fahrt führte. Die Straße wurde immer schmaler und ging über eine Anhöhe. Nach wenigen Hundert Metern gelangten sie auf einen Schotterplatz, umringt von einigen Bäumen und Gebäuden. Eine riesige Hofanlage, und in einem der Gebäude brannte noch Licht.
„Das ist eine Sackgasse. Scheiße, Mann. Ich dachte, du kennst dich aus“, schrie Tom und legte den BMW quer, um wenden zu können. Doch es war zu spät. Die Streifenwagen hatten bereits den Platz erreicht und sich in einem Halbkreis aufgestellt. Die Beamten suchten hinter den geöffneten Türen Schutz und zielten mit ausgestreckten Armen in ihre Richtung.
„Stellen Sie den Motor ab und steigen Sie sofort aus“, brüllte einer der Polizisten. „Die Hände da, wo ich sie sehen kann.“
Tom zitterte nun am ganzen Leib und wie betäubt gehorchte er den Anweisungen und drehte den Zündschlüssel zurück.
„Du Idiot. Was machst du?“ Entgeistert starrte Falk ihn vom Rücksitz aus an. Ein Schuss fiel und der Vorderreifen war getroffen.
„Ich sage es nicht noch mal. Aussteigen!“, schrie der Polizist erneut.
„Es ist vorbei.“ „Mein Leben ist vorbei. Vielen Dank dafür.“ Gequält drehte er sich zu Falk um und funkelte ihn aus seinen braunen Augen an. „Hast du es noch nicht kapiert? Dank deines Genies hier gehen wir alle in den Knast. Das war‘s. Ich steige jetzt aus.“ Er hatte die Hand bereits an den Türgriff gelegt, als sich ein harter Gegenstand in seine Rippen bohrte.
„Ich für meinen Teil gehe bestimmt nicht in den Knast. Und du solltest ganz schnell deine Nerven in den Griff kriegen, ansonsten gehst du nirgendwo mehr hin.“
Verstört blickte Tom zuerst auf die Waffe, die nun auf ihn gerichtet wurde, dann in Eriks verrückte Augen und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er der Einzige war, der keine Maske über dem Gesicht trug. Wie betäubt korrigierte er diesen Fehler und setzte den Timon, der sich im Ablagefach seiner Tür befand, auf. Eriks Maske war dem Gesicht von Scar nachempfunden. Falk war Rafiki. Alle Charaktere aus dem König der Löwen. „Ich werde sterben.“
„Schon besser.“
„Und jetzt beruhigen wir uns alle wieder“, sagte Falk.
Licht durchflutete plötzlich das Wageninnere. Die scheunenartige Eingangstür direkt neben dem Wagen wurde geöffnet und eine schlanke Person war im Begriff, die Räumlichkeiten hinter sich zu verlassen. Geschockt durch das Bild, das sich ihr bot, blieb sie wie angewurzelt stehen.
„Ihr macht mir meine Arbeit wirklich zu leicht.“ Erik reagierte als Erster. Er schmiss seine Tür auf und sprang in geduckter Haltung auf die junge Frau zu.
„Stopp!“, brüllte der Beamte und feuerte einen Schuss ab. Aber die Kugel prallte am BMW ab.
Erik bekam den Arm der jungen Frau zu packen und hielt ihr die Waffe bereits im nächsten Moment an die Schläfe. Der Aufschrei war entsetzlich.
Triumphierend drückte er noch fester zu und zerrte sie beinahe von den Füßen.
„Ich würde vorschlagen, ihr Amateure nehmt jetzt eure Waffen aus meinem Gesichtsfeld. Ansonsten wird die Schönheit hier nicht mehr ganz so niedlich sein“, rief Erik den Polizisten zu.
„Los, raus hier.“ Falk öffnete nun auch seine Tür und zog Tom am Ärmel mit. „Tom! Beweg dich endlich.“ Der Schock saß immer noch tief und es sollte nicht besser werden. Er rollte sich über den Schaltknauf auf den Beifahrersitz und folgte fassungslos der Szenerie und erkannte die blonde Frau auf Anhieb. Nun wurde es hektisch.
„Du Arschloch. Lass sofort meine Freundin los.“ Raubkatzenähnlich sprang eine weitere Frau aus der Tür und schlug mit beiden Fäusten auf Erik ein. Mit mäßigem Erfolg, zumal Falk schnell reagierte und sie mit geschickten Handgriffen vor seinem Körper positionierte, seine Waffe auf ihren Kopf gerichtet. Langsam bewegten sie sich in Richtung der Eingangstür, ohne die Beamten aus den Augen zu lassen. Das Wimmern brach nun nicht mehr ab.
„Habt ihr mich verstanden? Ihr sollt die Waffen runternehmen!“, forderte Erik die Menge erneut auf. Nur langsam gaben die Beamten nach. Einige schauten sich unsicher an, andere hielten die Arme beschwichtigend in die Höhe.
„Komm endlich aus der Karre raus!“ Tom verstand nur zögerlich. Aber Falk ließ nicht locker und zerrte ihn aus dem Wagen. „Rein da“, befahl er und zog die Frau mit bedächtigen Schritten zurück in das Gebäude.
Freitag, 04. Mai, 22 Uhr 31
Mit einem Ruck schloss Anni die Tür der Spülmaschine und startete das Programm. „So, das waren die letzten Teller. Gleich morgen früh bringe ich Ihnen das Geschirr ins Haus.“ Sie schaute auf und lächelte ihren Chef an, der am Kühlschrank des Sozialraumes stand und sich eine Flasche Wasser rausnahm.
„Lass gut sein. Ich mach das später. Ihr verschwindet jetzt. Ab ins Bettchen.“ Anni verdrehte die Augen.
„Großer Gott. Ich bin fünfundzwanzig, Single und es ist Freitagabend. Bestimmt geht da noch was, oder was meinen Sie, Frau Bachmann. Hast du nun endlich deine Prötteln zusammen?“
„Jep. Alles gefunden. Und