Zunächst führte auch die Straße „Am Merrchen“ zwischen dicht stehenden Bäumen hindurch, bis diese zunächst auf der Linken und dann auch der Rechten Seite wichen und den Blick auf den Ort freigaben.
„Da, da vorne, das muss Wolfgarten sein!“ Sie deutete durch die Frontscheibe.
„Ich sehe es“, brummte er. „Bin ja nicht blind, oder? Achte Mal lieber darauf, ob du irgendwo ein Hinweisschild zur Rangerstation findest.“
„Dafür hast du ja wohl dein Navi“, erwiderte sie schnippisch.
Er sah auf den Schirm des Navigationsgerätes und runzelte die Stirn. „Das Ding tut es nicht.“
„Ich habe dir ja gleich gesagt, du sollst nicht so ein Billigding holen.“
„Scheint das GPS zu sein“, murmelte er und versuchte, die Fahrbahn im Auge zu behalten und zugleich die Funktion des Navigationsgerätes zu überprüfen. „Probier mal dein Handy aus.“
„Und wen soll ich anrufen?“
„Ist doch Scheißegal“, zischte er erregt. „Meinetwegen ruf den Pizzaservice. Ich will nur wissen, ob du Empfang hast.“
Sie zog ihr Mobiltelefon aus der Handtasche und nickte. „Ja, habe ich.“
„Komisch.“ Er seufzte. „Na, wenigstens sind wir in Wolfgarten. Den Ranger zu finden, kann ja nicht so schwierig sein.“
Wolfgarten war eines jener malerischen Dörfer, wie sie häufig in der Eifel zu finden waren. Mit rund zweihundert Einwohnern war es eine relativ kleine Siedlung, die aus Fachwerkhäusern und Neubauten bestand. Der Ort lag, malerisch von Wäldern umgeben, auf der Kermeter Höhe und seine Lage galt nicht umsonst als einmalig, befand er sich doch inmitten des Naturparks. Alles wirkte idyllisch, denn zwischen den Häusern gab es Abstand für Gärten und immer wieder waren kleine oder größere Gruppen von Bäumen zu sehen.
„Gott, ist das Nest winzig“, stellte Lydia fest. „und es sind gar keine Leute zu sehen.“
„Wir wollen hier ja nicht shoppen gehen.“ Er konzentrierte sich darauf, ob er ein Hinweisschild auf die Rangerstation fand. „Außerdem sind die Leute jetzt sicher zur Arbeit. Ist doch mitten in der Woche“, brummte er.
„Hier werden die sicher keine Arbeit finden“, meinte Lydia. „Hier gibt es bestimmt nicht einmal einen Laden.“
Links von ihnen erhob sich ein hoher Turm über die Bäume am Ortsrand. Es war der alte Feuerwachtturm der als Eifelblick diente. Klaus war froh, dass Lydia ihn nicht bemerkte. Sie liebte Aussichtstürme und er hatte keine Lust, die vierundneunzig Stufen zur überdachten Plattform zu ersteigen. Er hatte seine Digitalkamera nicht dabei, um die schöne Landschaft zu fotografieren, sondern wollte ein paar der Tiere aufnehmen.
„Verdammtes Navi“, knurrte er. „Ausgerechnet jetzt versagt das Mistding. Na ja, wir werden uns wohl kaum verfahren können. Ich glaube, wir müssen zum anderen Ende von dem Dorf.“
Eigentlich konnte man sich wirklich nicht verfahren. Am Ende der Straße bog er nach Rechts in die Straße „Zum Stich“ und erreichte kurz darauf die Straße „Wolfgarten“. Hauptstraße und Dorf trugen den gleichen Namen und die Straße teilte den Ort mit ihrer angedeuteten S-Form.
„Wir müssen Links“, entschied er.
