Zwerge der Meere. Michael Schenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Schenk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742749567
Скачать книгу
Fennegman ihr Lachen sehr schätzte, schmerzte auch dies in seinen Ohren. Bedauernd nahm er seine Brottasche vom Haken neben der Tür, tätschelte die Hand seiner Frau, die entsagungsvoll seufzte und dann einen kritischen Blick auf Torbjong warf. Er fiel zu ihrer Zufriedenheit aus und sie gab dem Sohn einen aufmunternden Klaps. „Achte darauf, dass dein Vater sich nicht zu weit über den Bootsrand beugt“, flüsterte sie. „Er ist heute nicht besonders sicher auf seinen Beinen.“

      Der Vierzehnjährige grinste und folgte dann seinem Vater zum Strand hinunter.

      „Ein schöner Morgen“, rief Losterman gut gelaunt zu ihrer Begrüßung. „Es war ein sehr erfolgreicher Abend gestern.“

      „Auch für den Sere Tolkman“, murmelte Fennegman. „Unser Wirt hat sicher das beste Geschäft von allen gemacht.“

      „Soll Torbjong heute mit hinaus?“ Wandeman deutete auf die pralle Brottasche des Jungen.

      „Er hat am Bier geschnuppert“, erwiderte Fennegman, „da kann er auch an der Seeluft schnuppern.“

      Losterman lachte auf. „Auch meiner hat am Handel geschnuppert. Verdammt, ich habe dem Bengel gesagt, er soll es probieren, nicht mehr als einen Mund voll. Du weißt ja, wie stark Tolkmans Bier ist, wenn er es frisch gebraut hat. Heute wird mein Junge wohl keine Arbeit leisten, verdammt.“

      „Wir werden schon zurechtkommen“, meinte Fennegman beruhigend. „Dein Junge ist fleißig und er wird gutmachen, was er heute versäumt.“

      „Will ich ihm auch geraten haben.“ Losterman fuhr sich über das Gesicht und es gab ein leicht schabendes Geräusch. An diesem Morgen hatte er die übliche Rasur verpasst. „Ach, verdammt, mir erging es damals nicht besser und ich hatte nicht die Ausrede, einen Handel zu schließen. Weißt du, Fennegman, mein Freund, damals nahm mich mein Vater in die Schänke mit, da wir…“

      „Irgend etwas geht da vor sich“, brummte Fennegman unvermittelt. „Oben, im Dorf.“

      Sie verharrten und hoben lauschend die Köpfe. Ganz schwach waren Rufe zu hören, die aus Benderskart kommen mussten.

      „Du hast recht.“ Wandeman ließ das Netz sinken, das er gerade in seinem Boot ordnete. „Jetzt kann ich es auch hören. Du hast wirklich gute Ohren.“ Er schwang sich über die Bordwand und sprang in den Sand. „Was mag da los sein? Ob ein Feuer ausgebrochen ist?“

      Die Fischer und ihre Söhne ließen ihre Arbeit stehen und liegen und eilten die lange Düne hinauf, hinter der sich der Ort befand.

      „Ich kann keinen Rauch sehen“, ächzte der rundliche Pilkman. „Es kann noch nicht lange brennen.“

      Die Häuser von Benderskart bestanden aus Lehm und Holz, denn beides fand man reichlich in der Gegend. Der Lehm war gebrannt, denn die schweren Regenstürme der Schlechtwetterzeit hätten den Häusern sonst übel mitgespielt. Die Dächer waren mit Lehm gedeckt und so konnte sich ein Feuer nur schwer ausbreiten.

      Je näher sie dem Kamm der Düne kamen desto deutlicher wurden die Rufe. Nein, keine Rufe, es waren Schreie der höchsten Not und als die Männer und Jungen endlich oben ankamen, erkannten sie entsetzt den Grund. Menschen rannten zwischen den Häusern umher, scheinbar planlos und in blinder Panik, verfolgt von seltsamen Kreaturen, die sich auf sechs Gliedmaßen fortbewegten und mit tödlichen Kieferzangen nach den Bewohnern schnappten.

      „Ein Überfall“, keuchte Wandeman.

      „Kein Überfall“, sagte Fennegman grimmig, der ein wenig später oben anlangte, da seine Beine etwas kürzer waren. Aber er war der erste, der die Situation überblickte. „Das da ist blanker Mord. Was auch immer das für Kreaturen sind… Denen geht es nicht um Beute. Sie wollen töten.“

      „Meine Frau, meine Kinder…“ Losterman starrte leichenblass zum Ort. „Los, Männer, wir müssen ihnen helfen!“

      Er stürmte einfach los und sein Sohn und einige andere folgten ihm, die anderen wurden von Fennegmans Stimme zurückgehalten, der sich mit ausgebreiteten Armen vor sie stellte. „Wollt ihr sterben? Jene im Ort, sie sind schon tot.“

      Sie starrten ihn verwirrt, ja wütend an.

