Nik verdrehte die Augen und machte sich wieder an die Bestelllisten. Kurze Zeit später klopfte es an der Tür und ohne ein Herein abzuwarten, betrat Anni das Büro mit einem Tablett in der Hand.
„Zimmerservice!“, verkündete sie mit einem übertrieben fröhlichen Tonfall und stellte eine Tasse herrlich duftenden Kaffee und einen Teller mit Kuchen auf dem Schreibtisch ab, bevor ihr Blick auf den zerstörten Bilderrahmen fiel.
„Was ist denn hier passiert?“
„Danke, aber Kaffee reicht völlig“, knurrte er, ohne weiter darauf einzugehen oder den Blick von den Unterlagen zu nehmen. Empört stemmte Anni ihre Fäuste in die Hüften und baute sich direkt neben ihm auf.
„Na, wir sind ja heute wieder gut drauf. Ist ja nicht so, als wenn der Kuchen gleich Beine bekommt und vom Teller springt!“, motzte sie drauflos. „Und außerdem, haben Sie mal in den Spiegel geschaut? Wann haben Sie zuletzt etwas gegessen?“
Niks Kiefermuskulatur begann zu zucken und Anni verstand das Warnsignal sofort. Denn sie wusste nur zu gut, wann sie ihrem Chef gehörig auf die Nerven ging.
„Oh, Scheiße“, dachte sie, blieb aber trotzdem, nach außen hin unbeeindruckt, in ihrer angestammten Haltung stehen.
Nik holte tief Luft.
„Weiß nicht, gestern, vorgestern? Kann mich nicht genau erinnern.“
Er hoffte, seine Helferin würde den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen und das Interesse an ihm verlieren. Doch wie so oft wurde er eines Besseren belehrt. Anni beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf der Tischkante ab und schaute ihn provozierend an.
„Sie können mir glauben, Herr Doktor. So ein kleines Stück Kuchen wird Sie nicht gleich umbringen! Im Übrigen wäre keinem von uns geholfen, wenn Sie uns hier irgendwann mal umkippen. Ich habe nämlich keine Lust, mich schon wieder nach einem neuen Job umschauen zu müssen.“
„Du klingst schon wie meine Mutter.“
„Und womit? Mit Recht! Also?“
„Mann, du gibst ja doch keine Ruhe.“ Nik gab nach und steckte sich ein großes Stück in den Mund. „Zufrieden?“, presste er hervor und spuckte dabei unbeabsichtigt einige Kuchenkrümel durch den Raum.
Vergnügt nahm sie es zur Kenntnis.
„Fürs Erste. Hat auch gar nicht wehgetan, oder?“
„Womit hab ich dich und deine große Klappe eigentlich verdient?“
Zum ersten Mal schaute Nik zu ihr auf.
„Tja, das wird wohl auf ewig Ihr Geheimnis bleiben.“
„Ich gebe es auf. Ist Julia endlich zurück?“
„Jep! Und riecht wieder wie ein Frühlingsmorgen. Ich bereite mit ihr gerade den OP vor.“
„Wieso?“
„Das Tierheim hat gerade angerufen. Bei der heutigen Fangaktion waren sie wohl sehr erfolgreich. Sie bringen uns noch 6 Wildkatzen. Aber Frau Hornberg rechnet damit, dass die meisten Tiere wohl Kater sind.“
„Na, wunderbar … dann haben wir den Geruch wieder tagelang in der Hütte. Denk bloß daran, die Fenster aufzumachen.“
„Aber natürlich, Herr Kommandant. Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn wir so weit sind. Und übrigens … den Kuchen schön aufessen, ja?“ Sie zwinkerte ihm zu und wollte den Raum gerade verlassen.
„Anni?“
„Jaaah?“
„Danke!“
Verblüfft drehte sie sich um und hob eine Augenbraue. Er hatte sich ihr nun zugewandt und lächelte sie freundlich an.
„Ich mein‘s ernst. Ihr macht einen tollen Job. Ich vergesse das nur manchmal zu erwähnen.“
Nun ließ auch Anni ihre Maskerade fallen und lächelte zurück.