„Woher willst du das wissen?“
„Rechts kommen wir wieder zur Landstraße“, erwiderte er lakonisch. „Da kommen wir ja her.“
Ein kurzes Stück die Straße entlang, sah Klaus die richtige Abzweigung. „Ziegenbendges Weg. Hier müssen wir Rechts rein.“
„Schau mal, die haben sogar eine Polizeiwache“, stellte Lydia fest. „Und das in diesem kleinen Kaff.“
„Die haben hier sogar eine Feuerwehr.“
„Ach, wirklich?“
„Wir sind eben fast dran vorbei gefahren. Von der Kreuzung aus, da konnte man sie sehen.“
„Oh.“ Sie lehnte sich in die Polster zurück. „Na, jedenfalls sind wir jetzt da.“
Nach der Abzweigung zur Rangerstation passierten sie einige Häuser und einen Bauernhof. Rechts und Links lagen kleine Weideflächen, auf denen ein paar Kühe grasten und wenige Hundert Meter voraus begann schon wieder der dichte Wald. Unmittelbar davor lagen ein Parkplatz und das von Klaus ersehnte Ziel.
Die Zufahrt war kaum mehr als ein asphaltierter Feldweg. Es war drückend heiß und Klaus ließ die Seitenfenster nach unten gleiten. Er genoss den leichten Fahrtwind, der ein wenig Linderung verschaffte. Links am Ziegenbendges Weg lag die Rangerstation mit dem großen Parkplatz, Rechts war ein hoher Zaun zu erkennen, der dort das Areal und einen kleinen Teil der Weide absperrte.
„Gibt es hier wilde Tiere?“, fragte Lydia prompt.
„Deswegen sind wir ja hier“, seufzte er.
„Deswegen bist du hier“, korrigierte sie ihn.
„Hier gibt es Biber und Luchse“, erklärte er, denn er wusste, dass seine Frau vor allem die putzigen Biber liebte. „Und natürlich Rotwild und Wildschweine. Vielleicht haben sie den Zaun errichtet, damit die Tiere nicht gestört werden.“
Der Wagen rollte auf den Parkplatz der Rangerstation und Klaus war froh, dass er direkt am Waldrand lag. Zwar gab es noch keinen Schatten, aber sobald sie wieder nach Hause fuhren, musste sich das geändert haben und der Wagen würde dann nicht mehr so aufgeheizt sein. Er musste trotzdem daran denken, einen Sonnenschutz über das Lenkrad zu legen. Jedenfalls würde sein nächster Wagen eine Klimaanlage haben. Dieser Sommer war ja wirklich kaum auszuhalten.
Die Markierungen der Parkbuchten wirkten frisch, ebenso wie das Holz des Zaunes, der den Platz eingrenzte. Während er den Wagen einparkte, warf er einen Blick zum Stationsgebäude. Es erinnerte Klaus an eine Baubaracke, die man mit etwas Farbe aufgewertet hatte.
„Rangerstation Wolfgarten“, las Klaus von dem Schild ab. „Na, also.“
„Viel ist hier aber auch nicht los“, meinte Lydia mit Blick auf die drei Fahrzeuge, die auf dem geräumigen Platz standen.
„Es ist Mittwoch und keine Urlaubszeit. Was erwartest du da?“ Klaus stellte erleichtert den Motor ab. „Am Wochenende ist hier sicher Betrieb.“
Auch der Belag des Parkplatzes wirkte noch neu, ebenso wie die Grillhütte, die man hier für die Besucher aufgebaut hatte. Klaus stieg aus und blieb an der Fahrertüre stehen. Unschlüssig blickte er zu der Station hinüber, vor der ein lindgrüner Rangerover stand. Tafeln und Hinweisschilder an der Längswand des Gebäudes wiesen auf die Themen der Wanderpfade und einen Verkaufskiosk hin. Letzterer war geschlossen. Ein anderes Schild trug die Beschriftung „Ranger“.
„Gott, wie im Wilden Westen.“ Lydia saß auf dem Beifahrersitz, zog ihre Pumps aus und die Wanderschuhe an.
„Hat man aus den USA übernommen“, stellte Klaus fest. „Wildhüter täte es auch, aber heutzutage muss ja alles amerikanisch klingen. Gehen wir Mal rüber. Ich glaube, da ist jemand.“
Ein Mann in Rangerkleidung und mit einem „Mountain-Peak“-Hut, wie ihn auch die kanadische berittene Polizei trug, trat aus dem Stationsgebäude und sah den Ankömmlingen mit einem Lächeln entgegen. „Herzlich willkommen im Naturpark Hohes Venn-Eifel“, sagte er zur Begrüßung. „Mein Name ist John Turner und ich bin hier der zuständige Ranger.“
„Sie sind aber kein Deutscher, oder?“, fragte Lydia Proschke.
Der Farbige lächelte.