      „Geh aus dem Weg, Fennegman!“, schrie ein stämmiger Fischer. „Wenn du zu feige bist, ich bin es nicht. Ich lasse es nicht zu, dass diese… diese… dass sie unsere Familien töten!“

      Der Mann schlug nach Fennegman, der in einer eleganten Drehung auswich und als der Stämmige losrannte, stellte der kleine Mann ihm ein Bein und warf sich mit einem Satz auf seinen Rücken. Blitzschnell drehte er einen Arm des Mannes auf den Rücken, griff in dessen Haarschopf und zwang ihn so, nach Benderskart zu blicken.

      „Kannst du es sehen, du Narr? Bei allen Seeteufeln, gäbe es eine Möglichkeit, den unseren beizustehen, dann würde ich der Erste sein, der ins Dorf rennt. Seht euch diese Wesen an! Mit was wollen wir sie töten? Mit unseren Fischspeeren oder den Messern? Verdammt, seht doch hin! Wir haben nichts, mit dem wir diese Kreaturen töten können.“

      Er hatte recht.

      Viele Menschen, die zuvor auf die Straßen geeilt waren, versuchten nun verzweifelt, wieder in die Häuser zu gelangen, um dort Schutz zu finden. Aber die Bohlentüren, so stark sie auch sein mochten, hielten dem Ansturm der Angreifer nicht lange stand. Andere Bewohner hatten sich auf dem zentralen Platz gesammelt, wo der Älteste, Sere Amderman und der Schmied Schloochman versuchten, eine Verteidigung zu organisieren. Ein oder zwei Jagdbogen, einige Speere und massive Knüppel waren die Waffen. Ein einziges Schwert wurde geschwungen. Jene alte und verschrammte Klinge, die der Wirt Tolkman hinter seinem Tresen aufgehängt hatte und die von angeblichen Ruhmestaten kündete. Diese Männer hatten einen Ring um Frauen und Kinder gebildet und stemmten sich den Angreifern entgegen. Sie hatten keine Chance gegen die starken Kieferzangen.

      Fennegman war froh, keine Details sehen zu müssen. „Wir müssen retten, was zu retten ist“, sagte er eindringlich. „Die Boote sind unsere einzige Fluchtmöglichkeit, an Land werden die Kreaturen uns erwischen und töten.“ Er deutete auf einige der Männer. „Ihr bereitet mit Wandeman die Boote vor. Sie müssen in seichtes Wasser, damit wir rasch ablegen können. Torbjong, mein Sohn, du wirst mit den anderen Jungen zu unserem Haus eilen. Nehmt an Vorräten und Trinkwasser, was ihr findet und bringt es her. Und beeilt euch.“

      Der Weg zu Fennegmans Haus schien noch relativ sicher. Die Angreifer begnügten sich im Augenblick damit, Benderskart heimzusuchen, wo sie mehr als genug Opfer fanden.

      Fennegman zog den Kopf des unter ihm liegenden Mannes zur Seite. „Und du, wenn du wirklich so wagemutig bist, dann folge mir. Wir werden versuchen, von den Menschen Benderskarts so viele wie möglich zu retten.“

      Der Mann starrte ihn ungläubig an und als Fennegman von ihm abließ und in Richtung auf das Dorf rannte, nickte er und folgte dem kleinen Mann. Hinter ihnen begannen die anderen, nach kurzem Zögern, Fennegmans Anweisungen zu folgen. Immer wieder warfen sie schockierte Blicke zurück, während sie erneut zum Strand hinunter eilten, um die Boote vorzubereiten.

      Die Fangboote schienen das einzige Fluchtmittel und das Meer der einzige Fluchtweg zu sein. Dazu brauchten sie Nahrung und Trinkwasser. Hastig wurden Fische von den Trockengestellen gezerrt und in die Rümpfe geworfen, Eimer und Fässer folgten, Speere und Netze wurden bereitgelegt.

      Fennegman und der andere, er hieß Malteman, rannten auf Benderskart zu und je näher sie kamen, desto mehr fragten sie sich, welche Tollkühnheit sie dazu antrieb, denn alle Instinkte drängten danach, diesen Ort weit hinter sich zu lassen. Aber da waren die Menschen, die den Angreifern praktisch hilflos ausgeliefert waren.

      Fennegmans Beine schmerzten. Er war körperliche Arbeit gewohnt, aber er brauchte auf seinem Boot und am Strand nie weit und schnell zu laufen. Ächzend blieb er stehen. „Warte, wir müssen sie zu uns rufen“, keuchte er. „Rufen… müssen wir.“

      Malteman hörte ihn nicht. Er rannte weiter und würde bald den Rand des kleinen Dorfes erreichen. Er begann zu schreien, winkte dabei mit den Armen, um die Menschen auf sich aufmerksam zu machen. Einige sahen ihn wohl, denn er deutete dann zum Strand hinunter.