„Gern geschehen.“
Eine kleine letzte Retourkutsche konnte sie sich dennoch nicht verkneifen. Sie ging zurück zum Tisch und stöberte akribisch in den Unterlagen herum.
„Suchst du was Bestimmtes?“
„Ähm, ja, den Rotstift. Wenn man schon mal ein Lob von Ihnen bekommt, dann sollte man das doch mit Datum und Uhrzeit im Kalender festhalten, oder?“
Nun hob Nik eine Augenbraue.
„So schlimm?“
„Manchmal sind Sie schon kaum zu ertragen“, erklärte sie und fügte hinzu. „Aber andererseits, ich würde die Auseinandersetzungen mit Ihnen echt vermissen. Nicht auszudenken, wie langweilig der Alltag wäre, wenn Sie immer nur gut gelaunt durch diese Räume schreiten würden.“ Ihr Gesichtsausdruck wurde wieder sanfter. „Sie sind wirklich in Ordnung. Aber kriegen Sie Ihre Probleme in den Griff. Selbst unsere Kunden haben gemerkt, dass Sie sich verändert haben.“
Es klopfte an der Tür und beide schauten auf.
„Ja!“
Langsam drückte Julia die Klinke herunter und steckte unsicher den Kopf hindurch.
„Tut mir leid, dass ich stören muss, Dr. Berger …“ Sie hielt inne.
„Tja, mit der Ruhe ist das heute so eine Sache“, bemerkte Nik. Er streckte seine Beine aus, verschränkte die Arme hinterm Kopf und musterte Anni grinsend von der Seite. Diese verstand die Provokation auf der Stelle, ignorierte ihn aber völlig.
„Was ist los, Julia?“
„Ähm, also …“ Die Auszubildende schaute auf den Boden und suchte nach den richtigen Worten.
„Ich bin immer noch ganz Ohr.“
„Ja, also, ich habe Frau Becker und ihren Tyson noch hereingelassen. Ich weiß ja, dass wir eigentlich geschlossen haben, aber der Boxer hatte wohl wieder einen epileptischen Anfall und sie schien sehr besorgt. Ich habe sie in den 2. Behandlungsraum geschickt und ich hoffe, das war okay für Sie?“ Julia wartete mit weit aufgerissenen Augen auf eine Reaktion. Als diese ausblieb, setzte sie fort. „Dann wollte ich Anni noch fragen, was ich mit dem Rottweiler machen soll.“
„Ach, verdammt. Den hab ich ja total vergessen.“ Sie verlagerte ihr Gewicht in Niks Richtung. „Ein Neukunde, der auf Empfehlung gekommen ist. Er würde gerne von Ihnen behandelt werden.“
Nik ließ den Kopf nach vorne fallen und seufzte. Wieder ein Stimmungswandel? Julia reagierte unbeholfen.
„Ähm, ich kann aber auch Patrick Bescheid geben, falls Sie keine Zeit haben und …“
„Julia!“ Erschrocken schaute sie auf und Nik merkte erst jetzt, wie angespannt das junge Mädchen war, was nicht zuletzt an seiner Person lag. Dass man es ihm zurzeit kaum recht machen konnte, damit konnte Anni umgehen. Aber Julia war fast noch ein Kind und schien oft sehr unter seiner schlechte Laune zu leiden.
„Hol mal Luft! Es ist alles in Ordnung, wirklich“, munterte er sie auf. „Geh zu Patrick und sag ihm, er soll sich um die Kastration kümmern. Und wir beide, Fräulein Winter, verarzten zuerst Tyson und kümmern uns dann um den Rotti. Den könnt ihr schon mal in die Drei setzen.“
„Und der Kuchen?“
„Muss wohl warten.“
„Na ja, aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ich werde das später einfach noch mal kontrollieren.“
„Natürlich wirst du das. Ich habe nichts anderes erwartet.“ Mit einem Ruck hievte sich Nik aus seinem Bürostuhl und beförderte seine Mädels mit einem gespielten Fußtritt aus der Tür.
„Verschwindet endlich!“
„Sir, ja, Sir!“
Mittwoch, 02. Mai, 15 Uhr 37
Mark bog auf den